Wie die Stadt Paris dem Autoverkehr den Krieg erklärt
Aus Paris Simone Weiler Wer schon etwas länger nicht mehr in der Pariser Rue de Rivoli war, der wird sie kaum wiedererkennen. Jene Straße, die vom Bastille-Platz vorbei am Louvre bis zum Concorde-Platz verläuft, gehörte zu den meistbefahrenen der Stadt, es lärmte und ratterte nur so den ganzen Tag. Heute nutzen überwiegend Räder und Elektroroller die Fahrspuren. Und ein paar Taxis und Busse fahren noch.
Doch es ist so still, dass man manchmal sogar die Vögel zwitschern hört.
Was eigentlich zunächst nur für die Zeit der Coronavirus-Pandemie gelten sollte, hat sich dauerhaft etabliert. Seit einigen Jahren schon sind zudem die unteren Seine-Ufer für den Autoverkehr gesperrt und für Flaneure, Rad- und Rollerfahrer reserviert. Schrittweise greifen Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge. Der Streit mit Automobilverbänden und der konservativen Opposition über diese Maßnahmen prägte die erste Amtszeit von Bürgermeisterin Anne Hidalgo.
30 km/h und kaum noch Durchfahrtsverkehr
Vor einem Jahr wurde die Sozialistin wiedergewählt – und will nun noch weiter gehen. Ab Ende August dürfen Autos nur noch mit 30 km/h durch die Stadt fahren, so wie das bislang schon bei 60 Prozent der Straßen der Fall war. Ausgeschlossen bleiben von dem neu erweiterten Limit die großen Verkehrsachsen. So bleibt auf der Ringautobahn Tempo 70 erlaubt, auf großen Straßen wie den Champs-Élysées 50 km/h.
Einer Umfrage zufolge sprechen sich 59 Prozent der Pariser Stadtbewohner für die Geschwindigkeitsbegrenzung aus. Außerdem plant Hidalgo die Schaffung einer „verkehrsberuhigten Zone Paris-Zentrum und Saint-Germain“ und will dabei die ersten vier Arrondissements (Stadtbezirke) – sie umfassen das Marais, die beiden Seine-Inseln und reichen fast bis zur Alten Oper – sowie einen Bereich unterhalb des Boulevard Saint-Germain auf der anderen Seite der Seine für den Durchgangsverkehr sperren. Rund die Hälfte der 180.000 Autos, die täglich durch die betroffene Zone rauschen, wären betroffen, heißt es.
Ausnahmen für Handwerker und Lieferanten
Vom Fahrverbot ausgeschlossen bleiben Anwohner, Taxis, Kranken-, Polizei- und Feuerwehrwagen, aber auch Handwerker, Händler und Lieferanten. Es stehe nicht zur Debatte, „den Verkehr ganz abzuschaffen“, beschwichtigt David Belliard, der für die Verkehrstransformation zuständige Chef der Grünen im Stadtrat, mit denen Hidalgos Sozialisten eine Koalition bilden. Das Zentrum sei besonders gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden und nur ein Drittel der dortigen Einwohner besitzen ein eigenes Auto – gegenüber zwei Drittel im Großraum Paris.
Einer Studie der Zeitschrift „The Lancet Planetary Health“ zufolge gehört Paris zu den vier europäischen Städten, in denen am meisten Menschen an den Folgen der hohen Luftverschmutzung sterben. Die Stadt grüner und sauberer zu machen, ist Hidalgos Hauptthema.
Wurde der 61-Jährigen bislang oft vorgeworfen, ihre Ziele ohne Absprache durchzudrücken, so bemüht sie sich nun um mehr Dialog. Im Internet können Bürger noch bis Oktober ihre Meinung etwa zu den genauen Konturen der betroffenen Zone oder zum Umgang mit Touristenbussen abgeben – grundsätzlich wird die Frage nach Für und Wider der Sperrungen allerdings nicht gestellt.
Steigende Immobilienpreise
Die Pläne bringen die Opposition in Rage. So warnt die bürgerliche Stadtteilbürgermeisterin Florence Berthoud vor Verkehrsproblemen an anderer Stelle: „Dafür bezahlen werden diejenigen, die sich an der Peripherie befinden.“ Berthouds Parteifreundin Nelly Garnier verweist auf die 900.000 Menschen, die in Normalzeiten täglich in die französische Hauptstadt pendeln, um zu arbeiten: „Eine Hauptstadt lebt von tausenden Verbindungen, von Strömen, die nicht gekappt werden können.“ Durch eine Sperrung drohe das Zentrum noch touristischer zu werden, während die Außenbezirke mehr und mehr das Nachsehen hätten. Es könnte auch Auswirkungen auf die ohnehin hohen Immobilienpreise im Stadtzentrum geben, glaubt Delphine Herman, Gründerin der Immobilienplattform Homelyoo: „Das wird die Zahl der Touristen erhöhen und damit das Interesse von Investoren, sich auf kleine Wohnungen zu stürzen, um diese an Urlauber zu vermieten.“
Die Stadtverwaltung argumentiert, es gehe um eine umfassende Umgestaltung des öffentlichen Raums und die dauerhafte Senkung des Autoaufkommens: Der Verkehr gehe um fünf Prozent pro Jahr zurück. Ob Anne Hidalgo ihre zweite Amtszeit im Pariser Rathaus zu Ende bringt, erscheint derweil unklar: Im Herbst will sie entscheiden, ob sie bei der Präsidentschaftswahl 2022 für die Sozialisten antritt. In diesem Fall braucht sie eine gute Bilanz.
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