Lobau: Wo heute um einen Tunnel gestritten wird, wurden einst Schlachten geführt
Napoleon hat hier eine Schlacht verloren und eine andere gewonnen. Wie hingegen das Gefecht zwischen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Bürgermeister Michael Ludwig ausgehen wird, das wissen wir noch nicht. Der Tunnel, um dessen Bau oder Nichtbau heftig gestritten wird, betrifft ein prächtiges Stück Wien und Niederösterreich, das nicht nur als Naturschutzgebiet Geschichte geschrieben hat.
Bis an die Grenze
Die Lobau ist eine 22 Quadratkilometer große, am linken Donauufer gelegene Aulandschaft, die sich von Wien bis an die Grenze zur Slowakei erstreckt. Im Mittelalter im Besitz bayerischer Grundherren, führten diese mit den Habsburgern um die ausgedehnten Wiesen und Wälder einen jahrhundertelangen, unerbittlichen Rechtsstreit, den letztlich das österreichische Kaiserhaus gewonnen hat. Maria Theresia überließ der Gemeinde Wien dann 1745 einen Großteil der Lobau, nur die Jagdrechte blieben von der Schenkung ausgenommen.
Weltgeschichte
Im Mai 1809 wurde in der Lobau und Umgebung Weltgeschichte geschrieben. Napoleon hatte Wien besetzt und befahl seiner Armee, von der Lobau aus bei Aspern die Hochwasser führende Donau zu überqueren, um die dort stationierten österreichischen Truppen unter der Führung von Erzherzog Carl anzugreifen. Das war, vor allem weil es keine belastbaren Brücken gab, nur mit großem Aufwand möglich, der die Franzosen erheblich schwächte. So kam es, dass Aspern die erste Schlacht seines Lebens war, die Napoleon verlor.
Der Jubel der Österreicher hielt freilich nicht lange an, zumal der Kaiser der Franzosen in der Lobau sein Hauptquartier und mehrere Brücken errichtete. Wieder gestärkt, konnte er Anfang Juli die Donau mit 200.000 Mann überqueren und das österreichische Heer in der Schlacht bei Wagram vernichtend schlagen. Die Lobau wurde damals Napoleon-Insel genannt, und heute noch erinnern „Napoleons Hauptquartier“, Franzosenstraße und der Franzosenfriedhof – auf dem 3.000 Soldaten der Grande Armée begraben sind – an die blutigsten Auseinandersetzungen, die es bis dahin gegeben hatte.
Lange sorgte die Donau durch Überschwemmungen in Wien wie im Marchfeld für schlimme Naturkatastrophen. Selbst der 1867 von Johann Strauss komponierte Donauwalzer war anfangs alles andere als populär, weil die Wiener die Donau infolge der alles vernichtenden Hochwässer mehr hassten als liebten. Das änderte sich erst 1875, nach Fertigstellung der dringend nötigen Donauregulierung.
Kaiserliches Jagdgebiet
Im 19. Jahrhundert diente die Lobau vor allem dem Jagdsport des kaiserlichen Hofes, wovon Kronprinz Rudolf besonderen Gebrauch machte. Allein an Rebhühnern wurden hier jedes Jahr 10.000 Stück erlegt. Als der britische König Edward VII. im Jahr 1903 auf Staatsbesuch in Wien weilte, unternahm er gemeinsam mit Kaiser Franz Joseph einen Jagdausflug in die Lobau, bei dem die Monarchen je einen Zehnender schossen.
Am 11. April 1920 ereignete sich in der Lobau eine menschliche Tragödie. Der Stadtschutzwachmann Heinrich Deml stellte im Morgengrauen eine Bande, die in Groß-Enzersdorf Nahrungsmittel gestohlen hatte. Als er sein Gewehr zog, um sie aufzuhalten, schoss ihm einer der Diebe eine Kugel in den Kopf, die den Wachmann tötete. Deml zu Ehren wurde am Tatort ein Gedenkkreuz errichtet, das es heute noch gibt. Die Täter konnten gefasst werden.
FKK in der Lobau
Im Jahr 1927 stellte die Gemeinde Wien den Freunden der Freikörperkultur auf dem Lobauer Biberhaufen ein Grundstück zur Verfügung, auf dem sie dem immer populärer werdenden Nacktbaden frönen konnten, wobei das Betreten des Areals nur Paaren gestattet war. Vom Ständestaat verboten, wurde ab 1934 polizeilich kontrolliert, ob auch wirklich alle Badegäste vorschriftsmäßig bekleidet waren. Unter den Nationalsozialisten, die auf ihre „gestählten Körper“ stolz waren, war FKK wieder erlaubt, und auch heute gilt die Lobau als Nacktbade-Paradies. Prominentester Nudist war in den 1980er-Jahren das Wiener Stadtoriginal Ludwig „Waluliso“ Weinberger, den man auch den „König der Lobau“ nannte.
Ob bekleidet oder nicht – die Lobau wurde für viele Wiener zum Naherholungsgebiet, in das man mit der 1922 eröffneten (und 1970 eingestellten) Straßenbahnlinie 317 gelangen konnte. In den 1920er-Jahren entstand auch das Lied, das zur „Nationalhymne“ der beliebten Ausflugsregion wurde:
Drunt in der Lobau,
Wenn ich das Platzerl nur wüßt,
Drunt in der Lobau,
Hab ich ein Mädel geküßt.
Ihre Äugerln waren so blau,
Als wie die Veigerln in der Au,
Auf dem wunderschönen
Platzerl in der Lobau...
Das Lied wurde 1939 zur Titelmelodie des Films „Drunt in der Lobau“ mit der Musik von Heinrich Strecker und dem Text von Fritz Löhner-Beda. Der saß bei der Uraufführung des Films im KZ Buchenwald und wurde drei Jahre später in Auschwitz ermordet. Und während im Kino fröhlich „Drunt in der Lobau“ gesungen wurde, befand sich genau dort ein von den Nazis errichtetes Zwangsarbeiterlager.
Otto Wagners Planung
Die UNESCO erklärte die Lobau 1977 zum Naturschutzgebiet, 1996 wurden die Donau-Auen ein Nationalpark. Es ist dies der einzige Nationalpark Europas, der sich auch innerhalb der Stadtgrenzen befindet.
Übrigens: Der große Architekt Otto Wagner hatte bereits 1893 den Plan, eine Straße, ähnlich der jetzt umstrittenen Lobau-Autobahn, samt Donauquerung, zu errichten.
Vielleicht wird in hundert Jahren ein junger Kollege wieder einen Artikel über die Geschichte der Lobau schreiben. Und darin wird zu lesen sein, dass dort in den 2020er-Jahren eine unterirdische Straße gebaut wurde. Oder eben nicht.
Der Inhalt
Das Testament Kaiser Franz Josephs. Die neu entdeckten Qualtinger-Briefe. Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte. Die größte Witzesammlung der Welt. Klimts Schwiegertochter u. v. m.
Das Buch
"Zwischen den Zeiten, Momente, die Geschichte schrieben" von Georg Markus, Amalthea Verlag, 304 Seiten, viele Fotos, € 27,- Erhältlich im Buchhandel oder im KURIER VorteilsCLUB bestellen: versandkostenfrei und handsigniert vom Autor.Infos & Bestellung KURIER-VorteilsCLUB: kurierclub.at, kurierclub@kurier.at Tel.: 05 90 30-777
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