KURIER: Herr Stelzer, haben Sie schon ausreichend Taschentücher gebunkert?
Thomas Stelzer: Taschentücher? Habe ich immer im Gepäck, aber zur Zeit brauche ich wenig.
Die ÖVP hat als Wahlgeschenke Taschentücher mit dem Aufdruck "Sie werden viele davon brauchen, wenn Kickl Kanzler wird" verteilt.
Es war auch unser Ziel, dass Kickl nicht Kanzler werden soll. Das Wahlergebnis gepaart mit der Vorgangsweise, wie die Regierungsfindung angelegt war, hat dazu geführt, dass es de facto nur mehr zwei Möglichkeiten gibt.
Entweder Neuwahlen, oder wir springen über alle möglichen Schatten, stellen die Staatsräson über alles andere und machen mit viel Bedenken und Magenweh trotzdem den Weg auf Richtung Regierungsfindung.
"In dem, was Kickl sagt, kann ich mich in vielen Fällen überhaupt nicht finden. Den lehne ich auch ab" haben Sie gesagt, und "ich könnte mir auch nicht vorstellen, dass ich mit Herbert Kickl zusammenarbeite." Was hat sich verändert, dass Sie jetzt Koalitionsverhandlungen mit Herbert Kickls FPÖ zustimmen?
Zu all den Aussagen stehen wir. Wir haben uns aus Kräften darum bemüht, eine Regierung mit Kanzler Nehammer ohne die Kickl-FPÖ zu bilden. Alleine der Preis, dass die ÖVP auf den Kanzler verzichtet, indem wir nach Scheitern dieser Dreiergespräche sagen, der Bundeskanzler tritt zurück, zeigt ja, wie ernst uns diese Sache ist. Wir sind in eine Situation gekommen, manövriert worden, wie immer man das sehen will, wo es nur mehr zwei Wege gibt. Sofort Neuwahlen zu provozieren, halten wir aus Verantwortung für das Staatsganze für Österreich und die Bevölkerung nicht zumutbar.
Und das rechtfertigt ein „Sicherheitsrisiko“ als Kanzler, „den in der Republik und im Hohen Haus keiner braucht“, wie die ÖVP bisher erklärt hat? Das können Sie ihren Parteimitgliedern erklären?
Es gibt die Bereitschaft zu Gesprächen zur Regierungsfindung, es ist keine Automatik. Es ist nicht ausgemacht, wenn die Gespräche beginnen, dass das auch funktioniert. Wir haben natürlich auch Bedingungen, es gibt selbstverständlich auch Schranken für diese Gespräche.
Wo liegen diese Schranken und „roten Linien“ bei einem möglichen Regierungsabkommen? Kickl als Kanzler ist ja keine mehr.
Es macht keinen Sinn, bevor Gespräche stattfinden, allzuviel an Scheiterpotenzial aufzubauen. Wir feiern heuer große Jubiläen: 80 Jahre Republik, 70 Jahre Freiheit, 30 Jahre EU-Mitgliedschaft.
Wir wollen uns als ein demokratischer freier Rechtsstaat weiterentwickeln, wir wollen keine "ungarischen Verhältnisse", wir wollen ein aktiver Part in der EU sein und bleiben, wir wollen Meinungs- und Pressefreiheit, um nur ein paar Dinge zu nennen. Das sind klassische Punkte, an denen kein Weg vorbei führt.
Wo sollen die nötigen Einnahmen, die unbestritten nötig sind, herkommen? Sie mussten ja als Landeshauptmann selbst Ihr – schon angespanntes – Budget wegen später Bekanntgabe der Ertragsprognosen und der katastrophalen Situation des Bundes nochmals nach unten korrigieren.
Es ist Aufgabe jeder Regierung, die ins Amt kommt, ob es die mit den drei Parteien geworden wäre, oder ob es eine andere ist, das Budget in einem vertretbaren Zeitrahmen zu sanieren. Ich spreche mich dafür aus, dass das auf sieben Jahre gemacht wird –und wenn es nur irgendwie geht, ohne das EU-Verfahren, weil ich das für einen nachhaltigen Reputationsschaden für den Standort Österreich halten würde. Spielräume sind schon in den bisherigen Gesprächen gefunden worden.
Wir haben – ein wenig überspitzt gesagt – seit Corona einfach mitgenommen, dass es Förderungen, Förderungen, Förderungen gibt, aber wenige davon wieder zurückgenommen. Da gibt es sicher viele Möglichkeiten. Zwei sind immer im Mittelpunkt gestanden: der Klimabonus und die Bildungskarenz.
Christian Stocker hat Ihre uneingeschränkte Unterstützung?
Selbstverständlich. Ich habe mich für ihn ausgesprochen und bin ihm sehr dankbar, dass er das in einer nicht unheiklen Situation und auf eine sehr überraschende Weise macht.
Auch für ihn persönlich mit seinen Aussagen?
Ja. Es ist für uns alle wie gesagt ein Sprung, den wir uns zumuten. Wir haben in diesen dramatischen Stunden abgewogen: Wollen wir es bequem haben und nicht kritisieren lassen für die Aussagen, die da sind, oder sagen wir, wir überwinden das mit viel Magenschoner und probieren das?
Für wie lange sehen Sie das Projekt Stocker angelegt?
Der Oberösterreicher Wolfgang Hattmannsdorfer war auch ihm Gespräch als Nachfolger von Nehammer. Ist er die Person, die die ÖVP aufbauen soll für die Zeit nach Stocker, also die Zukunftshoffnung der ÖVP?
Wenn die Regierung zustande kommt, wird sie fünf Jahre dauern. Dann müssen wir schauen, mit welchen Personen wir das machen und wie wir uns so aufstellen, dass wir bei der nächsten Wahl wieder berechtigt um den Anspruch kämpfen können, den Kanzler zu stellen. Da wird es auch um neue Persönlichkeiten gehen. Wolfgang Hattmannsdorfer ist eine davon.
Wir streben sie nicht an, ausschließen kann ich das nicht.
Wenn es bald zu Neuwahlen kommt, ist Hattmannsdorfer jetzt auch eine Option?
Wir beschäftigen uns damit, wie es geht, diese schwierigen, kniffligen Gespräche mit der FPÖ zu führen, und diese zu einem Ergebnis zu bringen, das für die Österreicherinnen und die ÖVP vertretbar ist. Für andere Spekulationen ist keine Zeit.
Auch in Oberösterreich sehen die Umfragen die FPÖ mittlerweile vor der ÖVP. Gibt es nach Kunasek in der Steiermark und einem möglichen Kanzler Kickl auch einen FPÖ-Landeshauptmann Haimbuchner?
Unsere Umfragen und ernstzunehmende Beobachter sagen, dass wir bei Landtagswahlen die klare Nummer 1 sind. Aber die Situation ist herausfordernd. Wir haben 2027 Wahlen. Bis dahin werde ich, werden wir, jeden Tag den Anspruch rechtfertigen, dass wir auch dann wieder starker Erster und Landeshauptmannpartei sind.
Am Sonntag wird in Linz gewählt. Ihr Kandidat Martin Hajart hat kaum Chancen, nicht zuletzt wegen der Entwicklungen im Bund. Wünschen Sie sich lieber einen blauen als einen roten Bürgermeister in Linz?
Ich würde die Rechnung nicht ohne den Wirt, also die Wählerinnen und Wähler, machen. Es ist eine reine Persönlichkeitswahl, überhaupt nicht gekoppelt mit der Partei oder Gemeinderatswahlen. Da kann man die Parteimuster nicht umlegen. Die Leute wählen sehr unterschiedlich bei unterschiedlichen Wahlen, das haben wir immer stärker festgestellt. Sie werden sich für jene Person entscheiden, von der sie sagen, das ist für uns der beste Bürgermeister. Natürlich setze ich auf unseren Kandidaten.
Dann schauen wir, wer in die Stichwahl kommt. Klar ist, als Landeshauptmann bin ich höchst daran interessiert, dass es mit dem Bürgermeister der Stadt Linz ein vernünftiges Arbeitsverhältnis gibt.
Und das gibt es mit allen Kandidaten?
Ich sehe meine Rolle und Verantwortung so, dass ich mit allen, mit denen ich in der Politik bin, ein vernünftiges Verhältnis herstelle, ich bemühe mich auch darum.
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