SPÖ-Urgestein Binder: "Doskozil kann die Kräfte zusammenführen"
Peter Binder ist seit 2021 Dritter Präsident des Landtages.
Der 49-Jährige begann seine politische Laufbahn bei den Jungsozialisten (Bundesgeschäftsführer), der Frühaufsteher und Hobby-Discjockey war unter anderem Assistent von Landesrat Josef Ackerl und von Bürgermeister Klaus Luger. Von 2014 bis 2016 war er Landesgeschäftsführer der SPÖ, seit 2015 gehört er dem Landtag an.
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KURIER: Sie sprechen sich für den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil als neuen SPÖ-Vorsitzenden aus. Warum?
Peter Binder: Ich habe mir angesehen, was er im Burgenland zustande gebracht hat. Ebenso seine Bilanz als Verteidigungsminister auf Bundesebene. Er hat immer eine klare Linie behalten. Das ist das, was wir jetzt brauchen.
Wo zum Beispiel?
Wie geht man mit den Fragen der Zuwanderung, der Beschäftigung und der Einkommensunterschiede um? Er setzt den Mindestlohn und Pflegeangebote um. Mit seinem Anstellungsmodell hat er einen Weg aufgezeigt, wie man Altersarmut hintanhalten kann.
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Doskozil wird von führenden Sozialdemokraten vorgeworfen, in der Migrationspolitik freiheitliche Politik zu betreiben.
Diese Einschätzung teile ich nicht. Ich kenne keine Aussagen von Doskozil, die ins freiheitliche Eck gehören. Es war die Sozialdemokratie, die immer einen starken Staat gefordert hat. Dazu gehört auch, dass er seine Grenzen unter Kontrolle hat und dass Zuwanderung kontrolliert wird.
Doskozil wird weiters Illoyalität gegenüber der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner vorgeworfen. Er hat die Position der Parteichefin systematisch und über einen längeren Zeitraum untergraben.
Ich habe mich in den vergangenen Wochen sehr ausführlich mit Mitgliedern und Funktionären unterhalten. Sie meinen, dass diese Kritik nicht nur Doskozil betrifft, sondern auch andere Funktionäre und Organisationen, die Rendi-Wagner ein Stück weit im Stich gelassen haben.
Als sie vor einem Jahr in die Akademie der Wissenschaften geladen hatte und eine Rede vor fünf Ex-Kanzler gehalten hatte, hatte ich das Gefühl, jetzt stellt sie Kanzleranspruch, jetzt spricht sie die richtigen Themen an. Dieses Gefühl ist leider über den Sommer wieder verloren gegangen.
Bundesgeschäftsstelle zu schwach
Das liegt nicht nur an ihr. Es gibt eine Bundesgeschäftsstelle, die zu schwach aufgestellt ist. Hier funktioniert die Kommunikation nicht richtig. Das ist aber etwas, was wir schon länger beobachten.
Doskozil hat das teilweise mit Methoden aufgezeigt, die auch ich im Umgang unter Genossinnen und Genossen nicht für okay finde. Er hat sich aber selber erklärt und gesagt, dass das eine oder andere überzogen war.
Bisherige Lösungsversuche waren erfolglos
Aber wie kommen wir zu einem demokratischen Diskurs, wenn öffentliche Kritik sofort als Illoyalität bezeichnet wird? Ich gehe davon aus, dass es im Vorfeld viele Versuche gegeben hat, das auf anderen Wegen zu lösen, aber irgendwann bleibt es nicht aus, dass man die eine oder andere Meinungsverschiedenheit öffentlich darlegt.
Aufgeschaukelt
Es hat sich zwischen Rendi-Wagner und Doskozil schon viel an persönlichen Befindlichkeiten aufgeschaukelt. Deshalb ist vieles, was gesagt worden ist, als Affront und Angriff verstanden worden.
Überfordert Rendi-Wagner mit ihrer Art des Politikmachens die traditionelle Sozialdemokratie?
Ich halte nichts davon, in die Vergangenheit zu schielen und zu sagen, was in den 1970er- und 1980er-Jahren gut war, muss jetzt wiederkommen. Christian Kern hat es zum Beispiel hervorragend geschafft, mit der Buntheit der Sozialdemokratie gut umzugehen. Er hat mit Industriekapitänen fachgesimpelt und gleichzeitig die Sprache der Reinigungskraft verstanden und gesprochen.
Rendi-Wagner hat das teilweise nicht so gut gekonnt. Sie hat sich auch nicht mit einem Team umgeben, das das abdeckt.
Der Dreikampf um die SPÖ-Spitze auf Bundesebene erinnert an den Dreikampf um die Parteispitze in Oberösterreich 1993. Damals bewarben sich Klubobmann Karl Frais, der Welser Gewerkschafter Fritz Hochmair und der Linzer Stadtrat Josef Ackerl um die Nachfolge von Karl Grünner. Die drei stellten sich den Diskussionen in allen Bezirken. Die Folge des Machtkampfs war eine über viele Jahre zerstrittene Partei.Besteht nicht die Gefahr, dass das nun auch auf Bundesebene passiert?
Man muss genau aus dieser Erfahrung auf Bundesebene lernen. Die Nachwirkungen haben 25 Jahre lange gedauert. Eine ganze Funktionärsgeneration war von dem teilweise geprägt. Erich Haider (SPÖ-Vorsitzender 2000–2009) ist es gelungen, das teilweise zuzudecken, aber es ist ihm auch nicht völlig gelungen. Dieses Zerren in der Landes-SPÖ hat sich auch noch bei Reinhold Entholzer (SPÖ-Vorsitzender 2013–2015) gezeigt.
Keine weiteren Beschädigungen
Das ist die wichtigste Botschaft, die man den drei Kandidaten auf Bundesebene mitgeben muss: Sie dürfen sich in der Wahlbewegung gegenseitig nicht weiter so beschädigen, dass nachher eine Zusammenarbeit unmöglich wird.
Es gibt nicht drei Teams, sondern ein Team SPÖ. Ich traue Doskozil am ehesten zu, dass er es nachher schafft, die leicht widerstrebenden Kräfte wieder zusammenzuführen. Er hat im Burgenland gezeigt, dass er über die Parteigrenzen hinweg mit unterschiedlichen Richtungen zusammenarbeiten kann.
Die Gräben wieder zuschütten
Wenn der von mir geschätzte Vöcklabrucker Bürgermeister sagt, man darf nicht den zum Förster machen, der den Wald angezündet hat, dann meine ich, dass Doskozil am Zuschütten der Gräben mitwirken soll, auch im Sinne einer sozialen Reha, wenn er am Aufreißen dieser Gräben mitgewirkt hat.
Die Gräben sind tief. So hat der ehemalige Sinowatz-Pressesprecher und RTL-Chef Gerhard Zeiler im KURIER-Interview seinen Parteiaustritt im Fall der Wahl von Doskozil angekündigt.
Ich darf hier Andreas Babler zitieren, der zu Max Lercher (steirischer SPÖ-Abgeordneter, ehemaliger Bundesgeschäftsführer) gemeint hat, er soll hier keine Endzeitstimmung aufkommen lassen.
Lercher hat seinen politischen Rückzug für den Fall angekündigt, dass Doskozil nicht Parteivorsitzender wird.
Das ist ein völliger Blödsinn. Wir sind in einem demokratischen Prozess. Ich sage auch nicht, ich wandere aus Österreich aus, weil weder Kurz noch Nehammer die Kanzler sind, die ich mir wünsche. Auch eine Julia Herr, die sich für Babler ausspricht, sollte trotzdem all ihre Kompetenzen auch unter einem Parteichef Doskozil einbringen, falls er es wird.
Der Bundesparteitag ist gut beraten, das Ergebnis der Mitgliederbefragung nachzuvollziehen. Auch wenn das für einen Teil nicht die Wunschkandidatin bzw. der Wunschkandidat ist. Wir müssen nach der Befragung alle wieder zusammenfinden. Das wünsche ich mir genauso von Zeiler wie von Lercher, um die SPÖ zur Nummer eins zu machen.
Wie ist die Stimmung in der Landespartei? Welchem Kandidaten neigen die oberösterreichischen Genossinnen und Genossen zu?
Das lässt sich ganz schwer sagen. Es gibt ein bisschen einen Frust, wie das Ganze zustande gekommen ist, aber er wird jetzt abgelöst von einer Motivation, weil sich die Leute inhaltlich auseinandersetzen wollen.
Babler und Doskozil bilden die Pole
Sie sagen, es interessiert sie, welcher Kandidat wofür steht, aber großartige Wahlempfehlungen brauchen sie nicht. Ich werde meist nur auf Babler und Doskozil angeredet, aber weniger auf die Parteivorsitzende.
Weil der eine eher links und der andere eher rechts positioniert ist, und Rendi-Wagner eher in der Mitte steht.
Das lässt sich auch in den sozialen Medien feststellen. Die Unterstützer von Rendi-Wagner sind eher zurückhaltend. Ich finde das schade. Die beiden Pole Babler und Doskozil stehen eher im Mittelpunkt.
Die Spitze der Wiener SPÖ tritt für Rendi-Wagner ein. Machtpolitisch dominiert die Wiener SPÖ die Bundespartei. Bricht der Machtanspruch bei dieser Entscheidung?
Ich kann das Verhalten von Bürgermeister Michael Ludwig nicht ganz nach vollziehen. Auf der einen Seite positioniert er sich für sie, auf der anderen Seite war das in der Vergangenheit nicht so stark der Fall.
In Wien viele für Babler
Viele Mitglieder hatten deshalb das Gefühl, es muss sich etwas ändern. Ich bekomme aus Wien mit, dass viel für Babler mobilisiert wird. Es wird spannend, wie das innerhalb von Wien ausgeht. Ob die Stimme des Parteivorsitzenden kräftig genug ist, um etwas für Rendi-Wagner herauszuholen.
Sollte sich die SPÖ nach der nächsten Nationalratswahl eine Koalition mit der FPÖ offenhalten?
Aus heutiger Sicht nicht. Nicht mit Herbert Kickl. Wir sollten dafür kämpfen, dass es eine Mehrheit jenseits der ÖVP und der FPÖ gibt. Eine Mehrheit der SPÖ mit den Grünen und den Neos.
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