Wolf auf Abschussliste: Wird das Tier zum Präzedenzfall in NÖ?

Der verhaltensauffällige Wolf, der am Mittwoch im Waldviertel seelenruhig am helllichten Tag durch die Ortschaft Pürbach bei Schrems im Bezirk Gmünd getrottet ist, könnte der erste Fall für die neue Wolfverordnung in Niederösterreich werden. Eine weitere Sichtung im Wohngebiet reicht aus und die Jägerschaft dürfte das Tier ohne behördliche Prüfung schießen. Die rechtliche Grundlage dafür bietet die seit April in Kraft getretene Verordnung, die Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) initiiert hatte.
Wie vom KURIER berichtet, wurde das Tier am Mittwoch um die Mittagszeit mitten in Pürbach zwischen den Wohnhäusern von einem Autofahrer gesichtet und gefilmt. Der Wolf ist zunächst über eine Wiese gelaufen, hat danach einen Bahnübergang überquert und ist danach in einem Waldstück verschwunden. Wie der Bezirksjägermeister von Gmünd, Ernst Strasser, erklärt, hatte der Wolf am selben Tag in Langschwarza für Aufregung gesorgt: „Er hat auf einer Pferdekoppel sechs trächtige Stuten aufgeschreckt, bevor er weiter gezogen ist“. Laut dem Schremser Bürgermeister Peter Müller ist die Jägerschaft in der Region alarmiert. Es wurde am Mittwoch intensiv Ausschau nach dem Tier gehalten.
➤ Wo der Wolf gestern in Niederösterreich unterwegs war
➤ Das sieht die neue Wolfsverordnung in Niederösterreich vor

Das sonderbare Verhalten des Raubtieres, das kaum Scheu an den Tag legt, bezeichnet der Wolfsbeauftragte Aldin Selimovic als „nicht normal“. Wenn ein Wolf mitten durch eine Ortschaft laufe und kein Fluchtverhalten an den Tag lege, könne man von einem „Problemwolf“ sprechen, heißt es bei der Jägerschaft. Das Tier könnte verletzt sein, nach Futter suchen und generell keine Scheu mehr vor Menschen haben. Für diesen Fall wurde die neue Wolfverordnung erlassen.

Das Tier kann bereits ohne Vergrämungsversuche bei genau definierten bedrohlichen Vorkommnissen sofort geschossen werden. Laut Verordnung reicht es bereits, wenn der Wolf zweimal binnen einer Woche tagsüber im Wohngebiet auftaucht, Menschen trotz Vertreibungsversuchen folgt, längere Zeit (mindestens 2 Minuten) in der Nähe von Menschen verharrt oder aggressiv auf Hunde und Personen reagiert.
Jäger entscheiden selbst
Wenn einer dieser Punkte erfüllt ist, obliegt es den örtlich zuständigen Jägern, das Tier zu schießen. Rücksprache mit der Behörde muss in so einem Fall nicht mehr gehalten werden. "In der 2. Wolf-Verordnung werden unterschiedliche Wolf-Verhalten umschrieben und dahingehend eingeschätzt, ob diese auffällig, unerwünscht oder sogar problematisch sind. Liegt nach dieser Verordnung ein unerwünschtes oder problematisches Wolf-Verhalten vor, und ist es hinreichend dokumentiert, kann eine Vergrämung oder Entnahme ohne Bescheid der Behörde direkt kraft Verordnung von der örtlichen Jägerschaft vorgenommen werden", erklärt die Generalsekretärin des NÖ Landesjagdverbandes, Sylvia Scherhaufer.
- Wolf taucht mehr als zweimal binnen einer Woche während der Aktivitätszeit des Menschen (6.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends) in Siedlung oder bei bewohntem Gebäude auf.
- Wolf folgt Mensch trotz Vertreibungsversuchen.
- Wolf nähert sich während der Aktivitätszeit des Menschen (6.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends) in offenem Gelände Menschen an und bleibt längere Zeit (mind. 2 Minuten) in dessen Nähe (< 50m).
- Wolf nähert sich während der Aktivitätszeit des Menschen (6.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends) in Siedlung Menschen auf unter 100m an und kann nur schwer vertrieben werden.
- Wolf nähert sich Menschen mit Hunden auf unter 50m an und reagiert dabei mit Drohverhalten oder Angriff auf Hunde. · Wolf tötet Hund in Siedlung oder bei bewohntem Gebäude.
- Wolf reagiert unprovoziert aggressiv (mit Drohgebärden oder Angriff) auf Menschen.
- Ein oder mehrere Wölfe überwinden mindestens zweimal binnen vier Wochen sachgerechten Nutztierschutz* und töten darin gehaltene Nutztiere.
Quelle: https://www.noejagdverband.at/wp-content/uploads/Wolf-Verordnung_Uebersicht_23.3.23_final.pdf
Auch wenn die verunsicherte Bevölkerung bereits auf einen Abschuss dränge, wolle man zunächst versuchen, den Wolf zu vergrämen, erklärt Strasser. Er stehe im engen Austausch mit der Bezirkshauptmannschaft. Innerhalb des bebauten Gebietes sei ein Abschuss ohnedies nicht erlaubt. Die Jäger seien angehalten, nach dem "Problemwolf" intensiv Ausschau zu halten.
Schon 7 Rudel in NÖ?
Das Waldviertel gilt als das Gebiet mit dem größten Vorkommen an Wölfen in Österreich. Vier Rudel sind in der Region mittels DNA-Nachweisen bereits bestätigt. Strasser geht allerdings von einer weit höheren Dunkelziffer aus. In der Region ist bereits von bis zu sieben Rudel die Rede, die sich hier niedergelassen haben. Die Verunsicherung in der Bevölkerung wachse mit jeder weiteren Sichtung.
➤ Im Waldviertel ist die Wolfspopulation Österreichs am größten
Wolfssichtungen nahe oder gar mitten in Siedlungen, wie soeben in Niederösterreich, sind in Österreich eine Seltenheit. Abseit menschlicher Infrastruktur wird der Wolf aber immer öfter beobachtet: 2022 wurden 70 bis 80 Wolfsindividuen nachgewiesen. Heuer gab es seit Jahresanfang bis knapp ins zweite Quartal hinein laut Österreichzentrum Bär Wolf Luchs in etwa 33 gesicherte Nachweise - und damit schon etwas mehr als die 31 Tiere, die bis August 2022 registriert worden waren.
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