Snowdens russisches Roulette

Russian President Vladimir Putin gestures during his visit to the State Military-Historical Museum of Prokhorovka Field July 12, 2013. The Battle of Prokhorovka was fought near the settlement of Prokhorovka, 54 miles (87 km) southeast of Kursk, on the Eastern Front during the Second World War as part of the Battle of Kursk in the Soviet Union. REUTERS/Yuri Kochetkov/Pool (RUSSIA - Tags: ANNIVERSARY POLITICS MILITARY)
Russlands Präsident Wladimir Putin spielt die Affäre Snowden in vielerlei Hinsicht in die Hände

Whistleblower Edward Snowden, ätzt ein russischer Journalist, tue sich mit einem offiziellen Asylantrag ähnlich schwer, wie der Arme aus der Anekdote, der den lieben Gott um den Hauptgewinn im Lotto bat. „Gern“, sagte der Herr. „Aber gib mir eine Chance – kauf dir einen Schein!“

Auch auf Snowdens Tippschein wartet Russland nach wie vor. Ein offizieller Asylantrag wurde noch nicht gestellt. Russische Beobachter versuchen sich derweil an Kalkulationen über Schaden und Nutzen, den er Mütterchen Heimat bringen könnte. In der Nacht auf Samstag telefonierten Russlands Präsident Putin und US-Präsident Obama in der Sache miteinander – ohne Ergebnis.

Snowdens russisches Roulette
Former intelligence agency contractor Edward Snowden speaks to human rights representatives in Moscow's Sheremetyevo airport July 12, 2013. Snowden is seeking temporary asylum in Russia and plans to go to Latin America eventually, an organisation endorsed by anti-secrecy group Wikileaks said on Twitter on Friday. REUTERS/Human Rights Watch/Handout (RUSSIA - Tags: POLITICS PROFILE CRIME LAW TPX IMAGES OF THE DAY) NO COMMERCIAL OR BOOK SALES. NO SALES. NO ARCHIVES. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS
Snowden, so der Politikwissenschaftler Wjatscheslaw Nikonow, der für die Kremlpartei „Einiges Russland“ in der Duma sitzt, sei für Moskau so wenig eine Gefahr wie sowjetische und russische Deszendenten, die aus dem Exil in den USA gegen ihr Vaterland hetzten und hetzen. Russische Geheimdienste sehen das offenbar ähnlich. Der nachrichtendienstliche Wert eines Renegaten, der Essentials bereits an die Medien verriet, tendiert in der Tat gegen null. Einerseits. Andererseits zeigten sie bisher kein Interesse, weil nie völlig auszuschließen ist, dass der Überläufer ein doppeltes Spiel spielt.

Gegner ausgespielt

Innenpolitisch dagegen landete Putin mit Snowden einen Coup, der seine Gegner erst mal matt setzt: Die russische Zivilgesellschaft, die als erste und am lautesten Schutz für Snowden von dessen Verfolgern verlange und damit kräftig „in die Hand biss, die sie füttert“. Gemeint ist Finanzielle Unterstützung aus den USA für nichtstaatliche Organisationen in Russland. Damit begründete Putin auch ein Gesetz, das Empfänger westlicher Fördergelder als „ausländische Agenten“ abstempelt.

Eben diesen – für die Masse Gegenstand der Verachtung, weil quasi unter Verdacht von Landesverrat stehend – schob Putin jetzt die tragende Rolle beim Krisenmanagement in der Causa Snowden zu. Denn dessen Treffen mit der russischen Zivilgesellschaft im Transitraum von Scheremetjewo Freitagabend wäre ohne allerhöchste Auflassung nicht möglich gewesen. Damit verschaffte er seinen schärfsten aber bis dato marginalisierten Opponenten nicht nur Öffentlichkeit, sondern auch einen positiven Resonanzboden, Allein schon um Wiederholungen nicht zu gefährden, dürften diese sich daher künftig Beißhemmungen ihm gegenüber auferlegen.

Auch kann Putin, sollte der Druck aus den USA stärker werden, alle Verantwortung der Zivilgesellschaft zuschieben: Als lupenreiner Demokrat habe er sich deren Bedenken, Snowden könnte nach der Auslieferung auf dem elektrischen Stuhl enden, nicht verschließen können. Zumal die UNO Snowden, wie dieser bei dem Treffen im Transitraum erklärte, als Asylbewerber anerkennt.

Der Schaden für das bilaterale Verhältnis werde trotz des rhetorischen Getöses in Washington ohnehin minimal sein, hatte der Chefredakteur der Zeitschrift Russland in der globalen Politik, Fjodor Lukjanow , gleich zu Beginn der Affäre erklärt. Wegen Snowden würden die USA weder gemeinsame Bemühungen um Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, noch Kooperation bei der Terrorismusbekämpfung aufs Spiel setzen. Dazu kommt, dass der geordnete Rückzug aus Afghanistan, der 2014 beginnen soll, nur mit logistischer Unterstützung Moskaus und der von Russland nach wie vor extrem abhängigen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken möglich ist.

Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat sich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo am Freitag mit Menschenrechtlern getroffen. Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte daraufhin Snowdens Statement im Internet. Die Nachrichtenagentur dpa dokumentiert Auszüge daraus in eigener Übersetzung:

"Hallo. Mein Name ist Ed Snowden. Vor etwas mehr als einem Monat hatte ich Familie, ein Zuhause im Paradies, ich habe sehr angenehm gelebt. Ich hatte auch die Fähigkeit, ohne Befugnis nach Ihrer Kommunikation zu suchen, sie mir zu nehmen und sie zu lesen. Jedermanns Kommunikation zu jeder Zeit. Mit dieser Macht kann man das Schicksal von Menschen verändern. Es ist auch ein schwerwiegender Verstoß gegen das Gesetz.

(...) ich tat, was ich für richtig hielt und startete eine Kampagne, um diese Vergehen zu korrigieren. Ich wollte mich nicht bereichern. Ich wollte keine US-Geheimnisse verkaufen. Ich habe mich nicht mit ausländischen Regierungen verbündet, um meine Sicherheit zu gewährleisten. Stattdessen habe ich das, was ich wusste, öffentlich gemacht, damit das, was uns alle betrifft, von uns allen bei Tageslicht diskutiert werden kann. Und ich bat die Welt um Gerechtigkeit.

Diese moralische Entscheidung, der Öffentlichkeit über die Spionage, die uns alle betrifft, zu berichten, war folgenschwer. Aber sie war richtig und ich bereue nichts.

Seither haben die Regierung und die Geheimdienste der USA versucht, ein Exempel an mir zu statuieren, eine Warnung an all jene, die wie ich ihre Stimme erheben könnten. (...)

Ländern, die sich für meine Menschenrechte und das UN-Asylsystem eingesetzt haben, drohten sie (die USA) mit Sanktionen. Auf der Suche nach einem politischen Flüchtling haben sie sogar die beispiellose Maßnahme ergriffen, Militärverbündete anzuweisen, das Flugzeug eines lateinamerikanischen Präsidenten nicht fliegen zu lassen. Diese gefährliche Eskalation stellt eine Bedrohung dar, nicht nur für die Würde Lateinamerikas, sondern für die Grundrechte, die jedem Menschen und jeder Nation zustehen. Nämlich frei von Verfolgung zu leben und Asyl zu suchen und es wahrzunehmen.

Trotz dieser historisch unverhältnismäßigen Aggression, haben Länder Unterstützung und Asyl angeboten. Diesen - darunter Russland, Venezuela, Bolivien, Nicaragua und Ecuador - gebührt mein Dank und Respekt. Denn sie waren die ersten, die Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen durch die Mächtigen und nicht die Machtlosen leisteten. (...) Es ist meine Absicht, in jedes dieser Länder zu reisen, um ihren Menschen und Oberhäuptern meinen persönlichen Dank auszusprechen.

Ich verkünde heute meine formelle Annahme aller Hilfs- oder Asylangebote, die mir übermittelt worden sind und aller weiteren, die in der Zukunft vielleicht noch folgen. Mit dem Asyl, das mir etwa Venezuelas Präsident Maduro gewährt hat, ist mein Asylstatus nun offiziell. Und kein Staat hat das Recht, mich darin zu beschränken oder zu behindern, dieses Asyl wahrzunehmen. Doch wie wir gesehen haben, haben einige Regierungen in Westeuropa und Nordamerika eine Bereitschaft demonstriert, außerhalb des Gesetzes zu agieren, und dieses Verhalten dauert bis heute an. Diese gesetzeswidrige Drohung macht es mir unmöglich, nach Lateinamerika zu reisen und das Asyl wahrzunehmen, das mir dort in Einklang mit unseren gemeinsamen Rechten gewährt wurde.

Diese Bereitschaft mächtiger Staaten, außerhalb des Gesetzes zu agieren, stellt eine Bedrohung für uns alle dar und darf nicht weiter andauern. Folglich bitte ich Sie, meine Forderung an die betroffenen Länder nach Garantien für eine sichere Überfahrt zu unterstützen, damit ich nach Lateinamerika reisen kann sowie dabei, in Russland um Asyl zu bitten, bis jene Staaten dem Gesetz folgen und meine legale Reise zugelassen wird. Ich werde heute meinen Antrag in Russland einreichen und hoffe, dass positiv darüber entschieden wird."

Es war ein Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit: NSA-Enthüller Edward Snowden traf sich am Freitagnachmittag in Moskau mit Vertretern internationaler Menschenrechtsorganisationen. Das Treffen fand in einem abgesperrten Bereich des Flughafens Scheremetjewo statt, in dessen Transitbereich sich Snowden seit rund drei Wochen befindet.

Temporäres Asyl in Russland

Informationen drangen trotzdem an die Öffentlichkeit. So wurde über Twitter recht schnell bekannt, dass Snowden um Asyl in Russland gebeten hätte. Grund sei dem Vernehmen nach, dass er nicht ausreisen könne. Der Kreml formulierte am Freitag deshalb erneut Bedingungen für ein Bleiberecht: Der 30-Jährige müsse künftig vollständig auf Enthüllungen verzichten, die den USA Schaden zufügten.

Endgültiges Ziel sei deshalb auch Lateinamerika, betonte Snowden gegenüber den Menschenrechtsaktivisten. Er lud Vertreter der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International, Human Rights Watch (HRW), Transparency International sowie Anwälte und Regierungsvertreter aus Russland ein. In dem Einladungsschreiben kündigte der frühere Geheimdienstmitarbeiter bereits an, sich "für ein kurzes Statement und eine Diskussion über die nächsten Schritte" treffen zu wollen. Auf ihrer Website haben WikiLeaks am frühen Abend das ganze Statement des US-Amerikaners veröffentlicht.

Unterdessen warnten die USA warnten noch am Freitag die russische Regierung, das Asylgesuch Snowdens anzunehmen. „Russland darf Snowden nicht zu einer Propagandaplattform verhelfen“, erklärte US-Präsidentensprecher Jay Carney.

Snowden beantragte in mehr als 20 Ländern Asyl, darunter auch in Deutschland und Österreich. Während die meisten Länder ablehnten, boten ihm Venezuela, Nicaragua und Bolivien Zuflucht an.

Microsoft kooperiert mit NSA

Am Freitag wurde außerdem bekannt, dass der Software-Gigant Microsoft seit langem mit dem US-Geheimdienst NSA kooperiere. Die NSA habe sich etwa besorgt gezeigt, die Web-Chats auf dem Portal outlook.com nicht mitlesen zu können – daraufhin soll Microsoft dem Geheimdienst sogar geholfen haben, die konzerneigene Verschlüsselungstechnik zu umgehen.

Das waren die aktuellen Entwicklungen im KURIER-Live-Blog.

Russia Today berichtete per Stream live vom Flughafen in Moskau.

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