Morales "Geiselhaft" löste diplomatischen Eklat aus

Morales: "Snowden ist doch keine Fliege, die ich einfach in meinem Flugzeug verstecken kann."
Boliviens Präsident Evo Morales musste in Wien landen, weil Snowden in seinem Flugzeug vermutet wurde. Der KURIER war vor Ort.

Am V.I.P. Terminal des Wiener Flughafens herrscht noch immer hektisches Treiben. In der Nacht auf Mittwoch war Boliviens Präsident Evo Morales aus Moskau kommend in Schwechat gelandet, da ihm einige europäische Länder nach US-Intervention kurzfristig die Überfluggenehmigung entzogen hatten. Der Grund: Man vermutete, dass Morales dem US-Whistleblower Edward Snowden eine "Mitfahrgelegenheit" nach Bolivien geboten habe.

Morales "Geiselhaft" löste diplomatischen Eklat aus
Morales

Der Präsident Boliviens zeigte sich am Wiener Flughafen ob der Gerüchte empört: "Snowden ist doch keine Fliege, die ich einfach in meinem Flugzeug verstecken kann." Sowohl Morales als auch der mitgereiste VerteidigungsministerRuben Saavedraunterzogen sich einer routinemäßigen Passkontrolle. Wobei weiterer Folge Unklarheit darüber herrschte, ob danach Beamte der österreichischen Grenzpolizei das Flugzeug inspiziert hatten.

Morales "Geiselhaft" löste diplomatischen Eklat aus

Auf der einen Seite bestätigte ein sichtlich angespannter Michael Spindelegger am Vormittag vor den wartenden Journalisten, dass die heimische Grenzpolizei in der Maschine gewesen sei. In Absprache mit dem Piloten und mit Zustimmung von Morales hätte die Flughafenpolizei in Schwechat die Maschine des Präsidenten kontrolliert und "Nachschau gehalten", allerdings hätten sich die insgesamt elf Insassen - fünf Crew-Mitglieder und sechs Fluggäste - zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an Bord befunden. Ein "blinder Passagier" sei nicht gefunden worden, so der Außenminister. Andererseits gab Morales vor dem Weiterflug gegenüber dem KURIER zu Protokoll, dass er nichts von einer Kontrolle durch österreichische Offizielle wisse und er niemand anderen außer seiner Mannschaft in der Maschine gesehen habe. Dem spanischen Botschafter erteilte er eine klare Absage: Dieser wollte im Flugzeug "Kaffee trinken", um die Maschine von innen zu sehen. Morales verwies auf seine immunität und fühlte sich, wie er gegenüber den Journalisten betonte, brüskiert.

Morales in Wien: Eindrücke von der "Geiselhaft"

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Bolivian President Morales addresses a news confer
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Fehlende Genehmigung

Knapp dreizehn Stunden musste Morales in Schwechat ausharren, ehe Spanien doch die Genehmigung erteilte, seinen Luftfraum zu nutzen und auf Gran Canaria einen Tankstopp einzulegen. Die Verzögerung aus Madrid erboste Morales sichtbar. Er warnte vor möglichen diplomatischen Folgen, zumal man einen Staatspräsidenten nicht grundlos am Boden halten könne. Madrid dementierte diese Version allerdings am frühen Nachmittag. Der spanische Außenminister José Manuel García-Margallo versicherte, dass Spanien der Maschine "keinesfalls" einen Zwischenstopp auf spanischen Staatsgebiet verweigert habe. Außerdem sei es "nicht wahr", dass Madrid eine Untersuchung des Flugzeugs gefordert habe.

Morales "Geiselhaft" löste diplomatischen Eklat aus
APA13524244-2 - 03072013 - SCHWECHAT - ÖSTERREICH: ZU APA 012 AI - (v.l.) Der bolivische Präsident Evo Morales und BP Heinz Fischer am Mittwoch, 3. Juli 2013, während eines Pressestatements im General Aviation Center am Flughafen Wien-Schwechat. Das Flugzeug des bolivischen Präsidenten Morales ist wegen des Verdachts zu einer Zwischenlandung in Österreich gezwungen worden, den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden an Bord zu haben. Snowden befand sich allerdings nicht an Bord. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER

Während der Wartezeit traf Morales zunächst Bundespräsident Heinz Fischer, der dem bolivianischen Staatsoberhaupt eine "gute Weiterreise" wünschte und ihn als "einen guten Freund Österreichs" wertschätzte. Die Frage ob sich Edward Snowden in seinem Flugzeug aufhalte, verneinte Morales zunächst nur indirekt: "Ich bin doch kein Verbrecher." Später bekräftigte Morales, dass er Snowden nicht kenne, nicht einmal wisse wie man dessen Namen korrekt ausspreche. Gegenüber dem KURIER sagte der Präsident außerem, dass die USA nicht versucht habe mit ihm in Kontakt zu treten.

Diplomatische Verstimmungen

Es habe sich um eine Provokation gehandelt, nicht nur gegenüber ihm, Evo Morales, sondern auch gegenüber ganz Lateinamerika und allen Ländern der Welt, die sich nicht den USA unterordnen wollten. Welche Konsequenzen die Haltung jener europäischen Länder, die seinen Weiterflug behindert hätten, gegenüber Lateinamerika haben würden, könne er jetzt noch nicht sagen.

Der südamerikanische Staatenbund UNASUR will Stellung zum Überflugverbot der Maschine des bolivianischen Präsidenten nehmen. Ecuadors Staatschef Rafael Correa und seine argentinische Kollegin Cristina Fernandez de Kirchner forderten die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung, um gegen das Überflugverbot des bolivianischen Präsidentenflugzeugs über mehrere europäische Staaten Protest einzulegen.

Auch in europäischen Diplomatenkreisen ist der Zorn über die neuerliche Intervention der Vereinigten Staaten groß: "Nach dem NSA-Skandal haben sie mit diesen Interventionen wieder einmal einige EU-Staaten am Nasenring vorgeführt", so der Tenor.

"Keine politische Weisung"

Im Innenministerium zeigte man sich mit der Entscheidung Morales zwischenlanden zu lassen, zufrieden. "Für uns ist das selbstverständlich", so Mikl-Leitner am Mittwoch der apa. "Das ist der Beweis dafür, dass Österreich keine Angst hat." Das Vertrauen Europas in die USA nach den Berichten über Lauschangriffe bezeichnete sie als "erschüttert". Von Washington forderte sie "volle Aufklärung" der kolportierten Spähaktionen.

Die Entscheidung Österreichs, den Überflug zu gewähren, sei von der für die Luftraumsicherung zuständigen Austro Control getroffen worden, sagte Mikl-Leitner. Es habe hier "keine politische Weisung" gegeben. Von "politischen Zurufen" hinsichtlich der Frage, ob der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter und Aufdecker Edward Snowden Asyl in Österreich (siehe Hintergrund) bekommen sollte, hält Mikl-Leitner nichts. Diese seien "völlig inakzeptabel", so die Ministerin am Mittwoch.

Österreich sei "kein Willkürstaat", man werde "aufgrund der Gesetze vorgehen". Jeder habe das Recht auf ein "faires Verfahren", erklärte Mikl-Leitner. Zu den Chancen eines gültigen Asylantrages Snowdens wollte sie sich nicht äußern, dies bedürfe "keiner persönlichen Einschätzung". Jedenfalls unterliege ein Antrag - "wie jeder andere" einer Einzelfallprüfung.

Hier können Sie Morales Flugroute live verfolgen.

Morales "Geiselhaft" löste diplomatischen Eklat aus
Die Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales wurde gezwungen auf dem Flughafen Wien-Schwechat zu landen.

Dass Staatspräsidenten zu Notlandungen gezwungen werden, gehört zu den eher seltenen Spitzennachrichten der jüngeren Geschichte. Allein das Gerücht, dass Ex-NSA-Mann Edward Snowden an Bord der Maschine von Boliviens Präsident Evo Morales sein könnte reichte aus, die halbe Welt in Bewegung zu setzen. Vier europäische Staaten knickten vor dem massiven Druck der USA ein: Frankreich, Italien, Spanien und Portugal verweigerten der Präsidentenmaschine den Überflug.

Für den südamerikanischen Staatschef ein Affront der Sonderklasse – der aber nur einmal mehr beweist, wie ernst es den USA ist, den flüchtigen Whistelblower in seine Heimat zurückzudirigieren. Kein Staat der Welt, so die unversöhnliche Weltmacht, soll dem „Geheimnisverräter“ Unterschlupf gewähren. Wer es dennoch versuchen sollte, muss mit massiver Verstimmung, Drohungen, möglicherweise sogar diplomatischen und Handelssanktionen rechnen. Diesen Preis sind offenbar nicht einmal Russland und China bereit zu zahlen.

Die Frage aber ist: Muss ganz Europa, dass offenbar auch herzhaft wenig daran denkt, dem flüchtigen Ex-Geheimdienstmann Asyl zu gewähren, dem Druck der USA tatsächlich so uneingeschränkt nachgeben? Möglicherweise gäbe es Wege, diesem Vorgehen mehr eigenes Selbstbewusstsein und auch mehr Vertrauen in den gewöhnlich großen Pragmatismus der Amerikaner entgegenzusetzen. Denn auch Washington wird für die Festnahme Snowdens keinen Krieg mit der halben Welt riskieren.

Möglicherweise aber steht auch ganz gewöhnliche Abhängigkeit hinter dem übergroßen Gehorsam gegen der Supermacht. Kein einziger westlicher Staat kann heute Aufklärungsarbeit ohne die USA und ihre weltumspannenden Spionageorganisationen leisten. Bei aller Empörung diverser Politiker über die nun durch Snowden aufgeflogenen NSA-Programme darf doch als sicher gelten: In der Praxis liefern die USA den Europäern viel mehr Geheiminformationen, als sie je von Europa bekommen. Und diesen Preis, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird, wird wohl Edward Snowden zahlen.

Seit Tagen steckt Edward Snowden im Transitbereich des Scheremetjewo-Flughafens in Moskau fest und Agenten – davon kann man ausgehen – sind seine treuesten Begleiter: In Scheremetjewo ist es der russische Geheimdienst, davor, in Hongkong, war es wohl der chinesische.

Trotzdem steht Hochverrat nicht auf der Liste der Anklagen, die Washington gegen Snowden erhebt. „Hochverrat ist sehr genau in der US-Verfassung definiert“, erklärt der Experte für Nationale Sicherheit beim Washingtoner Institut für politische Analysen Brookings, Benjamin Wittes, dem KURIER. Laut Verfassung ist es Hochverrat, Krieg gegen die USA zu führen oder Feinden zu helfen, die Krieg gegen die USA führen. „Es ist klar, das Snowden keinen Hochverrat begangen hat“, so Wittes.

Die Anklage gegen Snowden ist aber auf keinen Fall harmlos: „Diebstahl von staatlichem Eigentum“, „unbefugte Weitergabe von Informationen, die mit der nationalen Verteidigung verbunden sind“, und „bewusste Weitergabe klassifizierter Geheimdienstinformationen an eine unbefugten Person“. Sollte man ihn vor Gericht bringen und für schuldig erklären, drohen Snowden zwischen 15 und 20 Jahren Haft.

Ein Gericht in Alexandria, im Bundesstaat Virginia ist für seinen Fall zuständig. „Das ist die Instanz, die für Verbrechen von US-Bundesbeamten zuständig ist,“ sagte der Experte für Cybersicherheit am US-Center for Strategic & International Studies, James Lewis, zum KURIER. Obwohl Snowden nicht direkt für die US-Regierung gearbeitet hat, sondern über eine private Firma – Booze Allen – ein externer Auftragnehmer war, falle er auch unter die Hoheit dieses Gerichts.

Langsame Behörden

Die Anklage gegen Snowden hat der US-Regierung als Grund für den Auslieferungsantrag an die Behörden in Hongkong gedient. US-Medienberichten zufolge haben diese aber den Antrag zuerst zurück nach Washington geschickt mit der Begründung, er sei nicht vollständig. Währenddessen gelang es Snowden, nach Moskau zu flüchten. Es ist immer noch unklar, warum die US-Regierung Snowden nicht gleich bei Interpol gemeldet hat, was zu einem internationalen Haftbefehl geführt hätte. Das US-Außenministerium brauchte zudem auch einige Tage, bis es Snowdens US-Reisepass für ungültig erklärte und somit seine Weiterreise unmöglich gemacht hat. „Ich habe mich auch gewundert, warum das so war“, gab Lewis zu. „Weil eben die US-Regierung langsam ist. Sie wollte überlegen, welche die richtigen Anklagen sind“, sagt der Cybersicherheits-Experte.

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