Putin: Snowden ist "ein freier Mann"
Wo ist Edward Snowden? Eine Frage, die am Dienstag offenbar nicht einmal die russischen Offiziellen genau beantworten konnten: Meinte Außenminister Sergej Lawrow Dienstagvormittag noch, der von den USA gejagte NSA-Enthüller habe "die russische Grenze nie überschritten", sagte Präsident Wladimir Putin am Nachmittag wieder etwas ganz anderes. Snowden sei nämlich nach wie vor im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo.
"Ein freier Mann"
Putin verwahrte sich gegen Vorwürfe aus den USA, Russland habe den flüchtigen Ex-Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA unterstützt. Derartige Anschuldigungen seien "Müll". Gleichwohl äußerte Putin die Hoffnung, dass der Fall Snowden das Verhältnis zu den USA nicht belasten werde. Russische Sicherheitsdienste hätten weder in der Vergangenheit noch jetzt mit Snowden zusammengearbeitet. Je eher Snowden ein neues Reiseziel wähle, desto besser.
Bewusste Aktion
WikiLeaks hilft
Niemandsland
Montagnachmittag hieß es noch, Snowden befände nach wie vor im Niemandsland des Moskauer Flughafen Scheremetjewo - von dort hätte er eigentlich nach Ecuador weiterreisen sollen. Das für Snowden gedachte Flugzeug Richtung Südamerika flog allerdings ohne ihn ab.
Der TV-Sender Russia Today berichtete, dass die Route des Flugs zwischen Moskau und Havanna auch durch US-Luftraum führe. Die US-Luftraumüberwachung könnte die Maschine somit zur Landung zwingen. Interfax hat weiters vermeldet, dass Snowden angeblich den nächsten Flug nach Havanna nehmen soll; später kam die - unbestätigte - Meldung, er halte sich gar nicht mehr in Russland auf.
Auf Twitter kursieren indes Fotos und Gerüchte, wie der Whistleblower aus Russland ausreisen will - und auch ein Bild des leeren Sitzplatzes in dem Flugzeug, das er hätte nehmen sollen, macht dort die Runde. Die Aeroflot-Maschine sei demnach besetzt mit einem Dutzend Journalisten, nur die Hauptperson glänze durch Abwesenheit. Und auch der Sitz selbst hat bereits ein eigenes Twitter-Profil verpasst bekommen.
Washington verlangt Auslieferung
Dass sich der Whistleblower in Russland aufhält, hat für diplomatische Turbulenzen gesorgt: Die USA haben laut Medienberichten Ecuador aufgefordert, Snowden kein Asyl zu gewähren, auch Venezuela und Kuba - die zuvor kolportierten Zufluchtsorte Snowdens - habe man gebeten, ihn abzuweisen.
Russland hat man indes aufgefordert, Snowden umgehend auszuliefern. "Obgleich wir kein Auslieferungsabkommen mit Russland haben, gibt es dennoch eine eindeutige juristische Grundlage, Mr. Snowden auszuliefern", erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates in Washington, Caitlin Hayden, am Dienstag. Sie verwies auf die Beschuldigungen gegen Snowden sowie auf den "Status seiner Reiseunterlagen". Die USA hatten den Reisepass des 30-Jährigen für ungültig erklärt. Hayden sagte, die US-Regierung sei mit Putin der Meinung, dass dieses Problem die bilateralen Beziehungen beider Länder nicht belasten sollte. Die USA und Russland müssten auf ihre "starke Kooperation beim Gesetzesvollzug" aufbauen.
Seit den ersten Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden vor zwei Wochen kommen immer neue Überwachungsprogramme der Geheimdienste ans Licht. Snowden arbeitet dabei vor allem mit der britischen Zeitung Guardian zusammen. Über welche Programme hat Snowden bislang berichtet und wie unterscheiden sie sich?
Sammlung von US-Telefondaten: Der US-Geheimdienst NSA hat nach Darstellung Snowdens Zugriff auf die Verbindungsdaten des Telekomanbieters Verizon, berichtet der Guardian am 6. Juni. Die Zeitung veröffentlicht die bisher geheime Gerichtsanordnung, die die Weitergabe der Verbindungsdaten anordnet. Hier geht es nicht um die Inhalte der Gespräche, sondern um die Telefonnummern des Anrufers und Angerufenen, den Ort und Zeitpunkt des Gesprächs. Betroffen sind US-Bürger mit einem Telefonvertrag von Verizon. Später berichten weitere Medien, dass auch andere US-Telefonanbieter seit Jahren ihre Daten an den Geheimdienst weitergeben müssen.
PRISM (deutsch Prisma): Ein weiteres Programm des US-Geheimdienstes NSA. Die NSA habe praktisch uneingeschränkten Zugriff auf Daten von großen Internetfirmen, berichten die Washington Post und der Guardian. Der Geheimdienst könne Inhalte von E-Mails, Fotos und angehängte Dokumente von Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, AOL, Apple und dem in Europa wenig bekannten Anbieter PalTalk durchgehen. Die Firmen bestreiten vehement, dem Geheimdienst einen direkten Draht zu ihren Servern gelegt zu haben. Sie übergäben Nutzerdaten nur auf konkrete Gerichtsbeschlüsse. Überprüfen lässt sich alles nur schwer, denn die Anordnungen stammen ebenfalls von einem Geheimgericht.
Tempora: Das bisher umfangreichste Programm, umgesetzt vom britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ). Anders als die NSA hätten die Briten nicht die Datenschränke der Internetfirmen angezapft, sondern die Übertragungskabel selbst. 200 von insgesamt 1.600 Glasfaserkabeln habe der Dienst direkt überwacht. Diese Kabel verbinden vor allem Internetknotenpunkte in Europa und Übersee. Der GCHQ zapfe hier stündlich Unmengen von Daten ab, berichtet der Guardian am 21. Juni. Die Verbindungsdaten, auch Metadaten genannt, dürften 30 Tage gespeichert werden, Inhalte der E-Mails, Nachrichten und Gespräche drei Tage. Die Daten teilt der GCHQ den Berichten zufolge mit dem US-Geheimdienst.
Schnüffeleien in China: Die NSA habe chinesische Mobilfunknachrichten und wichtige Datenübertragungsleitungen an der Tsinghua-Universität in Peking ausspioniert, sagte Snowden der Zeitung South China Morning Post. Außerdem hätten US-Geheimdienste Datenleitungen von Pacnet gehackt. Hunderte Computer in Hongkong und China seien ausspioniert worden. Pacnet betreibt eines der größten Glasfasernetze in der Asien-Pazifik-Region.
Schon wieder Ecuador. Nach dem Asyl für WikiLeaks-Gründer Julian Assange nimmt der Andenstaat nun den Enthüller des US-Spähprogramm PRISM auf und gerät damit in seiner Außenpolitik einmal mehr auf Konfrontationskurs mit den USA. Während Ecuadors Staatspräsident Rafael Correa international den Hüter der Presse- und Meinungsfreiheit gibt, geht er im eigenen Land freilich mit aller Härte gegen kritische Medien vor.
Führer der Linken Südamerikas
Correa geht es mit Ecuadors Vorgehen in den Causen Assange, der seit Juni 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London sitzt, und Snowden, der in den nächsten Tagen in Quito landen könnte, aber weniger um die Rettung von "Whistleblowern" und der Meinungsfreiheit, sondern vielmehr darum, die USA herauszufordern und sich nach dem Tod von Venezuelas Staatschef Hugo Chavez als neuer zu profilieren. Kritiker werfen Correa eine gehörige Portion "Doppelmoral" vor. Kaum ein Land in Südamerika hat die Pressefreiheit so stark eingeschränkt.
In dem von Reporter ohne Grenzen (ROG) jährlich erstellten Pressefreiheits-Ranking liegt Ecuador nur auf Platz 119 und ist zuletzt gleich um 15 Ränge abgerutscht. Gegen kritische Zeitungen wurden in der Vergangenheit hohe Geldstrafen ausgesprochen und unabhängige Journalisten wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts vor Gericht gestellt.
Medien in Ketten
Erst vor knapp zwei Wochen verabschiedete das nationale Parlament eine Reihe von Gesetzen, die unabhängigen Medien das Leben noch schwerer machen soll. Der Anteil der privaten TV- und Radiofrequenzen wird mit der Gesetzesinitiative drastisch, nämlich auf ein Drittel, reduziert. Bisher waren laut Neuer Zürcher Zeitung 71 Prozent der Fernseh- und 86 Prozent der Radiofrequenzen in privater Hand. Die frei werdenden Frequenzen sollen künftig von staatlichen und gemeinnützigen, der Regierung nahestehenden, Sendern übernommen werden.
Darüber hinaus wurden neue von der Regierung kontrollierte Überwachungsinstanzen für Medien eingeführt. Fernseh- und Radioprogramme, Presse- und Internetberichte werden dabei kontrolliert, und die Behörden können auch Sanktionen gegen Medien oder einzelne Journalisten verhängen. Neu eingeführt wurde auch das Delikt der "medialen Lynchjustiz", mit dem die "wiederholte und konzertierte Verbreitung von Information mit dem Ziel, eine natürliche oder juristische Person zu diskreditieren oder ihre Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen", verhindert werden soll. Laut Kritikern schafft es die Rechtsgrundlage zur Verfolgung des kritischen Journalismus.
Reporter ohne Grenzen forderte Präsidenten Correa in der Vergangenheit deshalb immer wieder dazu auf, kritische Journalisten nicht länger zu diffamieren und restriktive Mediengesetze zurückzunehmen. "Indem Präsident Correa Journalisten als Lügner und Manipulatoren beschimpft und verfolgt, hat er ein Klima der Einschüchterung und Selbstzensur geschaffen", kritisierte die Journalistenorganisation.
Große Armut
Ecuador ist mit rund 283.000 Quadratkilometern der kleinste Anden-Staat und etwa so groß wie Italien. Das Land im Nordwesten Südamerikas ist nach seiner Lage am Äquator benannt. Mehr als die Hälfte der rund 14 Millionen Ecuadorianer lebt in Städten an der Küste. Die Hauptstadt Quito liegt knapp 3.000 Meter hoch im Landesinneren und hat knapp zwei Million Einwohner. Geprägt wird das Land durch seine über 6.000 Meter hohen Berge und seine rund 30 noch aktiven Vulkane. Zum Staatsgebiet gehören auch die fast 1.000 Kilometer entfernten Galapagos-Inseln mit ihrer einzigartigen Tierwelt. Die Wirtschaft des Landes ist stark auf die Förderung und Produktion von Erdöl ausgerichtet. Andere wichtige Exportprodukte sind Bananen, Kaffee und Kakao. Das Land kämpft seit Jahren mit wirtschaftlichen Problemen. Jeder Zweite Ecuadorianer lebt in Armut.
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