Die Ahnungslosen und die Empörten

Im Wahlkampf wird vom US-Enthüller Behauptetes bestritten – oder dramatisiert.

Die Enthüllungen Edward Snowdens über seinen Ex-Arbeitgeber, den US-Geheimdienst NSA, empören nirgends so wie in Deutschland. Dafür gibt es drei Gründe: Es ist nach seiner Aussage das am stärksten überwachte Land nach seiner Heimat, Datenschutz hat hier einen höheren Stellenwert als woanders – und es ist Wahlkampf.

All das verleitet vor allem die Opposition und ihr nahe stehende Medien wie den das Snowden-Material in kleinen Häppchen verbreitenden Spiegel zu hoher Erregung. Die hält aber bekannten und geahnten Fakten nur schwer stand. Am Mittwoch befragte das geheimste parlamentarische Kontrollgremium die deutschen Geheimdienstchefs, ob sie die Aktivitäten der US-Freunde in Deutschland kannten. Zwischen Nichtwissen und Mitwissen entschieden sie sich, inklusive des Geheimdienstkoordinators der Regierung, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, für Ersteres. Die Regierung widerspricht damit ausdrücklich der Opposition, sie sei williger Mitwisser des US-Treibens. Intern glaubte die das sogar den Geheimdienstchefs, die den NSA-Zugriff auf den weltgrößten Computer-Knoten in Frankfurt so ausschließen wie flächendeckende Überwachung des innerdeutschen Mailverkehrs.

Nutzen und Schaden

Unplausibel wäre das für viele Kenner aber nicht. Die US- und deutschen Dienste sind seit dem Krieg enge Partner, aber, wie alle, auch Konkurrenten. Im Kalten Krieg hörte man den Osten gemeinsam ab, da profitierten die Amerikaner mehr davon. Seit in Deutschland mit rot-grünen Themen auch der rigideste Datenschutz der Welt einzog, vernachlässigen aber deutsche Regierungen die Aufklärung im Internet, deren inzwischen wichtigstes Feld: Die USA schöpfen daraus mit 20.000 Leuten 80 Prozent ihres Wissens über Terrorbedrohungen weltweit. In Deutschland sitzen nur 80 Leute ständig an Geheimdienst-Computern.

Deshalb profitierten die Deutschen in den letzten Jahren viel mehr von den US-Diensten als umgekehrt. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nannte einmal 50 Anschläge, die mithilfe von US-Informationen in Deutschland verhindert worden seien, darunter den bedrohlichen 2007 der islamistischen „Sauerland-Gruppe“.

Woher und wie legal die USA ihre Informationen bekommen, fragen die Deutschen nicht – sie würden es ohnehin nicht erfahren. Und schließlich betreiben auch die deutschen Dienste mit ihren beschränkteren Mitteln In- und Auslandsaufklärung – sie ist Kern ihrer Existenz.

Polemik

Dass nun FDP-Vize Christian Lindner das Abkommen für den Nachrichtenaustausch mit den USA aussetzen will, zeugt von wenig Verständnis für die Sicherheit der Bürger – aber von versteckten Avancen an Rot-Grün für eine Ampel-Koalition nach der Wahl.

Die Ahnungslosen und die Empörten
Peer Steinbrueck, the Social Democratic Party's (SPD) candidate for German Chancellor in the upcoming general election, and the SPD party leader Sigmar Gabriel (L) share a laugh at the SPD party convention in Berlin, June 16, 2013. REUTERS/Thomas Peter (GERMANY - Tags: POLITICS)

Der sind wohl auch die Forderungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel geschuldet, die NSA-Chefs in Deutschland und ihre „möglichen deutschen Helfershelfer“ anzuklagen sowie Snowden ein Zeugenschutzprogramm auf deutsche Kosten zu gewähren. ZDF-Vize-Chefredakteur Elmar Theveßen, einer der besten Kenner der Szene, hat wohl umsonst die Empörer vor Geheimdokumenten mit den USA aus rot-grüner Regierungszeit gewarnt.

Kanzlerin Merkel hat am Mittwoch mit US-Präsident Obama telefoniert und für nächste Woche Auskünfte in Washington versprochen bekommen. Es wird kaum das sein, was Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust sagt: Wir haben doch das meiste längst geahnt.

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