US-Botschafter: "Echter Held würde sich stellen"

epa03735257 A general view of the headquarters of the National Security Administration (NSA) in Fort Meade, Maryland, USA, 07 June 2013. According to media reports, a secret intelligence program called 'Prism' run by the US Government's National Security Agency has been collecting data from millions of communication service subscribers through access to many of the top US Internet companies, including Google, Facebook, Apple and Verizon. EPA/JIM LO SCALZO
Für die USA ist Snowden schlicht ein Krimineller, der vor Gericht muss.

Eigentlich – zumindest aus der Perspektive Washingtons – ist die Angelegenheit sehr einfach. Edward Snowden ist weiterhin amerikanischer Staatsbürger. Also kann er – auch ohne Pass – jederzeit in die USA zurückkehren und sich den Behörden stellen. Das, so betont auch William Eacho, US-Botschafter in Wien, wäre die korrekte Einstellung: „Ein echter Held würde in die Heimat zurückkehren, sich stellen und auf die Gerichte vertrauen.“

Snowden stattdessen verlasse sich lieber auf nicht gerade lupenreine Rechtsstaaten wie China. Dass die österreichischen Behörden den US-Haftbefehl für Snowden akzeptieren würden, ist für Eacho selbstverständlich. Man geht davon aus, dass Österreich den NSA-Aufdecker, falls er hier auftaucht, umgehend ausliefern würde.

Falsche Gerüchte über eine Landung Snowdens in Wien/Schwechat Dienstagnacht sorgten für Aufregung.

Streng kontrolliert

Was Snowden getan habe, sei schlicht Verrat militärischer Geheimnisse und daher eine Straftat. Dass die US-Geheimdienste auch nicht gerade nach dem Buchstaben des Gesetzes gehandelt hätten, bestreitet Eacho vehement.

Die gesammelten Daten seien immer nur in ganz konkreten Verdachtsfällen gegen Verbrecher oder Terroristen ausgewertet worden, und das unter Kontrolle der Justiz und mit Genehmigung des US-Kongresses.

Nur durch den Einsatz dieser Daten, das machte auch Geheimdienst-Chef Keith Alexander kürzlich vor dem Kongress deutlich, seien Terroranschläge verhindert worden: „Was wir tun, beschützt die bürgerlichen Freiheiten und die Privatsphäre der Amerikaner.“ Leider könne man das wegen der Geheimhaltungs-Vorschriften derzeit nicht beweisen: „Wie erklären wir das der Öffentlichkeit, und beschützen trotzdem weiter unser Land? Das ist das Problem, das wir noch lösen müssen.“

Auch Botschafter Eacho bedauert, dass man in diesen Fällen nicht transparenter handeln könne. Mit den Polizeibehörden der europäischen Partner würde man aber ohnehin ständig eng kooperieren: „Daten und Informationen werden hier in beide Richtungen ausgetauscht.“

Die enge polizeiliche Zusammenarbeit habe schon oft zur erfolgreichen Verhaftung von Kriminellen geführt.

Amerikaner empört

Die Mehrheit der Amerikaner jedenfalls, so betont der Botschafter, würde sich über Snowdens Geheimnis-Diebstahl empören, nicht aber über die Abhörungen durch den Geheimdienst.

Dass man das in Österreich, anders sieht, liegt laut Eacho an der Geschichte. Man habe hier Erfahrungen mit totalitären Regimen gemacht, sei daher sensibler.

Einziges Anliegen der NSA-Aktivitäten sei, die Sicherheit der Bürger zu verbessern.

Gerüchte, dass die Amerikaner in Europa auch Wirtschaftsspionage betreiben würden, weist der Botschafter vehement zurück. US-Unternehmen gehörten Aktionären und nicht dem Staat. „Wenn wir Unternehmen ausspionieren“, scherzt der Diplomat, „wem sollten wir dann die Daten liefern, der einen Firma, oder der Konkurrenz.“

Spionage „überflüssig“

Kritisch aber sieht auch Eacho die Berichte über Überwachung von EU-Behörden und Vertretungen in den USA. Zwar zweifelt er, dass diese jemals stattgefunden hat, wenn aber doch, dann sei das „überflüssig: Wir spionieren unsere Partner nicht aus, das müssen wir nicht. Wir arbeiten ohnehin eng zusammen.“

Die Welle der Empörung ist noch lange nicht abgeebbt: Im EU-Parlament in Straßburg gab es am Mittwoch neuerlich eine Debatte zur vermuteten Spionage durch US-Geheimdienste. In die scharf formulierten Forderungen nach Aufklärung mischte sich eine Prise Hilflosigkeit: Man kann Antworten von den USA verlangen, erzwingen kann man sie nicht.

Schon in ganz praktischen Fragen zeigt sich, wie sehr die EU vom transatlantischen Lauschangriff überrascht wurde – und wie unvorbereitet sie darauf offenbar war. So wissen etwa selbst die Abgeordneten nicht, wer im EU-Parlament beispielsweise für den Abhörschutz zuständig ist; wer Räume, in denen vertrauliche Gespräche stattfinden, auf Wanzen untersucht. In Brüssel die belgische Polizei, in Straßburg die französische – oder doch die Parlamentsverwaltung selbst?

Hans-Peter Martin hat diese Fragen nun in einem Brief an Parlamentspräsident Schulz gestellt. Martin, immerhin seit 1999 Europa-Abgeordneter, sagt, ihm sei in all den Jahren noch keine Sicherheitseinheit untergekommen, die sich um diese Dinge kümmert: „Ich befürchte, es gibt gar keine.“

Am Donnerstag soll im Parlament ein spezieller Unterausschuss des Innenausschusses eingesetzt werden, der die Vorwürfe klären soll. Ein U-Ausschuss zu dieser Causa dürfte formal schwierig einzusetzen sein.

Zahnlose Aufklärung

Unabhängig von der Form des Ausschusses ist fraglich, was überhaupt aufgeklärt werden kann. Beim U-Ausschuss zur „Echelon-Affäre“ 2000/’01, als es ebenfalls um die Überwachung durch US-Agenten ging, zeigte sich, dass Zeugen und Dokumente zu Geheimdienst-Angelegenheiten kaum zu bekommen sind. Von den USA schon gar nicht, und auch die EU-Regierungen waren wenig auskunftsfreudig.

Am aussichtsreichsten wäre wohl noch, bei der Aufklärung im Parlament bei ihnen und den europäischen Geheimdiensten anzusetzen: Wer wusste was – und wer hat den Amerikanern gar beim Spähen geholfen?

Einzig taugliches Druckmittel, Antworten aus Washington zu bekommen, scheint die Verknüpfung der Affäre mit den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen. Doch selbst hier gibt es keine einheitliche Position.

Zwei Wochen Aufschub

Frankreich hat sich am Mittwoch den Forderungen aus dem EU-Parlament angeschlossen, den für kommende Woche geplanten Verhandlungsstart zu verschieben, bis die Vorwürfe geklärt sind. „Es geht nicht darum, die Verhandlungen abzubrechen, aber es erscheint uns klug, sie zeitweise auszusetzen“, sagte eine Regierungssprecherin. In Paris denkt man an einen Aufschub von zwei Wochen; in dieser Zeit sollen sich die USA erklären.

Doch die EU-Kommission, die für die Mitgliedsstaaten verhandelt, macht bislang keine Anstalten, das erste Treffen am Montag zu verschieben. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel dürfte diese Position teilen; in Berlin heißt es, die deutsche Regierung wolle keine Verzögerung bei den Verhandlungen.

Seit Tagen steckt Edward Snowden im Transitbereich des Scheremetjewo-Flughafens in Moskau fest und Agenten – davon kann man ausgehen – sind seine treuesten Begleiter: In Scheremetjewo ist es der russische Geheimdienst, davor, in Hongkong, war es wohl der chinesische.

Trotzdem steht Hochverrat nicht auf der Liste der Anklagen, die Washington gegen Snowden erhebt. „Hochverrat ist sehr genau in der US-Verfassung definiert“, erklärt der Experte für Nationale Sicherheit beim Washingtoner Institut für politische Analysen Brookings, Benjamin Wittes, dem KURIER. Laut Verfassung ist es Hochverrat, Krieg gegen die USA zu führen oder Feinden zu helfen, die Krieg gegen die USA führen. „Es ist klar, das Snowden keinen Hochverrat begangen hat“, so Wittes.

Die Anklage gegen Snowden ist aber auf keinen Fall harmlos: „Diebstahl von staatlichem Eigentum“, „unbefugte Weitergabe von Informationen, die mit der nationalen Verteidigung verbunden sind“, und „bewusste Weitergabe klassifizierter Geheimdienstinformationen an eine unbefugten Person“. Sollte man ihn vor Gericht bringen und für schuldig erklären, drohen Snowden zwischen 15 und 20 Jahren Haft.

Ein Gericht in Alexandria, im Bundesstaat Virginia ist für seinen Fall zuständig. „Das ist die Instanz, die für Verbrechen von US-Bundesbeamten zuständig ist,“ sagte der Experte für Cybersicherheit am US-Center for Strategic & International Studies, James Lewis, zum KURIER. Obwohl Snowden nicht direkt für die US-Regierung gearbeitet hat, sondern über eine private Firma – Booze Allen – ein externer Auftragnehmer war, falle er auch unter die Hoheit dieses Gerichts.

Langsame Behörden

Die Anklage gegen Snowden hat der US-Regierung als Grund für den Auslieferungsantrag an die Behörden in Hongkong gedient. US-Medienberichten zufolge haben diese aber den Antrag zuerst zurück nach Washington geschickt mit der Begründung, er sei nicht vollständig. Währenddessen gelang es Snowden, nach Moskau zu flüchten. Es ist immer noch unklar, warum die US-Regierung Snowden nicht gleich bei Interpol gemeldet hat, was zu einem internationalen Haftbefehl geführt hätte. Das US-Außenministerium brauchte zudem auch einige Tage, bis es Snowdens US-Reisepass für ungültig erklärte und somit seine Weiterreise unmöglich gemacht hat. „Ich habe mich auch gewundert, warum das so war“, gab Lewis zu. „Weil eben die US-Regierung langsam ist. Sie wollte überlegen, welche die richtigen Anklagen sind“, sagt der Cybersicherheits-Experte.

Einheitlich ist zwar die Empörung der österreichischen Regierung über die Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmannes. Genauso geschlossen aber wehrte man am Dienstag sein Asylansuchen ab. Montag Nachmittag hatte Snowden über einen Mittelsmann einen Asylantrag in der österreichischen Botschaft gestellt – ebenso wie für 18 weitere Länder.

Doch Österreich wird Snowdens Antrag erst gar nicht behandeln – er ist nicht gültig. „Fakt ist“, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im Ministerrat, „dass ein solcher Antrag nur im Land gestellt werden kann.“ Mehrere andere Länder winkten ebenfalls mit der selben Begründung ab – nur im Asylland selbst könne ein rechtsgültiger Antrag persönlich gestellt werden. Auch Herbert Langthaler von der Asyl-Koordination bestätigte gegenüber dem KURIER, „dass Snowden so lange keine Chance hat, so lange er nicht einreisen kann.“

Doch was auf rechtlichem Weg derzeit unmöglich scheint, ist auf politischem Weg nicht ganz ausgeschlossen. In Deutschland, wo man Snowdens Asylantrag ebenfalls zurückwies, deutete Innenminister Friedrich bereits an: „Am Ende wird es möglicherweise eine politische Frage sein.“

Bei entsprechendem politischem Entgegenkommen könne man laut Herbert Langthaler durchaus einen Deal finden, wie Snowden in Österreich einreisen und dann seinen Asylantrag stellen könnte. Auch Peter Pilz, Sicherheitssprecher der Grünen, macht sich für eine „politische Lösung“ stark“. „Zuerst müssen wir mit den Russen reden und sie bitten, Snowden in ein Flugzeug steigen zu lassen. Dafür braucht er nur ein Flugticket. Und dann“, so Pilz im Gespräch mit dem KURIER, „müsste er in Schwechat einreisen dürfen, ohne abgewiesen zu werden.“

Hier könnte die Innenministerin ein Verfahren auf humanitäres Bleiberecht eröffnen. Ob Snowden dann auch nur ein Visum oder eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhält, sei letztlich nicht so entscheidend als vielmehr: „Österreich muss im Grunde nur eine einzige politische Entscheidung treffen: Schützen wir Snowden und geben der politischen Erpressung nicht nach oder schützen wir den amerikanischen Überwachungsstaat?“

Die USA aber haben schwere diplomatische Geschütze gegen Staaten aufgefahren, die eventuell mit dem Gedanken spielen könnten, Edward Snowden aufzunehmen. So wurden laut Presse mehrere europäische Staaten in harschen Verbalnoten aufgefordert, die USA sofort zu benachrichtigen, sollte der Ex-Geheimdienstmann anreisen. Dann müsse dieser an die USA ausgeliefert werden.

Dass Washington den Druck auch gegenüber Österreich erhöhen würde, sollte Snowden je hier ankommen, lässt Pilz kalt. „Darüber würde ich mir keine Sorgen machen. Die USA so wie alle anderen Großmächte auch, drohen immer. Aber im Regelfall reagieren die USA erstaunlich pragmatisch.“

Selbst wenn der 30-jährige Snowden in Österreich Aufnahme gefunden hätte, wäre er noch nicht in absoluter Sicherheit. Laut Verträgen müsste Österreich den per internationalem Haftbefehl gesuchten Snowden ausliefern. Ausnahme: Droht ihm in den USA die Todesstrafe oder „Gefahr für Leib und Leben“, dürfte er nicht an die US-Behörden übergeben werden. Vorerst aber ist Snowden nur für „Diebstahl von Regierungseigentum“ angeklagt, worauf im Höchstfall bis zu 20 Jahren Haft stehen.

Welche und wie viele Daten der US-Geheimdienst NSA in Österreich ausspioniert hat, bleibt weiter unklar. US-Botschafter William Eacho, der am Montag ins Außenamt zitiert worden war, erhielt einen Fragenkatalog. Die Antworten darauf hofft die Regierung bis spätestens nächste Woche zu erhalten. „Man kann nicht hinterrücks abgehört werden“, machte gestern Außenminister Michael Spindelegger noch einmal deutlich. „Hier muss man als Staat klar sagen, dass dieses Verhalten absolut inakzeptabel ist.“

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