Warum Superheldinnen wie Männerfantasien aussehen müssen
Wonderwoman ist schneller als Hermes und stärker als Herkules. In Sachen Feminismus allerdings, da ginge noch was.
Die Germanistin Susanne Hochreiter und ihre Kolleginnen Marina Rauchenbacher und Katharina Serles von der Universität Wien untersuchen, inwieweit Comics und Graphic Novels als emanzipatorisches Tool taugen und wie Fragen nach Geschichte und Rollenbildern darin ausverhandelt werden.
Auf die Superheldinnen sind sie gekommen, weil sie schon als Kinder begeisterte Comic-Leserinnen waren. Und natürlich liegt bei der Beschäftigung mit diesen gezeichneten idealisierten Kraftkörpern die Frage nach Geschlechterordnungen auf der Hand: Warum reicht es nicht, dass Wonderwoman oder Catwoman stark, schlau und geschickt in Selbstverteidigung sind? Warum müssen sie außerdem noch super-sexy sein?
Männerfantasien
„Comics haben sich in den vergangenen Jahren als sehr wandelbar gezeigt. Wonderwoman, Supergirl oder Catwoman stammen allerdings aus einer anderen Zeit, sie hatte ihren ersten Auftritt im Zweiten Weltkrieg. Frauen hatten in jedem Krieg eine ambivalente Rolle inne und waren zugleich immer Adressatinnen für Propaganda. Da war es interessant, starke Frauen, Superheldinnen zu erfinden“, erläutert Hochreiter. „Dass sie zugleich auszusehen hatten wie Männer-Fantasien, hat mit einem bestimmten Konzept von Weiblichkeit und Männlichkeit zu tun. Frauen sollten in den 1940ern zwar stark sein, aber sicher nicht stärker als Männer. Das gilt leider heute noch. Wonderwoman darf nicht stärker sein als Superman. Und die heterosexuelle Ordnung muss aufrecht bleiben. Es tauchte ja immer wieder der Gedanke auf, dass Wonderwoman womöglich lesbisch sei, weil sie aus einer matriarchalen Welt stammt. Also braucht es immer wieder eine unsägliche Lovestory, um Wonderwoman eine anschmiegsame Seite zu verleihen und die übliche Ordnung zu bewahren.“
Da geht noch mehr
Dabei sei Wonderwoman aus feministischer Sicht durchaus interessant. „Es ist einfach cool, starke Frauen zu sehen. Diese frauendominierte Welt macht Spaß und ist lustvoll, sie zeigt den Männern, wo es lang geht. Man darf nicht unterschätzen, was das für den Mainstream heißt. Aber natürlich ginge aus feministischer Sicht mehr.“
So, wie zum Beispiel in Regina Hofers Comic „Blad“ (Luftschachtverlag), das semi-autobiografisch vom Leben mit Bulimie und von der Kindheit als Ursprung allen Übels erzählt. Das Gefühl, sich im eigenen Körper nicht wohlzufühlen, geht schon auf das Aufwachsen auf dem Land zurück, wo die Protagonistin früh merkt, dass brav sein in ihrer Familie mit dem Essen zu tun hat. Der Rest ergibt sich fast von selbst: früh einsetzende Pubertät, erschreckende Wachstumsschübe, Magersucht, Haarausfall, Essanfälle, Nachprüfung in Mathematik; mit achtzehn folgt ein Kunststudium und die Hoffnung auf einen Neuanfang. Ob die Erzählerin ihn schafft und die Krankheit in den Griff bekommt? Das lässt die Graphic Novel offen. Es gibt hier keine Ratschläge.
Forscherin Hochreiter sieht in dieser Form des Erzählens ein großes Potenzial für Künstlerinnen, sich zu artikulieren. „In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Graphic Novels zu Orten entwickelt, in denen Geschlecht und Identität besonders im Vordergrund stehen. Die autobiografische Dimension bietet viele Ausdrucksmöglichkeiten, weil das Medium dafür sorgt, dass sich ein bestimmter Voyeurismus erst gar nicht einstellen kann. Sie ermöglicht Künstlerinnen, zum Beispiel Fragen von Körperlichkeit zu thematisieren, ohne sich auszustellen, etwa, wenn es um sexuellen Missbrauch geht.“
Davon erzählt auch Ulli Lusts mehrfach preisgekröntes Comic „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ (Avant-Verlag), das ebenfalls zu den insgesamt 500 Comics und Graphic Novels gehört, die die Germanistinnen im Rahmen ihres Projektes untersuchen. Lust erzählt darin von zwei Punk-Mädchen, die sich von Wien aus nach Italien aufmachen, um Meer und Freiheit zu finden. Sie finden außerdem Mafia, Drogen und sexuellen Missbrauch. Moralisierend ist die Graphic Novel deshalb aber keineswegs. An keiner Stelle wird angedeutet, die Mädchen hätten sich die Zores ersparen können, wären sie bloß daheim geblieben.
Ist „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ deshalb ein emanzipatorisches Werk? Kann Comic diese Rolle überhaupt erfüllen? „Comic ist erst einmal nur ein literarisches Werkzeug, kein Inhalt. Zeichnerinnen und Autorinnen arbeiten heute mit dem Medium Comic, um ihre eigene gesellschaftliche Realität abzubilden, und die gestaltet sich wesentlich differenzierter als in Massenprodukten“, sagt Ulli Lust.
Und wie sieht die Künstlerin im Vergleich dazu die Superheldinnen-Comics? Haben die irgendetwas mit der gesellschaftlichen Realität ihrer Zeit zu tun? „Diese Comics sollten Unterhaltung für ein Massenpublikum liefern, sie arbeiten mit starker Vereinfachung. Deshalb sind sie tatsächlich ein zugespitztes Abbild der gesellschaftlichen Realität, sie verraten das Selbstbild der jeweiligen Gesellschaft. Frauen wurden nicht sexualisiert, weil Comic-Heldinnen das Rollenmodell vorgaben, sondern die Figuren sind Manifestationen der damaligen Ideale.“
Sexuell begehrenswert
Die Protagonistinnen der klassischen US-Comics waren Frauen der Fünfzigerjahre: „Sie sollten vor allem gut aussehen, was gleichbedeutend war mit sexuell begehrenswert. Aber man gab sich modern, die Heldinnen durften kämpfen. Dabei haben wir gelernt: Frauen kämpfen anders als Männer. Sie verdrehen ständig den Oberkörper, damit alle hervorragenden Körperteile besonders gut ins Bild rücken. Die Kampftechnik nennt sich ,Boobs and Butt Pose’. Mittlerweile ist aufgefallen, wie lächerlich das ist“, sagt Lust und fügt hinzu: „Weibliche Helden müssen heute nicht mehr von männlichen Helden aus dem Inferno gerettet werden. Sie sehen allerdings immer noch gut aus, aber das tun die männlichen Helden auch. Menschen schauen gerne schöne Menschen an.“
Kommentare