Unentdeckte Speicheldrüsen: Was hat es mit dem "neuen Organ" auf sich?
"Es ist immer wieder spannend, was moderne Bildgebungsverfahren im menschlichen Körper alles sichtbar machen können", zeigt sich Wolfgang J. Weninger, Leiter der Abteilung für Anatomie der MedUni Wien, erstaunt. Er bezieht sich auf kürzlich veröffentlichte Schädelscans.
Niederländische Mediziner wollen darauf zwei bisher unbekannte, spindelförmige Speicheldrüsen erkannt haben. Dort, wo die Nasenhöhlen auf den Rachen treffen.
Kontroverser Fund
Der Zufallsfund – die Onkologen des Netherlands Cancer Institute stießen bei der Durchsicht spezieller bildgebender Diagnoseverfahren für Prostatakarzinome auf die sonderbaren Strukturen – beschert den Ärzten nun weltweite Aufmerksamkeit. In der dazugehörigen Studie sprechen sie immerhin von der Entdeckung eines "neuen Organs". An dieser Interpretation zweifelt Experte Weninger: "Ich bin nicht sehr überzeugt, dass es sich um Speicheldrüsen im eigentlichen Sinn und damit wirklich um ein neues Organ handelt."
Der Mensch verfügt über drei bekannte große Speicheldrüsenpaare im Mundraum – das größte liegt direkt hinter dem Kiefergelenk unterhalb und vor den Ohren, das zweite seitlich unter der Zunge, das dritte seitlich unter dem Kiefer. Viele weitere winzige Speicheldrüsen sitzen überall innerhalb der Schleimhaut von Lippen, Mundraum und Rachen verteilt. Sie alle produzieren Speichel, der beim Zerkleinern der Nahrung als Teil des Verdauungsprozesses und bei der Wundheilung behilflich ist.
Andere Funktion
"In der Region der Luftwege, wo die niederländischen Kollegen die vermeintlichen, größeren Speicheldrüsen verorten, herrscht ebenfalls eine sehr hohe Dichte vereinzelter kleiner Drüsen. Sie befeuchten durch die Abgabe von Sekreten die Atemluft und produzieren Schleim, der Schmutzpartikel auffängt. Aber sie produzieren nicht das für Speicheldrüsen charakteristische Verdauungsenzym", sagt Weninger. Mit der Funktion echter Speicheldrüsen sei das nicht vergleichbar. Das dort abgesonderte Drüsensekret gelangt auch nicht in den Mund, sondern nur in den Schlund.
Die Onkologen schreiben wiederum, dass sie beim Sezieren zweier Leichname am besagten Gewebe Ähnlichkeiten mit Speicheldrüsen festgestellt hätten. Der Fund, betonen sie, könnte erklären, warum Menschen, die sich einer Strahlentherapie bei bösartigen Kopf-Hals-Tumoren unterziehen, häufig an chronischer Mundtrockenheit leiden. Bei der Behandlung von Krebspatienten ist der Speicheldrüsenschutz wesentlich, um das empfindliche Gewebe nicht dauerhaft zu schädigen. Da die Drüsen Ärzten nicht bekannt waren, "hat niemand versucht, sie bei solchen Behandlungen zu schonen".
Müssen Anatomie-Bücher nun überarbeitet werden? "Nein", meint Weninger, "im Laufe der Zeit wird aber wohl eine genauere Beschreibung des Drüsengewebes in dieser Region in die Literatur eingehen".
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