Zufallsfund: Ärzte stoßen auf neues Organ mitten im Kopf

MRI Brain Scan of head and skull with hand pointing
Dabei soll es sich um ein zusätzliches Set an Speicheldrüsen im Nasen-Rachen-Raum handeln.

In der Fachwelt war man sich bisher eigentlich einig: Der Mensch verfügt über drei große Speicheldrüsenpaare im Mundraum – das größte liegt direkt hinter dem Kiefergelenk unterhalb und vor den Ohren, das zweite seitlich unter der Zunge, das dritte seitlich unter dem Kiefer. Darüber hinaus sind zahlreiche winzige Speicheldrüsen überall im Mund verteilt. Sie alle produzieren Speichel, der beim Zerkleinern der Nahrung als Teil des Verdauungsprozesses behilflich ist.

Anatomische Adaption

Niederländische Wissenschafter machen nun mit einer überraschenden Nachricht von sich reden: Im Zuge von Prostatakrebsforschungen konnten sie eigenen Angaben zufolge ein weiteres großes Speicheldrüsenpaar identifizieren – und zwar dort, wo die Nasenhöhlen auf den Rachen treffen. Der Rachen liegt im hinteren Mundbereich zwischen Nasenhöhle und oberhalb der Speiseröhre.

Die zusätzliche Spuckequelle taucht in modernen Anatomiebüchern nicht auf. Bisher schien man sich ihrer Existenz schlicht nicht bewusst zu sein, so die Mediziner. "Jetzt denken wir, dass es ein viertes Paar gibt", sagte Matthijs Valstar, Chirurg und Forscher am Netherlands Cancer Institute und Hauptautor der Studie, die kürzlich im Fachblatt Radiotherapy and Oncology veröffentlicht wurde.

Untersucht wurde nur ein kleines Patientenkollektiv, dennoch "scheint es, als ob man da auf etwas gestoßen wäre", kommentierte die Klinische Pathologin Valerie Fitzhugh von Rutgers University, die nicht an der Studie beteiligt war, die Erkenntnisse im Interview mit der New York Times. Unter weiter: "Wenn es wahr ist, könnte es die Art und Weise verändern, wie wir Krankheiten in dieser Körperregion betrachten."

Yvonne Mowery, Radioonkologin an der Duke University, zeigte sich gegenüber der New York Times "ziemlich schockiert, dass wir im Jahr 2020 sind und eine neue Struktur im menschlichen Körper identifiziert haben".

In der Anatomie bezeichnet man sämtliche Organe, die eine Substanz produzieren und diese über Sekretion ausschütten, als Drüsen.

Auf Scans aufgetaucht

Valstar und seine Kollegen, die normalerweise Daten von Menschen mit Prostatakrebs untersuchen, stießen durch Zufall auf die unbekannten Drüsen. Allerdings sind Speicheldrüsen ganz grundsätzlich für Onkologen von großem Interesse: Sie produzieren täglich rund einen Liter Speichel, was für "viele Dinge verantwortlich ist, die uns das Leben genießen lassen", sagte Valstar. Speichel hält den Mund feucht und erleichtert das Sprechen und Schlucken. Er macht Nahrungsbissen gleitfähig. Außerdem enthält Speichel Verdauungsenzyme, ist wichtig für das Erkennen von Geschmack und hilft bei der Wundheilung im Mund.

Werden Krebspatienten mittels Strahlentherapie behandelt, ist der Schutz der Drüsen wesentlich, um das empfindliche Gewebe nicht dauerhaft zu schädigen.

Bei der Durchsicht von PSMA-Scans (höchstempfindliches Verfahren zur Diagnose des Prostatakarzinoms) bemerkten die Forscher zwei unbekannte Strukturen mitten im Kopf: zwei flache, spindelförmige Drüsen mit einer Länge von einigen Zentimetern.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, sezierten sie Gewebe von zwei Leichnamen und stellten offenbar fest, dass die Drüsen Ähnlichkeiten mit bereits bekannten Speicheldrüsen aufweisen, die unter der Zunge sitzen.

Wichtige Einblicke

Unklar bleibt, wie sich die Drüsen der Kenntnis von Anatomen bisher entziehen konnten. Ihre Position sei versteckt, man benötige "sehr empfindliche Bildgebungsverfahren, um sie zu erkennen", erklärte Wouter Vogel, Radioonkologe und Mitautor der Studie. Die anderen großen Speicheldrüsen des Körpers, die näher an der Hautoberfläche sitzen, können zudem relativ einfach punktiert werden. Dies sei beim vierten Paar weitaus schwieriger.

Der neue Fund, betonte Vogel, könnte erklären, warum Menschen, die sich einer Strahlentherapie bei bösartigen Kopf-Hals-Tumoren unterziehen, häufig an chronischer Mundtrockenheit und Schluckproblemen leiden. Da die Drüsen Ärzten nicht bekannt waren, "hat niemand versucht, sie bei solchen Behandlungen zu schonen".

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