Soziologin Schels: "Bei der Matura geht es auch um Status"

Die mündliche Matura entfällt grundsätzlich
Brigitte Schels über den anbleibenden Run auf die Gymnasien, der Vorteil des dualen Systems und den Boom der Fachhochschulen.

40.000  junge Menschen machen diese Woche ihre Maturaprüfungen. Warum diese für junge Menschen so viel bedeuten und wie die Corona-Krise bestimmte Berufe attraktiver machen könnte, weiß Brigitte Schels. Die Arbeitssoziologin hat derzeit eine Gastprofessur an der  Uni Wien.

KURIER: Heuer ist ein besonderes Maturajahr – nichts ist aufgrund der Coronakrise  wie gewohnt.

Brigitte Schels:  Ich bin gespannt, ob die heurige Matura  anders gesehen wird. Das Zertifikat ist sicher das Gleiche. Es wird sich zeigen, wie die heurigen Absolventen bewertet werden – als die mit der leichten Matura oder die, die sie  trotz schwieriger  Rahmenbedingungen geschafft haben.

Soziologin Schels: "Bei der Matura geht es auch um Status"

So viele haben auf das Ziel Reifeprüfung hin gearbeitet. Geht es ohne Matura heute gar nicht mehr?

Da kommen mehrere Tendenzen zusammen. Mittlerweile machen gut  40 Prozent eines Jahrgangs  Matura. Damit hat diese an Seltenheitswert verloren und  sich als  neuer Standard etabliert – sie  ist Voraussetzung, um spätere Einkommen, Ansehen und Lebens chancen zu generieren. Die Matura ist zudem immer noch der  Königsweg zum Studium – vielleicht  in Österreich mehr als in Deutschland, wo nach dem Abitur mehr Schülerinnen und Schüler  eine Lehre machen.  Der Run auf die Gymnasien wird jedenfalls anhalten. Laut  Prognosen  wird in einigen Jahren jeder Zweite maturieren.

Ein Handwerker verdient heute manchmal mehr als ein Akademiker. Warum sind bei vielen Schülerinnen und Schüler die Lehrberufe dennoch unattraktiv?

Da geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Status und hohes Ansehen, das mit einer Matura und einem Studium gewonnen wird. Mit dem   demografischen Wandel kommen die Lehrberufe noch mehr unter Druck.

Kann man so etwas ändern? Es bringt ja nichts, wenn wir Diplomingenieure haben, die eine Maschine planen, aber keinen Mechaniker, der sie zusammenbauen kann.

Das sind die offenen Fragen in diesem Umbruch in der Wissensgesellschaft. Wir haben. Einerseits haben wir europaweit den Trend zur Akademisierung und andererseits die Vorstellung, dass Wohlstand einer Gesellschaft daran bewertet wird, wie viel Hochschulabschlüsse in einem Land gemacht werden. Die deutschsprachigen Länder  haben wegen ihres  dualen Ausbildungssystems eine geringere Akademikerquote.

Thema Aufstieg durch Bildung: Österreich hier mit anderen Ländern zu vergleichen, ist auch deshalb so schwierig, weil es bei uns eben Alternativen zur Matura  und zum Studium gibt.

Der internationale Vergleich ist immer schwierig, weil immer die Frage ist, welche Maßzahlen  man als Erfolgskritieren festlegt. Aber Bildungsaufstieg und Chancengleichheit sind  Fragen, die sich an andere Stelle stellen: Haben alle Kinder im Bildungssystem die gleichen Chancen, das Beste aus sich herauszuholen?

Da ist Österreich nicht sonderlich gut?

Eine frühe Aufspaltung in  Bildungszweige, also die  Trennung nach der vierten Klasse, ist sicher eine Quelle, die Ungleichheit  vergrößert. Das zeigen viele Studien.

Die Fachhochschulen erleben einen Boom, auch zu Lasten der Lehrberufe. Erleben wir eine Amerikanisierung des Bildungssystems, wo Abschlüsse an die Hochschulen verlegt werden?

So eins zu eins kann ich das nicht beobachten. Im Hochschulbereich gab es durch den Bologna-Prozess eine Internationalisierung, um so Abschlüsse anschlussfähig zu machen.  Die  FHs wurden zunehmend aufgewertet und den Unis  gleichgestellt – sicher auch auf Wunsch der Wirtschaft, die Absolventen wünscht, die nicht Allgemeinwissen, sondern Spezialisierung mitbringen. Gleichzeitig ist man  stolz auf die duale Ausbildung. Und man blickt darauf, wie gut diese auf bestimmte  Tätigkeiten vorbereitet. In anderen Ländern fehlen diese Handwerker, wie sie es hier gibt. Gleichzeitig sieht man in  der Lehre eine Möglichkeit, für Nicht-Maturanten eine Qualifitaktion zu finden, was  das gleichzeitig den Arbeitsmarkt stabilisier. Ein  Grund, warum andere auf das duale System schielen.

Das bei uns aber unter Druck kommt. Wie kann man das attraktiver machen?

Man kann steuern, etwa über Einkommensanreize. Doch welche Berufe angesehen sind, sind Dinge, die man nicht so schnell beeinflussen kann.  Die Pflegeberufe sind hierfür ein aktuelles Beispiel. In Deutschland wird angesichts der Corona-Krise diskutiert, dass die Pflegeberufe eine Aufwertung benötigen und hier wird eben gerade über eine Aufwertung über  eine bessere Bezahlung diskutiert. Das ist die Schraube, woran der Staat insbesondere drehen kann. Die Arbeitsbedingungen wären ein weiterer Faktor -– an der Schichtarbeit kann man in der Pflege sicher nichts ändern, aber in der Ausstattung der Stationen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Unabhängig von Corona wird aber seit Jahre die Professionalisierung der Pflege über Studiengänge an Hochschulen diskutiert.

Aufstieg durch Bildung heißt es immer. Doch stimmt das? Oder habe ich nicht schon verloren, wenn ich nicht Lisa, sonder Ajse heiße?

Bildungszertifkate sind zentral, aber nicht alles. Personen mit Migrationshintergrund haben oftmals Nachteile –  im Vergleich zu anderen Absolventen mit gleichen Abschlüssen.

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