Warum Österreichs Schüler immer mehr unter Prüfungsangst leiden
Natascha ist 14 Jahre alt und verliert vor Mathematik-Schularbeiten die Nerven. Wenn sie die Angaben bekommt, hat sie ein Blackout. Egal wie gut sie es bei den Vorbereitungen gekonnt hat. Damit ist sie nicht allein: Jeder zweite Jugendliche in Österreich fürchtet sich vor Prüfungen, zeigt eine neue Umfrage. Und jeder dritte Schüler zwischen 10 und 19 Jahren empfindet die Schule als Belastung, stellte das Nachhilfeinstitut Lernquadrat fest, das dafür nicht nur "seine" Schüler befragte.
Die österreichischen Ergebnisse entsprechen dem allgemeinen Trend: Eine Studie des deutschen Meinungsforschungsinstitut Forsa kam kürzlich auch zu dramatischen Ergebnissen: 79 der Mädchen und 66 Prozent der Burschen fühlen sich von der Schule gestresst. Der Druck führt zu einem Teufelskreis, betont Zimmermann: „Angst hemmt die Lernleistung.“
Wer meint, das sei schon immer so gewesen, verkennt die Situation. Die Dramatik zeigt sich vor allem anhand einer Frage, sagt Lernquadrat-Chef Konrad Zimmermann: „Wir haben im Jahr 2012 auch schon mal abgefragt, ob Jugendliche sich in der Schule so unwohl fühlen, dass sie schwänzen. Damals sagten das 18 Prozent, heute sagen das 30 Prozent. Etwa gleich viele wie früher trauen sich nicht zu Schwänzen, etwa zehn Prozent.“
Sicherlich trägt in der Oberstufe auch die Zentralmatura zum Lernstress bei, so Zimmermann: „Veränderungen wie die Zentralmatura und die Neue Oberstufe -– NoSt – haben zu viel Verunsicherung geführt und bei uns zu einer deutlich höheren Nachfrage. Spätestens in der 9. Schulstufe steigt die Nervosität der Schüler und der Lehrer. Viele Prüfungsformate ändern sich und plötzlich gibt es schlechtere Noten.“
Der Druck kommt dabei gar nicht so direkt von Eltern oder Lehrern, gaben die deutschen Schüler an: 63 Prozent machen sich den Stress selbst, Lehrer und Eltern liegen mit 34 und 21 Prozent weit dahinter. Das beobachtet auch Birgit Satke von Österreichs größter Jugend-Hotline „Rat auf Draht“: „Wir bekommen etwa gleich viele Anfragen rund um die Schule, aber deutlich mehr zu den Themen Überforderung, Prüfungsangst und schlechte Noten. Und wenn wir fragen, wie die Eltern damit umgehen, heißt es oft: „Die sehen das eh nicht so dramatisch.’“ Doch oft kommt der Schulstress nicht alleine, weiß sie: „Das geht oft mit Problemen in der Familie einher. Oder mit Mobbing und Cybermobbing in der Schule.“
Die digitalen Medien haben einen wichtigen Einfluss auf die Befindlichkeit der Jugendlichen, stellt auch Lernberaterin Hanna Fiedler fest: „Sie vergleichen sich ständig mit anderen und stellen hohe Anforderungen an sich selbst. Das ist beim Aussehen genauso. Und wenn irgendein Kind besonders begabt war, hat das früher sein unmittelbarer Freundeskreis gewusst. Jetzt weiß das gleich die ganze Welt.“
Die Kinder haben den Druck der Erwachsenen bereits verinnerlicht, stimmen Zimmermann, Satke und Fiedler überein. Die Experten nennen das „Bildungspanik“ (siehe Interview unten). Seit sie klein sind, hören die Kinder immer, wie wichtig ihre jetzigen Leistungen für ihre Zukunft sind. Dann kommen noch die ständigen Tests für Bildungsstandards und Pisa dazu, in denen die Generation oft heftig kritisiert wird. Sogar für Vorschulkinder werden Tests eingeführt.
Bei Fiedler landen die Schüler, wenn die Eltern nicht mehr weiterwissen und die normale Nachhilfe keine Wirkung zeigt. Bei ihr geht es nicht nur darum, den Stoff zu lernen, sondern wieder einen positiven Zugang zum Lernen zu finden. „Es gibt viele negative Glaubenssätze in den Familien wie ,Bei uns haben die Mädchen kein Talent für Mathematik’ oder ,Zuerst wird gelernt und dann gespielt’. Das schafft einen negativen Zugang zum Thema. Ich finde gemeinsam mit den Schülern heraus, wo eigentlich ihr Lernstress herkommt. Haben sie den Stoff gar nicht verstanden? Brauchen sie für ihre Sicherheit, dass sie das Thema besser verstehen oder wollen sie mehr üben? Manchmal wird gerade Mathematik ja nicht so erklärt, dass die Schüler sich damit zurechtfinden.“
Meist werde auf die Schwächen fokussiert, bedauert Fiedler: Noch immer heißt es oft ’Meine Tochter hat Talent für Sprache aber nicht für Mathematik.’ Aber niemand sagt ihr, dass Mathematik ja auch wie eine Sprache ist. Und man die Zeichen wie Vokabel sehen kann. In der Schule wird leider noch immer viel zu wenig darauf geschaut, dass Schüler Lernen auch als etwas Positives erleben.“
Aber gehört zum Lernen nicht auch die Anstrengung dazu? „Ja, beim Sport sind Jugendliche ja auch bereit, sich anzustrengen. Aber man muss ihre Neugier erhalten und ihre Lust am Lernen. Wenn sie wissen, wofür sie etwas machen, dann strengen sie sich auch an.“
Doch das steht meist nicht im Vordergrund. Ein Symbol dafür: In der ersten Stunde des Schuljahres teilt ein Lehrer als erstes die Information aus, wie sich die Note zusammensetzt. Als ob es in seinem Unterricht nur darum geht.
Alarmierend ist, dass nicht nur Jugendliche in ihre Praxis kommen. „Bei mir sitzen schon Achtjährige, die Stress in der Schule haben.“ Da hilft sie den Eltern, das Spielerische ins Lernen hineinzubekommen: „Malreihen üben kann man mit Druck und endlosen Wiederholungen oder mit Post-its, die in der ganzen Wohnung verteilt sind und für die man herumläuft.“
Was die Schüler laut der Umfrage machen, wenn sie merken, dass sie sich vor einer Prüfung fürchten? Zimmermann: „41 Prozent sagen, sie lernen dann weiter. Und 25 Prozent lenken sich einfach im Internet ab.“
Kommentare