"Die Matura war früher einfacher"

So war die Matura 2019
Warum die Reifeprüfung dennoch weniger wert scheint, erläutert Pädagogikprofessor Herbert Altrichter.

Rund 40.000 junge Menschen treten heuer wieder zur Reifeprüfung an. Der Zahl der Maturantinnen und Maturanten hat sich somit seit dem Beginn der 1960er Jahre vervierfacht – das belegen die Daten der Statistik Austria.

Doch ist die Matura damit zur wertlosen Massenware geworden? So kann man das nicht sagen, meint Herbert Altrichter, Pädagogikprofessor an der Uni Linz. "Die Matura ist nach wie vor eines der offensichtlichen Zertifikate, die das Schulsystem hat." Was sich geändert hat: "Wer früher das Reifezeugnis in der Tasche hatte, der hatte eine begehrte Qualifikation und konnte sich aussuchen, was er studiert. Heute ist die Matura eher eine Eintrittskarte für weitere Qualifikationen."

Heißt: Man braucht das Zeugnis zwar als Voraussetzung für viele weitere Berufs- und Bildungswege, als alleinige Qualifikation für Berufe und als Zugangsberechtigung für alle Studien reicht es aber nicht mehr aus.

Paradox

Das führt zu dem Paradox, dass für die Matura zwar eine Prüfung am Ende der Schulkarriere gemacht werden muss – gleichzeitig müssen junge Menschen aber Aufnahmeprüfungen machen, wenn sie einen Platz an einer begehrten Studienrichtung wollen.

Bei diesen Aufnahmetests zeigt sich dann, dass die formale Qualifikation eben oft nicht reicht, um ein Fach zu studieren. Altrichter nennt ein Beispiel: "Junge Menschen, die kurz zuvor die Matura bestanden hatten, scheiterten beim Zugangstest für das Lehramtsstudium im Fach Englisch."

Kenntnisse gestiegen

Bedeutet das jetzt, dass Maturantinnen und Maturanten heute weniger wissen müssen, als das früher der Fall war?

"Nein", sagt Altrichter. "Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man sich Maturaarbeiten von vor 50 oder 100 Jahren anschaut, so waren die wesentlich einfacher. Die jetzigen Tests spiegeln die Entwicklung des Wissens durchaus wider. Das gilt für Mathematik und Deutsch gleichermaßen. In den Fremdsprachen sind die Kenntnisse sogar ungeheuer stark gestiegen."

Allerdings würde heute wohl weniger Wert auf formales Wissen gelegt – Beistrichregeln werden heute zum Beispiel nicht mehr so eingeübt wie das vor 20, 30 Jahren noch üblich war.

Dass Abschlüsse alleine nicht reichen, ist übrigens nicht nur bei der Matura zu beobachten. "In der Nachkriegszeit war z. B. die Handelsschule eine Ausbildung, mit der man gute Jobs bekam. Heute ist sie eher eine Zwischenqualifikation."

Mehr als nur studieren

Ähnliches spielt sich auf allen Ebenen ab: "Auch bei einem BWL-Studium sind neben dem Abschluss noch weitere Erfahrungen wie ein Auslandsaufenthalt entscheidend, wenn man auf der Suche nach einer attraktiven Stelle ist", berichtet der Uni-Professor.

Altrichter sieht zwei Gründe für diese Entwicklung: "Zum einen machen einfach mehr Menschen eine höhere Ausbildung, was ja an sich keine schlechte Sache ist. Zum anderen gibt es mehr und mehr Zugangsprüfungen, wie man sie aus den angelsächsischen Ländern kennt, die die traditionelle Abgangsprüfung Matura entwerten."

Die Macht der Matura nimmt ab. Deshalb lernen viele junge Menschen zur Zeit nicht nur für die Matura, sondern auch für Zugangsprüfungen wie den Medizinertest.

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