Niederlande: SARS-CoV-2 breitet sich auf Nerz-Farmen aus
Ihr Fell ist dicht, flauschig und wasserabweisend: Für den Menschen ist der Pelz des Nerzes damit überaus attraktiv. In vielen Ländern, unter anderem Österreich (seit 2005), ist die kommerzielle Zucht auf Nerzfarmen – dort leben die Tiere oft auf engem Raum und unter qualvollen Bedingungen – verboten.
In den Niederlanden läuft das Geschäft mit der haarigen Tierhaut der ausgezeichneten Schwimmer nach wie vor. Über 140 Nerzfarmen operieren derzeit auf niederländischem Boden. Allerdings beschloss die Politik bereits 2012 ein Verbot von derartigen Pelzfarmen, bis 2024 wird es dort somit keine mehr geben. Für die Züchter sind finanzielle Entschädigungen vorgesehen.
Einige Zuchtfarmen in der am stärksten von der Pandemie betroffenen Provinz Noord-Brabant sehen sich momentan mit unangenehmen Schlagzeilen konfrontiert. Denn: Die kleinen Raubtiere sind offenbar für Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus empfänglich.
Bei mehreren Nerzen in Zuchtstationen in den Ortschaften Beek en Donk sowie Milheeze wurde das Virus vor knapp drei Wochen erstmals festgestellt, wie das nationale Landwirtschaftsministerium mitteilte. Jeweils 7.500 sowie 13.000 Nerze werden dort gehalten. In der Zwischenzeit wurden Medienberichten zufolge auch von zwei weiteren Betrieben SARS-CoV-2-Infektionen an die zuständigen Überwachungsbehörden gemeldet.
Humane Infektionsquelle
Die Infektionsquellen dürften Mitarbeiter der Betriebe sein. Sie haben das Virus allem Anschein nach auf die Nerze übertragen. Die erkrankten Tiere wiesen auch Symptome auf: Sie litten unter Magen-Darm-Problemen und Atemnot.
Auch die Sterblichkeit in den Ställen stieg an. Und die Tiere scheinen sich auch untereinander angesteckt zu haben. Ganz ähnlich verlief die Infektionskette Anfang April im New Yorker Bronx Zoo: Insgesamt sieben Großkatzen wurden in dem US-Tiergarten positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Auch sie dürften sich bei Bediensteten angesteckt haben.
Dass nun auch bei Nerzen Infektionen mit SARS-CoV-2 nachgewiesen werden konnten, ist für Norbert Nowotny, Virologe an der Vetmeduni Wien, "nicht verwunderlich". Denn Nerze gehören zur Gruppe der Marderartigen, wie beispielsweise auch das Frettchen. "Und vom Frettchen wissen wir, dass es generell sehr empfänglich für SARS-assoziierte Coronaviren, aber etwa auch Influenzaviren ist."
Tierschützer zeigen sich angesichts der Infektionsfälle alarmiert: "Auf Pelzfarmen werden tausende Tiere wie Nerze, Marderhunde oder Füchse unter tierquälerischen Bedingungen in winzige Drahtkäfige gepfercht. Viele Tiere leiden unter Verletzungen und Krankheiten. Sie müssen nicht nur aus Tierschutzsicht verboten werden, sondern auch, um die Entwicklung und Ausbreitung von gefährlichen Zoonosen, wie aktuell Covid-19, zu stoppen", fordert Thomas Pietsch, Wildtierexperte bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, in einer Aussendung.
Die allgemeine Kritik von Tierschützern an derartigen Zuchtfarmen kann Nowotny grundsätzlich nachvollziehen: "Es ist klar, dass die Haltungsbedingungen auf solchen Farmen laufend von veterinärmedizinischen Behörden kontrolliert werden müssen."
Sicherheitsmaßnahmen
Die niederländische Regierung hat inzwischen auf den Ausbruch reagiert: Die 30 bis 40 Zentimeter großen Pelztiere aus der Marderfamilie dürfen vorerst nicht mehr befördert werden, ihre Ausscheidungen müssen auf den Farmen verbleiben.
Unklar ist derzeit nämlich noch, ob auch Menschen nach Kontakt mit erkrankten Nerzen eine Infektion davontragen können. Etwaige Übertragungswege über die Luft und Staub in der Umgebung der Farmen werden derzeit geprüft.
Ersten Ergebnissen zufolge scheint das Virus als Aerosol im Umkreis der Zuchtbetriebe nicht nachweisbar zu sein. In Staubpartikeln fand man zwar Virusrückstände, ob diese noch infektiös sind, ist allerdings noch ungewiss. Die Behörden empfehlen der Bevölkerung jedenfalls, 400 Meter Abstand zu den Tierbehausungen zu halten.
Das niederländische Nationale Institut für öffentliche Gesundheit schätzt die Gefahr, dass infizierte Tiere einen Menschen anstecken, als gering ein. Auch laut Nowotny sei dies eher unwahrscheinlich: "Derzeit gibt es keine Hinweise darauf." Die Maßnahmen hält er dennoch für sinnvoll: "Wenn etwas wissenschaftlich nicht vollständig geklärt ist, ist es besser, auf der sicheren Seite zu sein." Theoretisch wäre eine Übertragung möglich. Immerhin nahm so auch die aktuelle Pandemie ihren Ausgang.
Die Virologin Isabella Eckerle vom Centre for Emerging Viral Diseases der Universität Genf stuft die Situation im Interview mit der Süddeutschen Zeitung ebenfalls als wenig gefährlich ein: "Eventuell wird sich der Erreger auch in den Tieren verändern, aber die Zahl der Infektionen dort ist im Vergleich zu den vielen Millionen infizierten Menschen weltweit doch sehr gering." Mutationen können das Virus aggressiver machen, es kann aber auch zu einer Abschwächung des krankmachenden Potenzials kommen.
Vom Tier zum Mensch zur Pandemie
Seit dem Auftreten und der raschen globalen Ausbreitung des neuartigen Coronavirus beschäftigt Forschende vor allem eine Frage: Wie ist der Erreger von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen? Die Antwort ist relevant. Denn sie gibt Aufschluss darüber, warum das Virus so gut an den menschlichen Organismus angepasst ist.
Der Großteil der Experten geht davon aus, dass das Virus indirekt auf den Menschen übergesprungen ist. Es dürfte bei Fledermäusen aufgetaucht, und über andere Tierarten (Zwischenwirte) etwa Mitte November 2019 erstmals Menschen infiziert haben.
Fledermäuse gelten laut Nowotny als wahrscheinlichstes Virus-Reservoir. So hätte man in Fledermäusen ein neuartiges Coronavirus gefunden, das zu 98 Prozent mit jenem übereinstimmt, das uns Menschen krank macht. "Dass chinesische Fledermäuse das Virus-Reservoir sind, ist also sehr wahrscheinlich. Sie tragen viele verschiedene Coronaviren in sich, für die Flughunde sind diese aber ungefährlich."
Nach dem tierischen Zwischenwirt wird fieberhaft gesucht. Erste Forschungen deuteten in Richtung von Schlangen – was aber heute als eher unwahrscheinlich angesehen wird. Wahrscheinlicher ist, dass das Virus auf einem Wildtiermarkt im Corona-Epizentrum Wuhan erstmals von einem Pangolin auf einen Menschen übertragen wurde. Das Fleisch der illegal gehandelten Schuppentiere gilt in Asien als Delikatesse. Die traditionelle chinesische Medizin schreibt den Schuppen eine heilende Wirkung zu, obwohl sie ausschließlich aus Keratin bestehen. Wie menschliche Fingernägel auch.
Fehlendes Glied in der Kette
Auch über wilde Katzen, Frettchen (stammen ebenfalls aus der Familie der Marder) und Marderhunde (gehören zur Familie der Hunde, sind mit Mardern nur indirekt verwandt) als Zwischenwirte wird immer wieder diskutiert.
Kanadische Forscher brachten gar streunende Hunde, die Fledermäuse gefressen haben, und mit deren Hinterlassenschaft Menschen dann in Berührung gekommen sind, ins Spiel.
Letztere Theorie hält Nowotny für Spekulation: "Noch gibt es keinen eindeutigen Beleg dafür, welches Tier als Zwischenwirt fungiert hat. Aber es gibt immerhin überzeugende Hinweise", sagt er. Mit dem im Pangolin gefundenen SARS-CoV-2 gebe es eine hohe (96 Prozent) genetische Übereinstimmung. "Bisher hat man keine andere Tierart gefunden, aus dem man ein Coronavirus isoliert hätte, das dem beim Menschen noch näherkommt."
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