Als die Klimaanlage erfunden wurde und die Welt veränderte

Der berühmte Philosoph und Aufklärer Montesquieu stellte bereits 1748 eine These auf: Die ungleiche Entwicklung der Welt sei darauf zurückgeführt, dass Hitze die Produktivität senke und unternehmerische Kühnheit unterdrücke, während in kühlen Ländern der Mut regiere und zum Erfolg führe. Zugegeben: Klingt nach kolonialer Überheblichkeit. Dennoch steckt ein Fünkchen Wahrheit darin. Fakt ist: Der Mensch ist bei 20 Grad hundertprozentig leistungsfähig. Bei 28 C sinkt das Level auf 70, bei 33 C gar auf 50 Prozent.
1902 geschah dann etwas, das dieses Naturgesetz aushebelte und den Tropen die Chance eröffnete, den Anschluss an die Moderne zu finden: Der Amerikaner Willis Carrier erfand die Klimaanlage.
In jenem Jahr war es in New York so brütend heiß, dass in der Lithoanstalt Sackett & Wilhelms die Maschinen stoppen mussten. Das Haus in Brooklyn war bekannt für hochwertige Colordrucke. Jetzt, in der Hitze, schwankte die Luftfeuchtigkeit derart, dass sich das Papier verzog, die Konturen verwischten. Fehldrucke en masse. Man wandte sich an die Buffalo Forge Company, die eigentlich Heizlüfter herstellte, fragte an, ob es dort jemanden gebe, dem etwas gegen hohe Luftfeuchtigkeit einfiele.
Buffalo Forge schickte den jungen Ingenieur Carrier, 25 Jahre alt und frisch von der Uni. Der Chef hatte ihm ein Labor eingerichtet, in dem er getüftelt und Grundlagenforschung zur Hitze betrieben hatte. Jetzt baute der findige Carrier kurzerhand eine Heizung um, blies per Ventilator Luft in die Rohre, die er mit Wasser kühlte. So entzog sein Apparat, wie gewünscht, der Luft Feuchtigkeit. Und: Ganz nebenbei kühlte er sie auch noch.
Lebensbeeinflussend
Bald trugen sich das Weiße Haus, der Kreml und Disney World in die Referenzliste von Carrier ein. Ganz nebenbei hat der Kasten die Welt verändert und die Globalisierung erst möglich gemacht. Zur Jahrtausendwende wurde der Erfinder der Klimaanlage vom Time Magazin unter die 100 Persönlichkeiten gewählt, die das Leben im 20. Jahrhundert am meisten beeinflusst haben. Ohne künstliche Kälte gäbe es nämlich keine Großstadt-Skylines, die nur aus Glasfronten bestehen, keine überdachten Mega-Einkaufszentren oder Großkinos. Dallas und Houston wären statt Öl-Metropolen Wüstenkaffs, der ganze amerikanische Süden würde, ob der Hitze, weiterhin in Lethargie verharren.
Der Erste, der schon kurz, nachdem 1928 die erste Klimaanlage in einem Privathaus eingebaut worden war, die Tragweite der Erfindung erkannte, war der texanische Schriftsteller Frank Dobie:
Jetzt können die Yankees auch hier leben.
Das schrieb er über Texas. Und die Nordstaatler kamen – massenhaft.
In den 1950er-Jahren zitierte Gail Cooper in seinem Buch „Air Conditioning America“ eine Umfrage unter US-Firmenchefs: Neun von zehn der Befragten sahen als wichtigsten Faktor für höhere Produktivität die kühle Luft. Als zehn Jahre später die AC in die mittelständischen Wohnhäuser der Südstaaten einzog, war Schluss mit der jährlich millionenfachen Abwanderung. Plötzlich setzte eine ebenso starke Zuwanderung ein: Der „Sunbelt“ zwischen Südkalifornien und Florida mit Silicon Valley als bekanntestem Symbol avancierte zum Weltzentrum der IT-Entwicklung.
Laptop statt Landwirtschaft prägt heute den Süden. Und das nicht nur in den USA: Viele Schwellenländer hätten sich ohne die Klimaanlage nicht aus der Gruppe der Entwicklungsländer lösen können, neben China vor allem die vier „Tigerstaaten“ in Südostasien, aber auch Brasilien und Indien, die sich längst auf der Überholspur befinden.
Kommentare