50 Jahre Fristenlösung in Österreich: Abtreibung ohne Strafe
Das Parlament verabschiedete am 29. November 1973 das Gesetz, das ab 1975 die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten garantierte. Was das veränderte.
Für die einen ist es eine „Lösung“. Für die anderen eine „Regelung“. Vor 50 Jahren, am 29. November 1973, wurde das Gesetz über die Fristenlösung im Nationalrat beschlossen und damit die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten. Trotz dieser langen Zeit polarisiert das Thema bis heute.
Für jüngere Frauen ist heute gar nicht mehr vorstellbar, dass Abtreibungen bis dahin strafbar waren und auch drakonisch bestraft wurden. „Alle Studien zeigen: Das Thema Fristenlösung ist heute bei den Frauen angekommen“, sagt Psychologin Beate Wimmer-Puchinger. „Sie war und ist wichtig für die Selbstbestimmung der Frauen.“
Sie sei dafür „als Feministin auf die Straße“ gegangen und habe damals demonstriert. Als Wissenschafterin hatte sie zudem beruflich mit Schwangerschaftsabbrüchen zu tun: „Es gab damals viele Vorurteile und Diskriminierung. Dargestellt wurde es so, als ob die Frauen zum Friseur gingen.“
Studie zeigte schon damals: Frauen machen es sich nicht leicht
In einer vom Wissenschaftsministerium finanzierten Studie zu den Motiven für Schwangerschaftsabbrüche stellte sie fest: „Schon damals ist klar herausgekommen, dass die Frauen sich die Entscheidung für einen Abbruch nicht leicht machten.“ Die meisten der 800 Befragten hätten lange überlegt. Verantwortung gegenüber dem Kind, etwa aufgrund schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse, spielten häufig eine Rolle. Das erlebte sie auch später in der Frauenberatung in einer Wiener Frauenklinik so. „Kinder kriegen ist ein harter Job“, resümiert die Expertin.
50 Jahre Fristenlösung – ist das ein Grund zu feiern? Nein, findet Barbara Hofmann. Die Juristin beschäftigt sich am Renner-Institut mit Gleichstellungspolitik, ihre Schwerpunkte sind Frauenrecht und Geschlechtergeschichte. „Dass die Fristenlösung nach wie vor im Strafgesetzbuch verankert wird, im Grunde also bestraft wird, ist nicht zu feiern.“
Hier sei es jetzt Zeit für den nächsten Schritt. Aktuelle Ereignisse, etwa, dass in Vorarlberg erst nach langem Ringen ein Ort für Abtreibungen gefunden wurde, zeigen aber auch Rückschritte: „Der weibliche Körper soll noch immer von außen reguliert werden. Auch nach 50 Jahren gibt es noch immer mitunter heftige Kontroversen.“
Warum dies so ist, sieht Martina Kronthaler im Gesetz über die Fristenlösung begründet. „Es bildet das Dilemma ab“, sagt die Geschäftsführerin der „aktion leben“. Aus Respekt vor dem Ungeborenen sei ein Abbruch grundsätzlich verboten. Doch aus Respekt vor der Entscheidungsfreiheit der Frau sei er straffrei. „Es ist uns wichtig, das vorgeburtliche Leben als auch die Frau zu sehen.“ Und: „Eine Abtreibung ist nicht einfach eine Operation.“
Seit der Antike gibt es Belege über Schwangerschaftsabbrüche. Experten nehmen aber an, dass diese noch früher in der Menschheitsgeschichte vorgekommen sind. Ob frühe Kulturen oder Gegenwart, Gründe und Methoden sind vielfältig.
Antike Auf dem altägyptischen Papyrus Ebers (1600 v. Chr.) sind Kräuterauszüge, Vaginalspülungen oder Kugeln vermerkt, mit denen „die Frau das Empfangene ausleert“, wie der deutsche Kulturhistoriker Robert Jütte in seinem Standardwerk „Geschichte der Abtreibung“ schreibt. Im antiken Griechenland empfahl der berühmte Arzt Hypokrates einerseits Abführ- und Brechmittel. Andererseits riet er, Druck auf die Gebärmutter auszuüben: Von innen mit mechanischen Mitteln oder von außen etwa durch das Heben schwerer Lasten. Im Römischen Reich notierten viele Ärzte sogenannte „Austreibungsmittel“, die zu Blutungen, Kontraktionen der Gebärmutter oder auch zu einer Totgeburt führen sollten.
Österreich Wie in vielen Ländern regelten auch in der Habsburgermonarchie Staat und Kirche die Schwangerschaftsabbrüche. Unter Maria Theresia trat 1768 die sogenannte „Constitutio Criminalis“ in Kraft – und damit in den österreichischen Erblanden als Strafe der „Tod durch das Schwert“ bei „Abtreibung der Leibesfrucht“. Im 19. Jahrhundert wurde eine „zustande gebrachte Abtreibung“ im Strafgesetz (1852) als Verbrechen gewertet (§§ 144 bis 148) und mit schwerem Kerker zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bestraft.
20. Jahrhundert Im Naziregime wurde der Strafrahmen für Arierinnen verschärft, bis zur Todesstrafe. 1945 trat das Strafrecht vom März 1938 in Kraft. Erst in der „Großen Strafrechtsreform“ unter Christian Broda (SPÖ) im November 1973, die ab 1. 1. 1975 gilt, wurde der §144 reformiert. „Im Wesentlichen stammte dieses Gesetz aus dem Jahr 1803“, betont Juristin Barbara Hofmann vom Renner-Institut.
Illegale Abtreibungen Vor der Fristenlösung gingen Frauen zur „Engelmacherin“, um illegal abzutreiben – häufig unter schlechten hygienischen Bedingungen. Nicht selten starben sie bei diesen unsachgemäßen Abtreibungen.
Fristenlösung Es ist eine Art „Kompromiss“, auf den man sich schließlich in der SPÖ-Alleinregierung unter Kanzler Bruno Kreisky einigte: In den ersten drei Monaten ist ein Abbruch straffrei, bleibt aber im Strafgesetzbuch verankert. Die Initiative dazu kam von der SPÖ-Frauenorganisation bei einem Parteitag 1971.
Volksbegehren gegen Fristenlösung gehört zu den erfolgreichsten Abstimmungen
Zu Beginn der 1970er-Jahre kämpfte die „aktion leben“, die schwangere Frauen kostenlos und ergebnisoffen berät und unterstützt, vehement gegen die Fristenlösung. 1975 initiierte sie ein Volksbegehren, das mit fast 900.000 Stimmen bis heute den vierten Platz unter den erfolgreichsten Abstimmungen einnimmt. „Es war eine andere Zeit, auch eine andere Sprache“, findet Kronthaler. Damals sei es auch „um die Anerkennung des Lebens vor der Geburt“ gegangen. Durch neue Techniken wie etwa Ultraschalluntersuchungen sei die Entwicklung des Lebens erst richtig sichtbar geworden.
Mit den Jahren habe sich die Arbeit des Vereins weiterentwickelt. Seit 1989 engagiere man sich nicht mehr gegen die Fristenregelung, wie Kronthaler betont. „Wir wollen keinen Weg zurück. Wir wünschen uns aber, dass jede schwangere Frau in der Krise weiß, wo sie Beratung und Hilfe findet.“ Dass heute „nicht mehr hingeschaut wird, was Frauen – und auch Männer – brauchen“, kritisiert sie.
Beate Wimmer-Puchinger empfiehlt unter anderem psychologische Beratung. Nicht, um Frauen umzustimmen: „Sie dürfen sich keinesfalls in eine Richtung gedrängt oder überredet fühlen.“ Es gehe vor allem um Unterstützung – auch für später. „Studien zeigen, nur wenn die Entscheidung mit guten Gründen getragen wird, kann man sie auch gut verarbeiten.“
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