Exil und Exzellenz: „Ich bin heute hier zu Hause“
Sie beschäftigt sich derzeit als Leiterin eines internationalen Forschungsprojektes mit der brisanten Frage, wie das Erbe unterschiedlicher politischer Terror-Regime weltweit in Museen aufgearbeitet wird.
Sie hat dazu auch einen sehr persönlichen Zugang.
Ljiljana Radonić war zehn Jahre alt, war eine sehr gute Schülerin, war der Stolz ihrer Eltern, als es in ihrer Heimatstadt Zagreb zum ersten Mal lautstark Fliegeralarm gab.
Sie kauerte mit ihrer Oma im Keller ihres Wohnhauses. Es grauste ihr vom Speicheln der Bulldogge der Nachbarn. Sie hatte Sehnsucht nach ihrem Vater, der nicht in einen sinnlosen Krieg ziehen wollte, und ihrer Mutter, die mit ihm fluchtartig ins Exil nach Wien abgefahren war.
Dazu passend zitiert die Kulturwissenschafterin die Autorin Dubravka Ugresić, die in ihrem Roman „Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“ einen Bosnier kategorisch festhalten lässt: „Es gibt zwei Kategorien von Flüchtlingen, jene mit einem Fotoalbum und jene ohne.“
Sie hat noch Fotos
Dieser Hinweis ist Ljiljana Radonić wichtig. Sie hat noch Fotos. An ihrem Türschild in einem Büro der Akademie der Wissenschaften steht seit Tagen erst: Stellvertretende Direktorin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte.
Anders als die Flüchtlinge heute kam sie im Oktober 1991 mit einem Linienbus über die damals noch nicht so titulierte „Balkanroute“. Das Mädchen Ljiljana hatte für sich entschieden, nicht länger in einem Zagreber Keller auf das Ende des öden Krieges zu warten, sondern ihren Eltern nach Wien zu folgen.
Dessen ungeachtet war auch ihr Ankommen schwer: „Das war völlig absurd für meine Eltern, und für mich als Kind irgendwie surreal“, wundert sich die Forscherin heute noch. „In Zagreb hatte ich sehr gute Noten.“ Doch das sollte in zwei Gymnasien in Ottakring zunächst wenig zählen. Erst als ein Lehrer mit seiner eigenen Reputation für sie bürgte, durfte sie zeigen, was in ihr steckt.
Eine klassische Geschichte des Exils: Mit der Wut im Bauch und der Überzeugung „Euch zeige ich’s“ lernt das Flüchtlingskind innerhalb von nur drei Monaten Deutsch. Am Ende des ersten Schuljahrs stehen in ihrem Zeugnis nur Einser. Nach ihrer Matura inskribiert Ljiljana Radonić Politologie und Philosophie.
Sie ist ein Gewinn
Heute leitet sie ein Team von Forschern und Forscherinnen, das international, divers und vielsprachig ist. Gemeinsam untersucht man 50 Museen in China, Japan, Ruanda, Israel, den USA, Polen, Österreich und Deutschland. Konkret geht es dabei um die Frage, wie Mord und Totschlag in Museen dargestellt wird und ob autoritäre Strukturen auf einer gefälschten Darstellung des Genozids basieren.
Gut Gebildete, weit über den Tellerrand der eigenen Nation blickende Menschen wie Ljiljana Radonić sind auch ein Gewinn für eines der reichsten Länder der Welt. Was in der Freude über diese exzellenten Karrieren jedoch gerne vergessen wird, ist die Fußnote, dass Geflüchtete in ihren oft deutlich ärmeren Herkunftsländern eklatante Lücken hinterlassen.
So könnte die Forscherin Ljiljana Radonić heute einiges dazu beitragen, um das Weltbild des kroatischen Staatsgründers Franjo Tudjman und seine Rolle im Krieg 1991-95 einer etwas objektiveren Bewertung zu unterziehen.
Klar und scharf bewertet die Akademikerin mit eigener Fluchterfahrung die aktuelle österreichische Asylpolitik: „Dass man Menschen, die bei uns um politisches Asyl ansuchen, schlecht behandelt, nur damit nicht mehr andere kommen, das ist meiner Meinung nach eine Frechheit. Dass man sich weiterhin weigert, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen, ist ein Skandal.“
Sie kennt das Subtile
Weniger abweisend hat sie Österreich anfangs selbst erlebt. Dennoch kann sie sich bis heute an eine durchaus subtile Kränkung erinnern: „Ich wurde über lange Zeit von den anderen Kindern nicht zu ihnen nach Hause zum Spielen eingeladen.“
Wichtig ist daher der Mitarbeiterin der Akademie der Wissenschaften auch eine sprachliche Klarstellung: „Es greift zu kurz, wenn jemand meint, ich wäre in Österreich angekommen. Nein, ich bin hier zu Hause.“ Ebenso wie ihr Freund, dessen Migrationserfahrung sich auf einen Wohnortwechsel innerhalb Wiens („vom siebenten in den sechsten Bezirk“) beschränkt.
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