Österreichische Forscher über Flucht, Exil und ihre Karriere
Einer von 16 Wissenschaftern und Wissenschafterinnen, die in ihrer Kindheit Österreich fluchtartig verlassen mussten und in der Film-Doku Exile & Excellence. The Class of ’38 zu Wort kommen, ist Eric Kandel. Er wurde im Jahr 1929 in Wien geboren und ist Nobelpreisträger für Medizin.
Kandel flüchtete im April 1939 mit seinem Bruder aus Wien, die Eltern folgten. Er studierte unter anderem an der Universität Harvard.
Mit einem Schuss Ironie erzählt er in der Doku diese Geschichte: „Als ich den Nobelpreis bekam, läutete ständig das Telefon. Und viele der Anrufer waren aus Wien. Wunderbar, sagten sie, ein österreichischer Nobelpreis! Nein, habe ich ihnen da geantwortet. Das ist ein amerikanischer, ein jüdisch-amerikanischer Nobelpreis.“
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften wird die bisher nur selten gezeigte Filmdokumentation für KURIER-Leser und -Leserinnen am 11. März in ihrem Festsaal bei freiem Eintritt zur Schau stellen. Zwei Tage später, am 13. März, lädt der KURIER zur Matinee in das Wiener Volkskundemuseum. Dort wurden in die Dauerausstellung Zeugnisse von Flüchtlingen eingebettet, die aus heutiger Zeit stammen.
Marjorie Perloff
1931 in Wien geboren, angesehene Literaturwissenschafterin und Kritikerin. Flüchtete am 12. März 1938 mit ihren Eltern und dem Bruder aus Wien. Studierte an der Universität in Washington.
Im Film erinnert sie sich unter anderem: „In Innsbruck warfen sie uns aus dem Zug und durchsuchten unser ganzes Gepäck und nahmen unser ganzes Geld. Ich saß auf einer Hutbox, und meine Mutter las mir aus dem Buch ,Die lustigen Neun‘ vor. Ich weiß nicht, ob Sie es kennen, ein großartiges Buch.“
Egon Schwarz
1922 in Wien geboren, international anerkannter Literaturwissenschaftler und Kritiker. Flüchtete einige Monate nach dem „Anschluss“ mit seinen Eltern aus Wien. Studierte unter anderem an den Universitäten von Ohio und Washington.
Im Film erinnert er sich unter anderem: „Also, ich würde sagen, Hitler war für mich gut, nicht für den Rest der Welt, denn in Österreich wäre ich wohl nichts Besonderes geworden. In den USA bin ich auch nichts Besonderes geworden. Aber innerhalb der Universität habe ich doch ein gewisses Prestige erworben. Die amerikanische Universität hat mich also mit großem
Vorzug behandelt.“
Hanna Engelberg-Kulka
1932 in Wien geboren, eine nicht nur in Israel hochanerkannte Molekularbiologin. Flüchtete Ende 1938 mit ihrer Familie aus Wien. Studierte an der Hebrew University in Jerusalem.
Im Film erinnert sie sich unter anderem: „Mein Vater wollte Wien im Jahr 1933 verlassen, als Hitler zu marschieren begann. Er sagte: Dieser Mann wird die Welt zerstören. Es war meine Mutter, die nicht weggehen wollte von Wien. Sie sagte: Warum sollen wir in die Wüste gehen?“
Walter Kohn
1923 in Wien geboren, Physiker, Nobelpreisträger für Chemie. Flüchtete im August 1939 mit einem der letzten Kindertransporte aus Wien. Seine Eltern wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Studierte an der University of Toronto und dann in Harvard.
Im Film erinnert er sich unter anderem: „Ich wurde damals rausgeschmissen aus dem Akademischen Gymnasium. Jetzt bist du noch ein Schüler hier und morgen wirst du es nicht mehr sein. (...) Am Ende waren meine Eltern ermordet. Das beeinflusste alles.“
Lotte Bailyn
1930 in Wien geboren Sozialpsychologin am MIT in Massachusetts. Wurde noch vor dem „Anschluss“ vom Vater, dem Sozialforscher Paul Lazarsfeld, nach New York geholt, ihre ebenso bekannte Mutter Marie Jahoda war bereits zuvor von den Austrofaschisten inhaftiert worden. Studierte an der Universität Harvard.
Im Film erinnert sie sich unter anderem: „Ich glaube, dass die Österreicher nach dem Krieg die Menschen im Exil nicht zurückholen wollten. Für eine lange Zeit wollten sie auch für keinen von ihnen eine Verantwortung übernehmen.“
Eugene Braunwald
1929 in Wien geboren, vielfach honorierter Kardiologe. Flüchtete im Juli 1938 mit seiner Familie aus Wien. Studierte in New York und später an der Johns Hopkins University in Baltimore.
Im Film erinnert er sich unter anderem: „Ich hatte eine glückliche Kindheit. Bis zum 12. März 1938. Es war, als ginge die Welt unter: Du konntest dir einfach einen Juden greifen und ihn mit der Zahnbürste die Straße reinigen lassen. Was in Deutschland fünf Jahre dauerte, dauerte in Wien fünf Tage.“
Gerald Holton
1922 in Berlin geboren, ein vielfach ausgezeichneter Physiker und Wissenschaftshistoriker. Flüchtete im Dezember 1938 mit einem Kindertransport aus Wien. Studierte an der Universität Harvard.
Im Film erinnert er sich unter anderem: „Meist kamen nur die Eltern, um sich zu verabschieden. Eine sehr schwierige Entscheidung für viele Eltern. Sich zu verabschieden von einem Kind, das man vielleicht nie wieder sieht. (...) In meinem kleinen Koffer war auch die Jubiläumsausgabe von Wilhelm Busch.“
Gustav Papanek
1926 in Wien geboren, Professor für Entwicklungsökonomie an der Universität Boston. Flüchtete im Juli 1938 mit seiner Familie aus Wien. Studierte unter anderem an der Universität Harvard.
Im Film erinnert er sich unter anderem: „Als wir in dem Büro von dem Direktor waren, war draußen eine ganze Gruppe von Schülern, die alle uns beschimpft und bedroht haben. Und das war das erste Mal, dass mir klar war, dass ich jüdisch war.“
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