Contact Tracing: Bis zu 100 Arbeitsstunden pro Krankem
Das Contact Tracing, also die Rückverfolgung der Infektionsketten, gilt als wichtige Maßnahme, um die Epidemie in den Griff zu bekommen, sowie eine zweite Coronavirus-Welle und einen weiteren Lockdown zu vermeiden.
Laut Franz Wiesbauer, Facharzt für Innere Medizin und CEO von Medmastery, kann das nur gelingen, wenn wir es "schaffen, Erkrankte schnell zu diagnostizieren, ihre Kontakte zu identifizieren und all diese Personen zu isolieren", wie er in einem seiner YouTube-Videos erklärt. Die Krux daran: Schätzungen des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zufolge, bedürfe es 100 Arbeitsstunden eines Public-Health-Mitarbeiters, um alle Kontakte eines Erkrankten zu identifizieren und zu kontaktieren. Die Gretchenfrage in diesem Zusammenhang lautet: Ist unser Gesundheitssystem fähig, das zu leisten? Wiesbauer sieht das kritisch: "Bis zu einer gewissen Zahl an Infizierten können unsere Gesundheitsbehörden das Contact Tracing auch auf manuelle, also nicht-Technologie-unterstützte Art und Weise machen." In Deutschland werde zum Beispiel angenommen, dass die 400 Gesundheitsämter über genügend Kapazitäten verfügen, um täglich 300 neue Fälle durch Kontaktnachverfolgung und Isolation zu kontrollieren. "In Österreich kenne ich die Schätzungen nicht, wir werden grob wohl eine Zehnerpotenz darunter liegen."
Dem Virus auf der Spur
Was passiert, wenn wir wieder über 100 Neuinfizierte pro Tag haben? "Dann müssen wir wohl deutlich mehr Manpower rekrutieren oder uns der Technologie, sprich einer App bedienen", ist Wiesbauer überzeugt. Derzeit wird das Contact Tracing hierzulande in Gang gesetzt, wenn eine Person aufgrund von Krankheitssymptomen eine Infektion vermutet und die Hotline 1450 wählt. Es folgt eine standardisierte Befragung am Telefon. Erhärtet sich der Verdacht einer Corona-Infektion, wird ein mobiler Dienst zu der betroffenen Person geschickt und ein Abstrich genommen. In diesem Fall wird der Anrufer bereits am Telefon zur Isolation aufgerufen.
Für das Prozedere zuständig sind die Gesundheitsbehörden. Fällt ein Testergebnis positiv aus, wird die erkrankte Person isoliert, und ihre Kontaktpersonen werden eruiert, um deren Aufenthaltsorte zu recherchieren.
Je nach Ergebnis der Befragung werden die Kontaktpersonen in zwei Kategorien eingeteilt und verständigt: In Kategorie 1 fallen jene mit engem Kontakt zum Infizierten, in Kategorie 2 jene mit losem Kontakt.
Sämtliche Informationen werden anschließend in das elektronische Epidemiologische Meldesystem ( EMS) eingetragen. Das EMS ist eine gemeinsame Datenbank der Bezirksverwaltungsbehörden, Landessanitätsdirektionen, des Gesundheitsministeriums sowie der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Sie wird verwendet, um Erhebungen über das Auftreten anzeigepflichtiger Krankheiten durchzuführen.
Bei der Verwaltung des EMS werden die Gesundheitsbehörden von der Abteilung der Infektionsepidemiologie der AGES unterstützt, indem Daten verknüpft werden, wodurch ein Erkrankungsfall angelegt wird. Sie werden auch anonymisiert an das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle ( ECDC) in Stockholm und an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) übermittelt.
Die Vorgehensweise beim Contact Tracing kann in den Bundesländern unterschiedlich sein, jedoch sind die Zielvorgaben des Bundes einzuhalten. Als neue Grundregel gilt, die Testung nach Verdacht innerhalb von 24 Stunden zu veranlassen und auch die unmittelbaren Kontakte der Kategorie 1 innerhalb der ersten 24 Stunden zu erheben. Das Testergebnis soll innerhalb von 48 Stunden vorliegen und die Information der Kontaktpersonen Kategorie 1 inklusive Absonderung (wenn der Patient positiv getestet wurde) dann innerhalb von erneut 24 Stunden erfolgen.
Thema Datenschutz
Der Einsatz einer App zum Contact Tracing sei für Wiesbauer ein Teilaspekt: "Sie kann nur funktionieren, wenn sie eingebettet ist in ein starkes und professionelles System von Mitarbeitern des Gesundheitssystems." Auch datenschutzrechtliche Fragen gelte es zu klären, aber "es wäre sehr unklug, wenn wir diese technologischen Möglichkeiten grundsätzlich ablehnen würden".
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