Wer sind diese Täter, die Kinder sexuellen missbrauchen?
Hier ist es wichtig zu unterscheiden. Der Großteil der Täter, die Kinder sexuell missbrauchen, sind keine Pädophilen. Pädophile Männer gibt es in Österreich im Promille- bis ein Prozentbereich. Der Großteil von ihnen wird nie ein Sexualdelikt begehen, weil sie keinem Kind etwas antun wollen. Die, die straffällig werden, sind chronisch zwangsgestört. Wenn sexueller Missbrauch in der Schule, Kirche oder im Kindergarten auftritt, spielt auch immer Machtmissbrauch eine wichtige Rolle. Es ist nicht nur die Pädophilie alleine, sondern das Gefühl, mit einer Person alles tun zu können, was und wann man will. Diese Menschen müssen lernen, diese Macht, die sie gegenüber dieser Person haben, nicht auszunutzen.
Viele Männer mit pädophilen Neigungen würden Kindern also niemals Schaden zufügen wollen?
Genauso ist es. Sie leiden wahrscheinlich trotzdem. Wir haben seit vielen Jahren das Programm "Nicht Täter werden“. Es ist ausschließlich für Männer, die in Gewissenskonflikte kommen oder das Gefühl haben, sie könnten übergriffig werden, wenn sie das nicht behandeln. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Männer ein starkes Bedürfnis haben, nie übergriffig zu werden. Sie suchen nach einer Möglichkeit, wie sie mit ihrer Sexualität zurecht kommen, wenn sie keine andere haben. Also wenn sie weder mit erwachsenen Frauen oder Männern noch mit Kindern Sex haben wollen.
Zu Ihnen kommen Männer also auch präventiv. Wie kann man sich die Therapie vorstellen?
Im Wesentlichen geht es darum, wie man das eigene Leben lebt, wenn man weiß, dass man pädophile Neigungen hat, also man spürt, dass man sich in der Gegenwart von Kindern erregt fühlt. Es soll ein lebenswertes Leben daraus werden. Gleichzeitig arbeiten wir daran, dass der Mann genügend soziale Unterstützung und Kontrolle hat. Es ist immer ein Ziel in der Therapie, dass eine möglichst große Anzahl an Personen darüber Bescheid weiß und ihn unterstützt.
Was können Ergebnisse sein?
In einigen Fällen verschwindet die pädophile Neigung für viele Jahre völlig. Es kann sein, dass sie dann wiederkehrt. Es gibt aber auch Männer, die nach einiger Zeit erzählen, dass sie überhaupt keine Gedanken mehr an Kindern haben und dass sie diese Gefühle, die sie so intensiv gehabt haben, und die Ängste davor, sie könnten übergriffig werden, verloren haben.
Das Wiener Sozialtherapeutische Programm für Sexualtäter richtet sich an Männer, die sexuelle Übergriffe an Minderjährigen begangen haben. Wie hoch ist die Rückfallquote?
Die Rückfallquote bei Männern, die übergriffig werden, ist relativ niedrig, weil es sich im Wesentlichen nicht um pädophile oder kernpädophile Täter handelt, die tatsächlich keine andere Form der Sexualität haben. Wenn der Täter eine Therapie macht, liegt er österreichweit derzeit bei einer Rückfallquote von 3,9 Prozent. Das sind so niedrige Zahlen, die findet man in keinem anderen Bereich.
Welche Hilfeleistungen gibt es für Betroffene noch?
Wir haben Programme mit Männern, die ausschließlich Bilder geschaut, heruntergeladen oder dies mit Kindern gemacht haben und das verändern wollen, weil das ein ganz intensiver Suchtmechanismus ist. Und dann welche für Männer, die entweder im familiären Kontext übergriffig oder öffentlich auffällig geworden sind. Das ist natürlich vom Dunkel- zum Hellfeld, weil die meisten, die übergriffig geworden sind, erst dann kommen, wenn andere mit ihnen ein Problem gehabt haben. Wenn das Jugendamt sie zu uns schickt, sie von der Polizei erwischt worden sind sowie wenn sie tatsächlich verurteilt wurden, kommen sie im Gefängnis oder in der Nachbetreuung zu uns.
Es vergeht also relativ viel Zeit, bevor Betroffene zu Ihnen kommen?
Das ist immer so. Zum "Nicht Täter werden“-Programm kommen die Männer Gott sei Dank relativ früh. Das freut uns immer. Wir haben relativ viele sehr junge Männer, die 18, 19 oder 20 Jahre alt sind. Viele sind in einer Orientierungsphase und fürchten sich davor, dass sie pädophil sein könnten. Manchmal sind sie es wirklich nicht, aber in den Fällen, wo sie es sind, gibt es so natürlich viel bessere Möglichkeiten.
Und wer nicht früh zu Ihnen kommt?
Jemand, der wie im Fall des Lehrers tatsächlich schon über 15 Jahre missbraucht, hat eine chronische Form der Übergriffigkeit gefunden. Man kann nicht davon ausgehen, dass er orientierungslos ist. Ihm ist bewusst, was er tut und er wird es so gut verstecken, dass es möglichst keiner mitbekommt und Kinder einschüchtern, damit sie es nicht weitersagen. Bis dann der Zeitpunkt kommt, an dem er tatsächlich erwischt wird.
Wir sprechen immer von Männern. Gibt es auch pädophile Täterinnen?
Es gibt wenig pädophile Frauen. Alles, was mit Bildern wie Kinderpornografie zu tun hat, ist bei Frauen fast gar nicht vorhanden. Aber natürlich gibt es Täterinnen, die Burschen oder Mädchen missbrauchen. Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass unsere Klienten – nicht nur Missbrauchstäter, sondern generell Männer, mit denen wir zu tun haben – über Missbrauch in ihrer Kindheit und Jugend berichten. Oft wissen sie gar nicht, dass es sich um Missbrauch handelt, aber die Beschreibung ist eindeutig.
Wie oft werden Frauen dann tatsächlich angeklagt?
Weibliche Täterinnen werden nur ganz selten angeklagt und Frauen selten für Missbrauchshandlungen verurteilt. Am häufigsten werden Frauen mit Männern mitverurteilt. Wenn sie zuschauen oder Bilder von dem anfertigen, was der Mann mit dem Kind macht. Aber nicht als alleinige Täterinnen. Das ist ganz interessant, weil es sie gibt – wenn auch in deutlich schwächerer Form. Eine Frau zu zehn Männern – ungefähr in dieser Größenordnung spielt sich das ab.
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