Muskellähmung gestoppt: Hoffnung für ALS-Patienten

Biocomputer sollen bald herkömmliche KI übertreffen.
Ein neues Medikament zeigt bei einer Patientin, dass sich die genetisch bedingte Form der unheilbaren Nervenkrankheit ALS aufhalten lässt.

Bei einer Patientin aus Deutschland konnte die fortschreitende Lähmung der Muskulatur durch Amyotrophe Lateralsklerose, auch bekannt als ALS gestoppt werden, berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Das Medikament, das sie einnimmt, heißt Jacifusen und könnte ein Meilenstein in der Behandlung der bisher unheilbaren Nervenkrankheit ALS sein.

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Neurologe Fritz Zimprich, Leiter der Ambulanz für neuromuskuläre Erkrankungen an der MedUni Wien, hält dieses Ergebnis für „durchaus ernst zu nehmend“ und „sehr erfreulich“. Es liefert zudem Erkenntnisse für zukünftige Behandlungsansätze.

Viele neue Erkenntnisse zu den Mechanismen von ALS

Das Medikament reiht sich in eine neue Medikamentengruppe ein, mit der genetische Defekte erfolgreich behandelt werden können. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir wirklich viel über die Mechanismen der Erkrankung gelernt.“

Bei ALS kommt es zur Ablagerung von pathologischen Proteinprodukten. Im Zeitverlauf entwickelt sich die bisher unheilbare Krankheit so:

  • Diagnose mit rund 50 Jahren
  • Erkrankungsgipfel zwischen dem 70. und 75. Lebensjahr
  • Mittlere Überlebenszeit: 3 bis 5 Jahre, teilweise über 10 Jahre

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An neuen Behandlungsansätzen wird intensiv geforscht. Heute weiß man: „Diese Protein-Ablagerungen können unterbrochen werden.“ Doch vieles ist erst im Forschungsstadium.

Wann ein Abschluss der Jacifusen-Studie zu erwarten ist

Jacifusen, wie der New Yorker ALS-Experte Neil Shneider das bei der Deutschen eingesetzte Präparat nannte, ist noch nicht offiziell zugelassen. Seit 2021 läuft eine Phase-3-Studie, in die 77 Patienten eingeschlossen sind. Ergebnisse sind erst mit dem Abschluss der Studie im Juni 2025 zu erwarten.

Bisher ist die deutsche Patientin Anna die Erste, deren positive Behandlung bekannt wurde. Sie war erst 18 Jahre alt, als eine ALS 2020 diagnostiziert wurde – und zwar in einer besonders aggressiv verlaufenden Form, die auf die Mutation des sogenannten FUS-Gens zurückgeht.

Die Amyotrophe Lateralsklerose beginnt schleichend und wird meist lange nicht bemerkt. Erste Anzeichen sind:

  • Muskelschwäche und -schwund in Armen oder Beinen
  • Ungeschicktheit (Dinge fallen einem herunter)
  • Gangunsicherheit (Stolpern, Stürzen)
  • Sprechstörungen ( vor allem Artikulationsstörungen)
  • Schluckstörungen
  • Muskelkrämpfe
  • Muskelzuckungen

Warum ALS so schwierig zu behandeln ist

Sie betreffen einen geringen Teil der ALS-Patienten. Genmutationen treten generell nur bei rund zehn Prozent auf, bei vier Prozent davon mutiert das FUS-Gen. „Diese Patienten können auch jünger sein als der Großteil der Betroffenen“, sagt Zimprich. An der MedUni werden alle ALS-Patienten auf genetische Varianten getestet. „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gen-Variante herauskommt, ist niedrig“, sagt Zimprich.

Warum ALS so schwierig zu behandeln ist, liegt an der Komplexität. „Die Krankheit ist ein Mix aus verschiedenen Ursachen, die ähnlich ablaufen“, erklärt Zimprich.

ALS-Medikament nur für Teil der Betroffenen geeignet

Das heißt unter anderem: Ein Medikament könnte eventuell nur einem kleinen Teil der Betroffenen helfen. Im Fall des vielversprechenden Medikaments Jacifusen eben Menschen, bei denen die ALS durch eine FUS-Mutation ausgelöst wurde.

Der US-Neurologe Neil Shneider forscht allerdings speziell an der FUS-Gen-Variante und hatte bereits früher eine ebenfalls junge Frau mit der Substanz behandelt. Jaci war 25, als die Mutation des FUS-Gens zur Krankheit führte – wie einige Jahre zuvor bei ihrer Zwillingsschwester, die daran verstorben war.

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Zwar überlebte Jaci eine Lungenentzündung nicht. Untersuchungen danach zeigten aber: In ihren Nervenzellen waren keine zerstörerischen Moleküle der FUS-bedingten ALS-Variante mehr zu finden. Offenbar hatte das Präparat gewirkt, aber zu spät.

Neue ALS-Medikamente "sind wirklich eine Revolution"

Aufgrund dieser beiden Fälle ordnet MedUni-Experte Fritz Zimprich den Einsatz des Medikaments als Hoffnungsschimmer in der ALS-Behandlung ein. „Die Behandlung der deutschen Patientin und die laufende Studie zeigen, der Krankheitsprozess ist aufhaltbar, er kann gestoppt werden.“

Studien mit anderen Substanzen seien nicht so erfolgreich verlaufen und wurden abgebrochen. Eine weitere Erkenntnis zeige der Erfolg von Jacifusen ebenso. „Wenn man einzelne Patienten damit behandeln kann, ist die Chance höher, dass man vielleicht auch eine größere Gruppe mit ähnlichen Medikamenten behandeln kann.“

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Zimprich ist zuversichtlich: „Die neuen Medikamente sind wirklich eine Revolution. In zehn bis fünfzehn Jahren werden wir Krankheiten wie ALS hoffentlich ganz anders behandeln können.“

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