Assistierter Suizid: „Morgen Abend will ich sterben“
Es war ein regnerischer Tag. Die ganze Familie war ins Haus von Karl Koubek nach Hofkirchen in Oberösterreich gekommen. Es gab Kaffee und Kuchen. Karl Koubek selbst konnte nichts davon genießen, doch das war nicht wichtig. Er verteilte an seine Verwandten kleine Billetts mit persönlichen Abschiedsworten und Taschengeld für die Enkelkinder.
Um 8 Uhr abends kam ein Arzt, schloss den 72-Jährigen an die Infusion an. Koubek öffnete das Rädchen. Wenige Sekunden später fiel sein Kopf zur Seite. Karl Koubek war tot. Er wollte es so.
Lebensgeister
„Papa hat es geschafft“, sagt sein Sohn Christian Koubek. „Wir waren so froh, dass er nicht erstickt ist.“ Karl Koubek litt an einer besonders aggressiven Form von ALS (Amyotrophe Lateralsklerose; Anm.) Erst wenige Monate zuvor hatte er die Diagnose bekommen. „Er ist von Tag zu Tag verfallen“, sagt sein Sohn. Bald konnte er nicht mehr schlucken, essen und reden. Als er eine Magensonde bekam, gab es Probleme. Sein Bauchraum füllte sich mit Eiter. Koubek hatte massive Schmerzen, verbrachte ein Monat im Kepler Universitätsklinikum in Linz. „Das war der Zeitpunkt, an dem sein Lebensgeist erloschen ist“, sagt Christian Koubek. Immer wieder litt sein Vater an Erstickungsanfällen. Und er äußerte schnell den Wunsch: „Ich will diesem grauenhaften Tod entkommen.“
„Wenn du das wirklich willst, organisiere ich das für dich, Papa“, versprach Christian Koubek. Nicht wissend, welche Hürden er zu bewältigen haben wird.
Er suchte nach Ansprechpartnern. Zuerst im Spital. „Dort hat man mir gesagt, es gibt die interne Weisung, dass sie da nicht drüber reden dürfen und es schon gar nicht durchführen.“ Er wandte sich an die Ärztekammer OÖ. „Dort hieß es, dass man das nicht unterstützt.“ Er fand einen Arzt in Wien – der für Anreise und Begutachtung 4.000 Euro wollte. Erst als er sich an die Patientenanwaltschaft wandte, habe er von einer Ärzteliste in Oberösterreich erfahren.
Wieder eine Abfuhr
Schließlich fanden sich zwei Mediziner, die eine Begutachtung beim Vater durchführten. Zum ehestmöglichen Zeitpunkt organisierte die Familie einen Notar. Doch schon schnell stand der Sohn vor dem nächsten Problem, als es um die Bestellung des tödlichen Medikaments ging. „Nein, wir haben uns entschlossen, das nicht zu machen“, bekam er in der Apotheke als Antwort. „Ich bin so wütend geworden“, schildert Christian Koubek. „Was, wenn du als Betroffener niemanden hast, der dir hilft?“
Er bekam schließlich in einer anderen Apotheke die noch nicht gemischte Infusion für den Vater und stellte sie ihm vor die Nase. „Was willst du jetzt machen?, habe ich ihn gefragt.“ – „Ich will sterben“, schrieb der Vater auf einen Zettel. – „Wann?“ – „Morgen Abend.“
Angst vor Komplikationen
Der Hausarzt kam, bereitete alles vor. Und ließ die Familie dann allein. „Unsere größte Angst war, dass etwas schiefgeht, dass es Komplikationen gibt. Mein Vater war der Erste, der eine Infusion bekam. Aber der Arzt hat gesagt, er darf nicht bleiben.“
Als Karl Koubek eingeschlafen war, fiel von der Familie ein gewaltiger Druck ab, schildert der Sohn. Und er ist noch immer wütend. Darüber, dass er nur gegen Mauern stieß, alleingelassen wurde. „Das muss sich ändern“, sagt er.
Eine Liebesgeschichte
Erst ein Monat ist es her, da starb Jacques Borek im Beisein seiner Ehefrau Helga in ihrem Haus in Wels. 60 Jahre lang waren die beiden verheiratet. Ihre Liebesgeschichte begann in Dijon. „Ich wollte Französisch lernen, er war Medizinstudent. Wir haben uns auf der Terrasse eines Cafés getroffen“, erinnert sich Helga Borek.
Vor 30 Jahren kam die Diagnose: Blutkrebs. Jacques Borek musste seine Praxis schließen. Mit seiner Frau erfüllte er sich einen Lebenstraum: Das Paar kaufte sich eine Segeljacht und schipperte damit zehn Jahre lang über die Weltmeere. Seine Medikamente hatte er immer dabei. Zwischendurch bekam er Bluttransfusionen.
Erst vor wenigen Jahren übersiedelte das Ehepaar nach Wels. Und hier bekam der Mann plötzlich eine schmerzhafte Entzündung. „Eine Nebenwirkung der Transfusionen“, sagt seine Frau. Es habe keine Möglichkeit auf Besserung gegeben. „Er hat gesagt: Ich will nicht so dahinsiechen.“
Missglückter Schuss
Jacques Borek verzweifelte. Er griff zu seiner Waffe und wollte sich erschießen. „Aber er hatte keine Kraft. Die Waffe ist ihm entglitten, er hat nur geblutet.“
Sechs Wochen war Jacques Borek auf der Palliativstation im Krankenhaus. Er sprach mit seiner Frau über sein erfülltes Leben, die gemeinsamen Abenteuer und die Musik des Sohnes. Dass er sich einen assistierten Suizid wünschte, „war eine ganz bewusste Entscheidung.“ Doch im Ordensspital, in dem er lag, war das nicht möglich. „Also wurde mir gesagt: ‚Wir packen alles ein und schicken Ihren Mann mit der Rettung nach Hause.‘“
Am 3. August starb der 81-jährige Jacques Borek. „Ich war dabei, habe ihn gestreichelt“, sagt seine Frau Helga.
Wie viele Menschen in Österreich seit Jahresbeginn assistierten Suizid in Anspruch genommen haben, ist unklar. Laut Gesundheitsministerium werden derzeit keine entsprechenden Daten gesammelt.
Voraussetzungen
Möglich ist sie nur bei erwachsenen, sterbenskranken Personen ohne Aussicht auf Besserung. Die Betroffenen müssen dazu in der Lage sein, diese Entscheidung selbst zu treffen, ohne Zwänge von außen. Eine ärztliche Aufklärung ist Pflicht. Sie muss von zwei Ärzten unabhängig voneinander geleistet werden. Erst nach 12 Wochen kann eine Sterbeverfügung in die Wege geleitet werden. Mit dieser Verfügung kann ein letales Präparat von der Apotheke besorgt werden.
„Der Leidensdruck ist das Wesentlichste“
Siegfried Pichelmann führt mit seiner Kollegin Katharina Kloimstein eine Hausarzt-Praxis in Oberösterreich. Pichelmann ist zudem Leiter der Abteilung Freitodhilfe der ÖGHL (Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende). Ein Interview.
KURIER: Herr Dr. Pichelmann, Sie führen selbst Begutachtungen von Personen durch, die einen assistierten Suizid durchführen wollen. Wie viele Personen haben sich bisher an Sie gewendet?
Siegfried Pichelmann: Ich habe mittlerweile sieben entsprechende Gutachten ausgestellt.
Gibt es genügend Ärzte, die sich dafür zur Verfügung stellen?
In Oberösterreich sind wir im niedrigen zweistelligen Bereich. In Wien und Kärnten dürfte das auch funktionieren. Aber zuletzt kam ein Patient aus Tirol zu mir, weil er in seinem Bundesland niemanden gefunden hat.
Was sind die Gründe dafür? Ethische Bedenken?
Es gab eine Umfrage unter Ärzten aus meinem Qualitätszirkel. Rausgekommen ist, dass ein Drittel dazu bereit wäre. Aber viele haben sich damit noch gar nicht auseinandergesetzt. Manchen ist auch das Rundherum zu umständlich.
Hatten Sie auch Fälle, wo Sie den Wunsch einer sterbewilligen Person abgelehnt haben?
Ja, einmal.
Worauf achten Sie bei diesen Gesprächen?
Die Entscheidungsfähigkeit ist ein wichtiger Punkt. Und der Wunsch muss schon lange bestehen. Man sollte auch einen gewissen Plan haben, wie man das machen will. Der Leidensdruck der Menschen ist für mich aber das Wesentlichste. Ich habe höchsten Respekt vor diesen Leuten. Sie haben sich im Vorfeld lange damit auseinandergesetzt.
Es gab im Vorfeld die Befürchtung, dass Betroffene von Angehörigen dazu gedrängt werden könnten. Hatten Sie jemals den Eindruck?
Nein, im Gegenteil.
Ein Angehöriger beklagt, dass die Familie bei der Durchführung alleingelassen wurde.
Es wäre wichtig, dass da jemand dabei ist. Allein schon deshalb: Was ist, wenn der Patient das Medikament erbricht?
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