US-Studie startet
Der Neurologe Neil Shneider leitet das ALS-Center an der Columbia University in New York: Er startete mit seiner Studie, als die 25-jährige Jaci Hermstad aus Iowa an der seltenen FUS-ALS erkrankte, nachdem ihre Zwillingsschwester daran gestorben war.
Die kalifornische Pharmafirma Ionis hatte vielversprechende Tests mit dem Präparat ION363 durchgeführt: Shneider erhielt von der US-Arzneimittelbehörde (FDA) die Ausnahmegenehmigung, Hermstad mit dem Mittel zu behandeln. Doch im Mai 2020 starb Hermstad aufgrund von Komplikationen, die eine Lungenentzündung verursacht hatte, wie der Spiegel berichtet.
Bei anschließenden Untersuchungen zeigte sich allerdings, dass typische, toxische Moleküle im Nervengewebe von Hermstad so gut wie nicht mehr nachweisbar waren. Das Medikament dürfte also die Krankheit gestoppt haben, nur leider nicht mehr rechtzeitig. Der Mediziner erweiterte die Studie mit dem Medikament unter dem neuen Namen JaciFUSen - in diesem Augenblick meldete sich die Familie der schwer kranken Anna K. aus Deutschland.
Über einen befreundeten Genetiker, der in den USA arbeitete, hatte die deutsche Familie von der New Yorker Studie mit einer kleinen Probandengruppe, die die extrem seltene FUS-Gen-Mutation aufweisen, erfahren. Eigentlich gilt ALS als Krankheit, die vor allem über 50-Jährige betrifft. Doch die auf FUS-Gen-Mutationen basierende Form trifft auffällig oft junge Menschen.
Behandlung in den USA
Von Dezemer 2020 bis Februar 2021 wurden der jungen Frau vier Dosen des weltweit nicht zugelassen Medikaments JaciFUSen in den USA gespritzt. Eine Behandlung in Deutschland mit dem Medikament ist von deutschen Behörden abgelehnt worden.
Trotzdem verschlechterte sich ihr Zustand rapide: Es folgte ein Kollaps infolge einer Lungenentzündung - Anna K. musst im August 2021 über einen Luftröhrenschnitt künstlich beatmet werden. Die Mutter befürchtete bereits, dass sich die Tochter im Locked-in befindet – völlige Bewegungslosigkeit. Für ALS-Patienten bedeutete dieser Zustand bisher, dass ab diesem Zeitpunkt keine Rückkehr zur selbstständigen Atmung mehr möglich ist.
Für zehn Tage wurde die junge Frau in ein künstliches Koma versetzt.
Doch nach diesem Tiefpunkt ging es bergauf: Die junge Frau konnte wieder selbstständig atmen - anfangs eine Minute - und aufstehen. Zu Silvester 2021 atmete Anna K. bereits eine Stunde ohne Beatmungsgerät. Bald konnte sie wieder selbstständig aufstehen und gehen. In ihr erstarrtes Gesicht kehrte die Mimik zurück, so der Spiegel.
Ihr Fall sei "völlig außergewöhnlich", meint Shneider zu dem deutschen Magazin. "Sollten auch andere Patienten ähnlich auf den Wirkstoff JaciFUSen reagieren, wäre das ein Durchbruch in der ALS-Therapie", sagt der Wissenschafter. Wie der Fall von Anna K. zeigt, lässt sich die Muskellähmung zwar aufhalten, doch einmal zerstörte Motoneuronen lassen sich nicht wiederherstellen.
Mittlerweile kann die junge Frau den größten Teil des Tages selbstständig atmen und ohne Hilfe mehrere Kilometer am Stück gehen.
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