Warum wir alles aufschieben

Last-Minute ist nicht weniger wert, betont eine Psychologin.
Prokrastiniert. Fünf vor Weihnachten: Wie eine Psychologin dem Phänomen auch Gutes abgewinnen kann. Und fünf Erfahrungsberichte zeigen: In der letzten Minute hilft nur Humor.

"Du besorgst schon wieder alles in letzter Minute!" – wer Samstag um 17.55 Uhr noch Last-Minute-Geschenken nachjagt, erntet oft nicht nur Lobesworte aus seinem Umfeld. Zu Unrecht: "Geschenke besorgen in letzter Sekunde – das darf man auf keinen Fall abschätzig beurteilen", sagt die Psychologin Natalia Ölsböck. Im Gegenteil: "Das hat auch Vorteile. Und es ist kein Zeichen einer geringeren Wertschätzung des Beschenkten. Es gibt einfach Menschen, die sich schwerer tun, Entscheidungen zu treffen." Und vor lauter Bürostress keine Zeit haben.

Warum wir alles aufschieben
Natalie Ölsböck, Psychologin

In der Regel schiebe man das auf, "wofür man noch keine rasche Lösung oder keine Zeit hat". Dieses Verhalten könne durchaus effizient sein und helfen, mentale Energie und auch Zeit zu sparen. "Man setzt in der Zwischenzeit andere Prioritäten und zieht Aufgaben vor, für die man mit weniger Zeit und Aufwand eine Lösung findet. In meiner Studienzeit haben wir das als ,Anstrengungsgsvermeider‘ bezeichnet." Muss man dann unter Druck Entscheidungen treffen, werden im Gehirn andere Bereiche aktiviert: "

Das ist kein bewusstes, kognitives Überlegen mehr. Vielmehr wird das ,implizite Erfahrungsgedächtnis‘ angesprochen – das, was man als Intuition oder Bauchgefühl bezeichnet." Diese Prozesse laufen viel schneller ab – "führen aber in der Regel zu einem genauso guten Ergebnis wie langfristiges Überlegen". Will heißen: Am Ende kann in beiden Fällen dasselbe Geschenk stehen – oder zumindest die Freude beim Beschenkten kann gleich groß sein.

Warum wir alles aufschieben
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Eine Studie der Universitätsmedizin Mainz hat übrigens untersucht, wer generell am meisten zum Aufschieben neigt: Junge Männer. Ob das auch für Weihnachtsgeschenke gilt ist vorerst allerdings noch unerforscht.

Ich lern’s einfach nicht. Das hab ich mir vor wenigen Tagen wieder gemerkt, als ich mich mit gefühlten acht Millionen Menschen durch die Mariahilfer Straße wälzte und nach drei Geschäftsbesuchen die erfolgreiche Bilanz von vier Ellbogenremplern, drei Auf-die-Schuhe-Steigern und zwei vor Anstrengung tellergroßen Schweißflecken vorweisen konnte.

Jetzt wäre das eigentlich ein Stress, den man vermeiden könnte. Denn es ist weder überraschend, wem ich zu Weihnachten etwas schenken werde, noch ändern sich die Geschmäcker dieser Personen in den Wochen vor dem Fest dramatisch.

Aber mir geht’s mit Geschenkekaufen wie früher mit Seminararbeiten. Ich warte so lange, bis es fast zu spät ist, verharre noch einige Zeit in Schockstarre, wodurch der Zeitraum zu Vollendung der Aufgabe weiter schrumpft, und versuche dann, zu retten, was noch zu retten ist. „Nächstes Mal mach ich es anders“, denke ich dann. „Da fang ich rechtzeitig an.“ Aber wenn das nächste Mal da ist, ist irgendwie schon wieder kaum Zeit. Anna-Maria Bauer

Am Abend werden die Faulen fleißig – regelmäßig, wenn ich am 24. Dezember auf den letzten Drücker und genervt noch an der Supermarktkasse stehe, denke ich an diesen Spruch meiner Oma. Sie starb 2000, mit fast 97 Jahren und noch heute sehe ich ihren tadelnden Blick, wenn ich gut Planbares wie eben das Einkaufen aufschiebe.
Ich frage mich eher, warum mir Dutzende Unbekannte meine schlaue Idee, kurz vor Geschäftsschluss einzukaufen (da ist sicher am wenigsten los!), geklaut haben, anstatt daheim den Christbaum aufzuputzen.

Es ist ein Glück, dass in meiner Familie Aufgabenteilung herrscht und meine Mutter die meisten Sachen lieber vorgestern als heute erledigt haben will. So muss ich mich nicht um den traditionellen Weihnachtsbraten kümmern und mir bleibt das Beiwerk. Aber auch das war in manchen Jahren schon aus. Ich hoffe noch immer auf die Altersweisheit. Bis ins Alter meiner Oma hab’ ich ja noch Zeit. Zum Beispiel in der Schlange an der Kassa. Ingrid Teufl

Als vor ein paar Tagen eine junge Frau in der einen Hand den Kinderwagen schob und in der anderen einen kleinen Christbaum trug, war mein einziger Gedanke: Das kann ja wohl nicht ihr Christbaum sein? – so klein wie der Baum war. Wer Kinder hat, sollte riesige Bäume aufstellen, auch wenn dafür eigentlich kein Platz ist.

Ich, zum Beispiel, hab weder Kinder, noch Platz, aber der Baum, der steht schon. In voller Perfektion (das eine abtrünnige Astl ließ sich zurechtschneiden). Einziges Problem an diesem Baum: Er ist noch nackt – und wird es heuer vermutlich auch bleiben. Die Weihnachtskiste mit dem feschen Christbaumschmuck ist im Keller ganz hinten.

Das Zeug, das davor steht, so schwer, dass ich es alleine nicht raus- und wieder reinstellen, geschweige denn die Kiste selbst hinauftragen kann. Und der Einzige, der das Keller-Tetris beherrscht, hat jetzt ganz argen Männerschnupfen. Gut, dass der Baum so groß und perfekt ist, dass er auch ohne Kugeln hübsch ist. Julia Schrenk

Dank Internet, Geschenkkarten und Drucker lassen sich eine ganze Reihe von brauchbaren Geschenken im wahrsten Sinne auf den letzten Drücker besorgen. Neben Gutscheinen für bekannte Einkaufsportale, lassen sich auch Abos für praktische oder unterhaltsame Online-Dienste schnell verschenken. Für Musikliebhaber bietet sich etwa ein Abo bei Spotify, Google Play Music oder Apple Music an. Eine Premium-Mitgliedschaft bei den Musik-Streamingdiensten kostet monatlich jeweils etwa zehn Euro.

Ähnliches gilt für Filmfreunde. Mit einem Abo können bei den Streamingportalen Netflix, Maxdome oder Amazon Prime unbegrenzt Filme, Serien oder kindergerechtes TV-Programm geschaut werden. Die Abo-Preise beginnen bei allen drei Services bei acht Euro im Monat. PC-Spieler kommen bei der Spieleplattform Steam auf ihre Kosten. Auch in den Shops von Playstation, Xbox oder Nintendo-Konsolen sind Gutscheinkarten erhältlich. Florian Christof

Lange Schlangen bilden sich dieser Tage nicht nur vor den üblichen Verdächtigen: Neben Buchhandlungen und Supermärkten werden am letzten Einkaufstag heuer auch gewöhnliche Trafiken gestürmt. Der Grund: Der Lotto-Sechsfach-Jackpot, der am Heiligen Abend ausgespielt wird.

Somit hat sich auch meine Last-Minute-Einkaufsliste um einen Punkt verlängert. Als wäre im Gewühle noch schnell ein Buch für die Tante zu besorgen und an der Feinkost-Theke gefühlte Stunden um Köstlichkeiten für die Festtagstafel anzustehen, nicht schon stressig genug. Daneben gilt es, sich die Chance auf das eigene finanzielle Glück zu sichern.

Zugeben: Die Wahrscheinlichkeit, den Hauptgewinn zu landen, ist winzig. Aber mit elf Millionen Euro ließe sich schon der eine oder andere Traum verwirklichen. Etwa jener von einem persönlichen Einkäufer, der sich nächstes Jahr für mich in den Weihnachtsshopping-Stress stürzt. Stefanie Rachbauer

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