Immer weniger Geburten: "Die Bequemlichkeit hat ein Stück zugenommen"

Wollen wir ein Kind? Eine Antwort auf diese Frage zu finden, fällt Paaren zunehmend schwer.
76.873 Kinder haben hierzulande vergangenes Jahr das Licht der Welt erblickt. Die Gesamtfertilitätsrate, die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau, ist auf 1,31 gesunken – ein neues Allzeittief. Da überrascht es kaum, dass eine Umfrage im Auftrag des Kinderwunschzentrums an der Wien nun zeigt: Knapp 70 Prozent der Frauen hegen zwar einen Kinderwunsch, weniger als ein Drittel aller Menschen im fruchtbaren Alter kann sich eine Elternschaft aber aktuell vorstellen. Die Gen Z, junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren, zweifelt daran, ob der richtige Zeitpunkt je kommt.
Woran das liegt, erklärt Andreas Obruca, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien und Präsident der österreichischen IVF-Gesellschaft, im KURIER-Interview.
KURIER: Anfang der Sechziger haben Paare früh geheiratet und rasch Kinder bekommen. Oft mehrere. Seit einigen Jahren schon geht der Trend in Österreich und anderen Industrieländern in eine andere Richtung. Warum?
Andreas Obruca: Damals herrschte regelrechte Aufbruchsstimmung. Die Generation der Babyboomer, wie wir sie heute nennen, hat das Ende des Zweiten Weltkrieges mit allen Entbehrungen mitbekommen, aber auch die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Das passt zu dem, was wir heute aus Studien wissen: Wie es uns wirtschaftlich geht, steht im Zusammenhang damit, ob viele Menschen Kinder bekommen wollen oder nicht. Die aktuelle Teuerung und finanzielle Unsicherheiten führen zur Überlegung, ob man sich Kinder leisten kann.
Zukunftsängste, etwa auch durch aktuelle geopolitische Krisen oder den Klimawandel, spielen eine Rolle?
Sie haben immer eine Rolle gespielt. Spannend finde ich, dass retrospektiv vieles verklärt wird. Zwei Drittel aller Befragten meinten in unserer Studie, dass Elternsein heute härter ist als früher. Werdende Eltern hatten auch vor sechzig Jahren Sorgen. Dennoch haben viele junge Menschen heute das Gefühl, es sei derzeit die schlimmste Zeit zum Kinderkriegen. Die Bequemlichkeit hat ein Stück zugenommen: Man möchte, dass jetzt alles zu 100 Prozent optimal ist, bevor ein Kind kommt: Eine gute Work-Life-Balance, ein gutes familiäres Netzwerk, eine stabile Beziehung.
Bei den staatlichen Ausgaben für Familien liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld. Reicht Geld allein nicht aus, um den Fortpflanzungswillen zu stärken?
Das allein greift zu kurz. Man muss auf mehreren Ebenen ein Bewusstsein schaffen, dass Eltern mit Kindern für die Gesellschaft wertvoll sind. Wir diskutieren viel über Pensionen, aber nicht darüber, wer sie in ein paar Jahrzehnten überhaupt noch bezahlen soll. Es wäre Aufgabe der Familienpolitik, Kinderkriegen attraktiver zu machen.
Wo hakt es?
Es gibt nicht ausreichend Betreuungsangebote, Gleichberechtigung in der Kindererziehung ist noch nicht erreicht, gleichzeitig wird es auch kritisch beäugt, wenn man als Frau länger beim Kind zu Hause bleiben möchte.
Karenzmodelle, die eine gleichberechtigte Elternschaft gezielt fördern, gibt es nicht. Haben Frauen immer weniger Lust, das Kümmern ums Kind alleine zu schultern – und später mit Folgen wie Altersarmut zu kämpfen?
Ich glaube schon, dass das eine Rolle spielt. Wobei für mich eine erzwungene Aufteilung kein guter Weg ist. Jeder Elternteil weiß: Kindererziehung ist Schwerarbeit. Wenn ein Elternteil zwei Jahre beim Kind bleibt, erbringt er eine gesellschaftlich wichtige Leistung. Man sollte dafür Pensionsjahre sammeln, genauso, wie wenn man arbeiten würde. Mit solchen Regelungen könnten Paare in ihren Entscheidungen freier werden. Ich denke, das ist wirkungsvoller, als Männer zum Daheimbleiben zu zwingen. Solange die Gehälter von Männern und Frauen stark auseinanderklaffen, stellt sich außerdem für viele Familien die Frage nach der finanziellen Machbarkeit.
Viele junge Paare stellen hohe Ansprüche an sich als Eltern. Ist der Druck größer geworden?
Früher hat man sich ein Buch gekauft, wenn man schwanger wurde. Heute werden Paare mit Kinderwunsch auf allen möglichen Kanälen mit Ratschlägen bombardiert. In der Familie, im Freundeskreis, vor allem aber dank schlauer Algorithmen in sozialen Medien. Ist man schwanger, wird jedes Symptom gegoogelt, man zerbricht sich den Kopf über mögliche Diagnosen. Ich hatte einmal eine Patientin, die sich noch vor dem ersten Ultraschall über Geburtskliniken informiert hat. So etwas wie eine unbeschwerte Schwangerschaft gibt es quasi nicht mehr. Da prasselt viel auf Eltern ein, auch die gesellschaftlichen Erwartungen sind immens. Die Unbeschwertheit geht da verloren.
Es gibt auch Frauen und Paare, die gewollt kinderlos bleiben. Ab wann kann man wirklich von "gewollt" sprechen? Nur wenn absolut keine Rahmenbedingungen den Entschluss mitgeformt haben?
Wenn 25-jährige Frauen sagen, sie möchten keine Kinder, stellt sich immer die Frage, ob das fürs Leben gilt. Oder ob das eine Haltung ist, die auf der aktuellen Lebenssituation fußt. Wenn eine Frau mit Ende 30 kinderlos bleiben will, ist der Kontext anders. In jedem Fall ist die Entscheidung für ein Kind genauso zu respektieren wie jene gegen ein Kind. Das zu bewerten ist überflüssig. Schade finde ich es, wenn junge Menschen sich gegen Kinder entscheiden, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Immer mehr Paare verschieben die Familienplanung auf später im Leben. Mit welcher Folge?
Dass es zum Teil nicht mehr klappt. Von den Kinderwunsch-Paaren 38 plus wird ein gewisser Prozentsatz nicht mehr schwanger, trotz aller Möglichkeiten, die wir heute haben. Fruchtbarkeitsverlängernde Maßnahmen wie Social Freezing, das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen ohne medizinischen Grund, könnte für jene Gruppe, die sich eine Elternschaft mit Mitte 30 noch nicht vorstellen kann, eine Option sein. Falls es später dann doch passt.
Social Freezing ist nicht unumstritten und in Österreich verboten. Plädieren Sie für eine Liberalisierung?
Dass der Staat es sich vorbehält, Einzelpersonen zu verwehren, ihre Fruchtbarkeit zu konservieren, ist für mich nicht nachvollziehbar. Jeder sollte die freie Wahl haben. Beautybehandlungen mit Botox sind auch nicht verboten. Natürlich kann Social Freezing keine Sozialleistung sein, die die Allgemeinheit zahlt. In Europa sind wir mit dem gesetzlichen Verbot inzwischen aber ziemlich einzigartig.
Diskutiert werden Unsicherheiten bezüglich der Langzeitfolgen …
Wie bei jedem nicht lebensnotwendigen Eingriff muss man über Nebenwirkungen sprechen und darüber aufklären. Dazu zählen mögliche Komplikationen bei der Eizell-Entnahme und bei der hormonellen Stimulation. Die Forschung der vergangenen 40 Jahre zeigt uns aber, dass es keine langfristigen Probleme gibt. Das bedeutet nicht, dass ich die Zukunft darin sehe, dass alle Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen. Aber es sollte eine Überlegung sein dürfen.
Kinderwunschbehandlungen stehen inzwischen gleichgeschlechtlichen Paaren offen, nicht aber alleinstehenden Frauen. Wie bewerten Sie das?
Das ist für mich nicht mehr zeitgemäß. Vor allem wenn man bedenkt, dass alleinstehende Frauen hierzulande adoptieren und in vielen anderen Ländern auch eine Kinderwunsch-Behandlung machen dürfen. Wir sollten uns so weit weiterentwickelt haben, dass wir das Frauen zutrauen. Oft wird über das Kindeswohl diskutiert, in manchen Ländern muss man eine weitere Person des Vertrauens in den Prozess einbinden. Darüber kann man nachdenken. Allerdings halte ich es für blauäugig, zu glauben, dass natürliche Schwangerschaften nur in intakten Partnerschaften auftreten.
Kommentare