Unerfüllter Kinderwunsch: Männer in der Fruchtbarkeitskrise

Bei unerfülltem Kinderwunsch wird die Ursache häufig bei der Frau gesehen. Auch die Behandlungsmöglichkeiten richten sich mehr an Frauen.
Jedes sechste heterosexuelle Paar im gebärfähigen Alter ist nach Angaben der WHO unfreiwillig kinderlos. Häufig wird die Ursache der Unfruchtbarkeit bei der Frau gesehen, tatsächlich geht sie etwa gleich häufig vom Mann aus – Tendenz steigend, wie internationale Expertinnen und Experten jetzt in einem gemeinsamen Artikel in der Fachzeitschrift Nature Reviews Urology betonen.
Das Konsortium aus 26 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern spricht von großen Wissenslücken um die männliche Fruchtbarkeit, die vor allem zulasten ihrer gesunden Partnerinnen gehen. Der Wissensmangel habe gemeinsam mit fehlenden Behandlungsmöglichkeiten für Männer zu einer auf Frauen ausgerichteten Therapie geführt, die teils mit mühsamen und riskanten Eingriffen verbunden ist.
"Die Diagnostik beim Mann bei unerfülltem Kinderwunsch wird oft stiefmütterlich behandelt. Ebenso gibt es bisher wenige wissenschaftlich fundierte Behandlungsoptionen für den Mann“, betont einer der Autoren, Stefan Schlatt vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Universität Münster.
Forschung gefordert
Die Autorinnen und Autoren fordern, dass weltweit Patientenproben und -daten gesammelt werden, um genetische und umweltbedingte Ursachen der männlichen Fruchtbarkeit erforschen zu können und neue diagnostische Verfahren zu etablieren.
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Auch Reproduktionsmediziner Heinz Strohmer, ärztlicher Leiter vom Kinderwunschzentrum an der Wien, teilt diese Einschätzung. "Wir haben über die Jahre gelernt, den Eierstock der Frau zu steuern – er kann beispielsweise angeregt oder seine Produktion stillgelegt werden. Für Männer gibt es bis heute nahezu keinerlei medikamentöse oder andere Maßnahmen, mit denen die Funktionsfähigkeit der Hoden gesteuert werden kann", sagt Strohmer.
Hinzu komme, dass bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch Frauen meist als erste zum Arzt gehen. Denn: Anders als Männer haben sie mit dem Frauenarzt eine fixe Bezugsperson, zu der sie regelmäßig einmal im Jahr gehen und etwa Anliegen bei Reproduktionsproblemen ansprechen können.
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Fruchtbarkeit
Bei ca. 80 Prozent der Paare tritt bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr innerhalb von 12 Monaten eine Schwangerschaft ein. Ist das nicht der Fall, liegt per Definition eine Fruchtbarkeitsstörung vor.
Alter
Im Schnitt sind Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes 30 Jahre alt, Männer sind durchschnittlich 35 Jahre alt – das Risiko für „Brüche“ in der Spermien-DNA steigt mit dem Alter.
Ursache
Bei unerfülltem Kinderwunsch liegt die Ursache bei einem Drittel der Paare bei der Frau, bei einem weiteren Drittel beim Mann und zu einem Drittel ist der Grund bei beiden Partnern zu finden.
Männer zuerst
Allerdings habe sich mittlerweile etabliert, dass auch Gynäkologen zuerst beim Mann ansetzen und dieser noch vor Untersuchungen der Frau zum Spermiogramm geschickt wird. Dafür geben Männer im Labor eine Samenprobe ab, anhand derer festgestellt wird, wie viele Samenzellen in einer Probe enthalten sind, wie gut sie sich bewegen und ob sie in ihrer Form eingeschränkt sind. "Das Spermiogramm ist ein einfacher, nicht invasiver und nicht schmerzhafter Test. Jedem Mann muss klar sein, dass er mit dieser einfachen Methode seiner Partnerin unter Umständen eine Menge Untersuchungen ersparen kann, die für sie belastender sind", betont Strohmer.
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Neben der Samenqualität können auch hormonelle Störungen, Erektionsstörungen oder verschlossene Samenleiter körperliche Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch sein. Genetische Faktoren spielen eher eine kleine Rolle. Schätzungen zufolge sind etwa zehn Prozent der Zeugungseinschränkungen von Männern auf genetische Faktoren zurückzuführen. Hier brauche es – wie auch die internationalen Expertinnen und Experten betonen – noch mehr Forschung, meint Strohmer.
Umwelt und Lebensstil
Großen Anteil an der zunehmenden Zeugungseinschränkung – nicht gleichzusetzen mit Zeugungsunfähigkeit – von Männern haben vor allem Umweltfaktoren, etwa die erhöhte Belastung durch hormonell wirksame Chemikalien, die in unserem täglichen Leben vorkommen und in der Umwelt verbleiben.
Dazu zählen etwa Stoffe in Plastikprodukten, Pestiziden oder Kosmetikartikeln. Auch der Lebensstil hat starken Einfluss. Strohmer: "Ein großes Problem ist mittlerweile Übergewicht und eine ungesunde Ernährung mit viel Fett, Zucker und rotem Fleisch. Weiters wirken sich der Konsum von Alkohol, Marihuana und das Rauchen von Zigaretten nachteilig auf die Samenqualität aus."
Chronische Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck spielen ebenfalls eine Rolle sowie allgemeine Lebensstilfaktoren wie Schlafmangel. Die gute Nachricht: Wer seinen Lebensstil ändert, kann durchaus Verbesserungen erreichen. Diese werden aber erst nach frühestens drei bis sechs Monaten merkbar.
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