Wie viele Frauen habe ich im Feminismus zu Beginn Antworten darauf gefunden, warum man als Frau in der Gesellschaft an so viele Grenzen stößt – was eben auf Männer zurückzuführen ist. Ich habe mich darüber definiert, mich der Übermacht des Männlichen zu widersetzen. Wenn man sich diesem Kampf verschrieben hat und dann Mutter eines Sohnes wird, bringt das viele Fragen und ambivalente Gefühle auf – aber auch einen Schalthebel, mit dem man viel verändern kann.
Der Feminismus spart die Mutterrolle traditionell aus. Ein Fehler?
Das ist ein großes Versäumnis. Wir müssen über Mutterschaft als große Möglichkeit, Gesellschaft zu verändern, diskutieren. Die größten feministischen Handlungen, die man derzeit als Frau machen kann, liegen außerhalb des familiären Kontexts. Der Feminismus hat Mutterschaft als etwas charakterisiert, was Frauenrechten entgegensteht. Natürlich braucht es eine Abkehr von tradierten Mütterbildern. Aber es braucht auch das Aufzeigen von Alternativen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie, als beim Ultraschall das Geschlecht ihres ersten Sohnes erkennbar war, gedacht haben: "Er darf kein Arschloch werden." Wie ordnen Sie diesen Gedanken heute ein?
Ich, die bis zu diesem Zeitpunkt gegen die männliche Dominanz ins Feld gezogen ist, habe mich dabei ertappt, vom männlichen Geschlecht meines Kindes darauf zu schließen, dass er zu einem Mann werden wird, den ich ablehne – mehr noch: als Quelle allen Übels sehe. Heute sehe ich, dass das eine ungerechte Herangehensweise an ein Individuum war.
Haben Mütter bisher das Patriarchat durch ihre Erziehung gestützt?
Das haben wir gerade erst beim Übergriff des spanischen Fußball-Managers Rubiales gesehen, der eine Spielerin ungefragt geküsst hat. Seine Mutter ist im Kloster in den Hungerstreik getreten. Dass Mütter in dem Moment, wo es um die Söhne geht, sämtliche Solidarität mit Frauen über Bord werfen, ist für mich Hochverrat. Diese Frauen sind Verbündete des Patriarchats, vor allem deshalb, weil das ihre vorgegebene Rolle war, von der sie sich lange nicht befreien durften.
Dafür, dass erwachsene Männer selten einen gesunden Umgang mit ihren Gefühlen pflegen und Emotionen wie Wut oder Ohnmacht oft in Gewalt Ausdruck finden, gibt es inzwischen einen Begriff: toxische Männlichkeit. Geht es auch darum, Buben zu zeigen, dass beim Mannsein Platz für – vermeintliche – Schwäche sein darf?
Absolut. Es geht darum, alles, was wir erstritten haben, zu nehmen und zu überlegen, was das Männlichkeitsbild der Zukunft ist, anstatt Männer zu verteufeln. Es gibt nach wie vor eine Hemmung, sich mit Männlichkeit auseinanderzusetzen.
Mütter und Väter wünschen sich, dass ihre Kinder selbstbestimmt durchs Leben gehen. Gleichzeitig möchte man grenzüberschreitendes Verhalten bei Buben nicht fördern. Wie schmal ist der Grat?
Es ist ein Trugschluss, zu denken, bei Selbstbestimmung drehe sich alles nur um einen selbst. Selbstbestimmtheit ist ein wichtiger Ausdruck von Freiheit. Nur, für mich gehört zur Selbstbestimmung dazu, dass man sich fragt, wie ich mich in meiner Entfaltung anderen gegenüber verhalte. Wir dürfen die Selbstbestimmung nicht nur für uns selbst beanspruchen, sondern müssen sie auch für andere, zum Beispiel Männer für Frauen, erstreiten. Sonst ist sich einfach nur jeder selbst der Nächste.
Dass Männer ein erfülltes Leben haben und gleichzeitig die neue Rolle der Frauen achten, geht sich also aus?
Vollkommen. Wir wollen, dass unsere Mädchen all ihre Träume erfüllen können. Aber wir müssen das auch für unsere Söhne wollen. Wir müssen ihnen einen Vertrauensvorschuss geben, dass sie sich genauso positiv entwickeln können – und dürfen ihnen nicht pauschal Machtmissbrauch und Toxizität unterstellen.
Sanfte, einfühlsame, zurückhaltende Männer haben es nach wie vor nicht immer leicht. Haben sie Angst, dass Ihre Söhne von anderen Männern ausgeschlossen werden könnten?
Natürlich, ich habe Momente, wo ich mich frage: Wäre es nicht leichter für sie, wenn sie anders wären? Weil wir es als Gesellschaft eben noch nicht geschafft haben, uns vom Patriarchat zu lösen. Es passiert schon in jungem Alter, dass sie beim Sport beispielsweise in solche Situationen kommen. Diese Frage stellen sich sicher viele Eltern, die ihre Kinder zu Menschen mit bestimmten Werten erziehen wollen.
Wie kann man als Elternteil stützend sein?
Ich erinnere mich in solchen Momenten an meine Kindheit: Ich bin Tochter eines Iraners und einer Deutschen. Auch ich habe Außenseitertum erlebt. Ich habe aber auch erlebt, dass mich meine Eltern immer darin bestärkt haben, Werte hochzuhalten. Das war oft schwer, hat mich aber entscheidend geformt. Es geht nicht darum, dass es in dem einen Moment kurz einfacher ist, es geht darum, den moralischen Muskel zu stärken.
Nahezu jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben sexualisierte Gewalt. Wie lernen Buben, respektvoll mit Frauen umzugehen, ohne die Offenheit im Umgang zu verlieren?
Das ist eine gute Frage – ich weiß tatsächlich nicht, ob ich meine Söhne dahingehend bislang gut begleitet habe. Ich bin als Frau mit Angst vor sexualisierter Gewalt sozialisiert. Altersmäßig steht das bei meinen Söhnen erst an – ich habe den Anspruch an mich, ihnen da ein positives Gefühl mitzugeben.
Hier drängt sich die Frage nach der Rolle der Väter als Vorbilder auf …
Diese Rolle kann man gar nicht genug betonen. Ich als Frau möchte Männern nicht vorkauen, wie sie diese Verantwortung im Leben ihrer Söhne wahrnehmen sollen. Aber ich richte den Appell ganz klar an die Männer: In der Identitätsbildung eurer Söhne seid ihr gefordert.
Können Sie geschlechterneutraler Erziehung etwas abgewinnen?
Kinder sollten nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden, genauso wenig wie Eltern. Wenn wir darum ringen, Geschlechterrollen aufzubrechen, stellt sich auch die Frage, inwieweit Mutter- und Vaterrolle so krass gegendert sein müssen. Wer sagt, dass eine Mutter nicht "väterlich" sein kann, oder umgekehrt?
Vielen Müttern ist es wichtig, dass ihre Töchter lernen, Grenzen zu setzen. Kann es – wenn sich Eltern beider Geschlechter umsichtig verhalten – gelingen, eine Gesellschaft auf Augenhöhe zu erschaffen?
Auf jeden Fall. Eigentlich sind wir uns einig, dass die meisten unserer sozialen Muster in der Kindheit begründet sind. Aber wir haben verabsäumt, darüber zu reden, welche Rolle die Erziehung spielt, wenn wir Gesellschaft verändern wollen. Wir als Eltern sind wichtige Vorbilder, wenn es darum geht, Kindern zu zeigen, dass man für sich einstehen soll – mit konstruktivem Blick auf andere.
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