Humor bei Alzheimer: "Der Clown gibt Kontrolle zurück"
Humor hatte im Umgang mit Alzheimer-Patienten lange keinen Platz. Das sei kontraproduktiv, sagen Experten. Gerade Lachen und Humor beugen sich dem Vergessen langsamer und bilden eine Brücke zur Gedankenwelt des Demenzkranken, wo andere Pfade längst unterbrochen sind.
Magdalena Schamberger beschäftigt sich seit 17 Jahren damit. Die Clown- und Schauspiellehrerin etablierte in Schottland Programme, wo Clowns mit alten Menschen arbeiten – „Elderflowers“ wurde zum Vorbild für Programme in anderen Ländern. Vor zwei Jahren wurde Schamberger von der Queen Margaret University, die mehrere progressive Zugänge zu Demenz hat, mit Honorarprofessur und Lehrstuhl geehrt. Humortherapie als Teil der Pflegeausbildung – das ist neu.
Der Kulturwissenschaftler Ruud erforscht künstlerische Zugänge in der neurologischen Therapie. Er widmet sich an der Maastricht University der Frage, wie weit das „Clowning“ in der Demenzpflege greift.
KURIER: Fangen wir mit einem Einwand an: Viele Menschen finden es respektlos, mit Demenzpatienten zu lachen.
Magdalena Schamberger:Nur bis sie sehen, dass funktioniert, was wir tun. Es gab diesen Einwand, als ich 2001 eingeladen wurde, Clownarbeit mit Demenzpatienten zu versuchen, aber die Experten haben gesagt: Lasst es uns versuchen, jeder Versuch ist besser, als nichts zu tun. Es gab damals gar keinen richtigen Zugang. Man hat dann bald gesehen, dass es gar nicht ums Lachen geht, es geht um die Verbindung. Wenn Menschen Verbindung spüren, werden sie immer lachen, schmunzeln oder auch weinen. Demenzpatienten werden gepflegt, sauber gemacht und gefüttert – alles passiv. Der Clown gibt ihnen eine Kontrolle über etwas, über die Emotion.
Ruud Hendricks: Diese emotionalen Verbindungen beobachte ich auch. Es ist eine Form der Stimulanz durch Geben und Nehmen. Das ist der wichtigste Teil der Arbeit. Der Clown zeigt sich selbst inspiriert von den Menschen mit Demenz, also lädt er sie ein, ihm etwas zu geben, eine Emotion. Das holt die Menschen aus der Passivität.
Schamberger: Wenn du jemandem ermöglichst, wieder zu geben, nicht nur zu nehmen, wird er wieder Mensch. Ein Beispiel: Der Clown legt etwas Blaues und etwas Rotes hin, und fragt: blau oder rot? Dann wartet er oft lang. Der Demenzkranke weiß es nicht, der Clown ist aber entspannt mit dem Nicht-Wissen. Der Patient entspannt mit ihm. Auch wenn keine Antwort kommt, irgendwann schaut der Patient auf eines der beiden. Dann sagt der Clown: „Ah, ist es also das Rote.“ Dann kommt ein Lächeln. „Gut, das Rote, nehmen wir das Rote.“ Beide wissen nicht, was damit zu tun ist, das ist in dem Moment auch egal. Aber der Demenzkranke hat gewählt, er will also das Rote. Da blühten viele auf, weil sie das Gefühl haben, endlich wieder etwas zu wissen. Diese Reaktion erleben wir oft: Dieser Clown will, dass ich mitmache, er sieht mir beim Tun zu – obwohl ich Demenz habe. Das war unser Durchbruch, das setzt viel Positives, Liebe und Verbindung frei.
Warum funktioniert der Zugang bei Demenz? Diese Aufforderung zum Geben ist doch ungewöhnlich bei alten Patienten.
Schamberger: Wir fragen viel zu oft: Warum? Clowns sind spezialisiert zu fragen: Warum nicht? Wir wissen, dass bei Menschen mit Demenz am längsten Kreativität, Rhythmus und Humor erhalten bleiben. Gute Clowns haben ein gutes Rhythmusgefühl, sie tun eines nach dem anderen, halten sich an die erste Idee und bleiben dabei. Wenn es nicht funktioniert, wiederholen sie es. Das tun auch Demenzpatienten, weil sie sich dadurch erinnern. So erreichen Clowns Menschen, die verwundet oder verwundbar sind. Sie sind es in ihrer Rolle selber auch.
Hendricks: Die Verwundbarkeit des Clowns ist der Knackpunkt, dort kommt es zur Verbindung. Gerade in einem Demenzstadium, wo der Patient noch mitbekommt, dass etwas mit ihm passiert, geht der Clown mit ihm. Das ist oft die schwierige Frage für Angehörige: Gehe ich mit dir den Weg abwärts oder kämpfe ich, dass du noch aufrecht sitzt und bei mir bleibst. Es gibt nur eine Antwort: Man kann nur begleiten. In unserer Gesellschaft geht es stark um geistige Leistungsfähigkeit, nimmt sie ab, wird die Person weniger wert. Tatsächlich sehen wir in Forschungen, dass die kognitive Leistung wieder steigt, wenn man die Patienten richtig anspricht – das schaffen die Clowns.
Diese Wahrnehmung als Menschen mit wertloserem Leben ist ein wichtiges Thema bei Demenz. Es gibt noch viel zu tun.
Hendricks: Ja, aber es hat sich auch viel getan, wir sperren die Menschen nicht mehr weg, wir nehmen sie ernst. Der Ansatz dieser Verbindungsaufnahme wird ernsthaft beachtet, aber oft ist es eben eine Frage des Geldes.
Schamberger: Und des Managements, und der Zusammenarbeit. Wir wollen gar nicht allen sagen, wie der richtige Umgang ist, jeder ist Profi auf seinem Gebiet. Wir brauchen aber mehr Austausch darüber, welche Ansätze wirklich funktionieren, und müssen dabei die Menschen ernst nehmen. Die Frage ist, wie können wir ihnen – auch ohne Heilung – eine gutes Leben ermöglichen? Aber man muss festhalten: Zu wenig Geld heißt, zu wenig Personal in der Pflege, dann bekommen Patienten oft eine hohe Medikation. Damit geht einher, dass die Patienten sich nicht mehr entwickeln können.
Hendricks: Das meiste Geld geht in die Forschung nach Heilung. Für die Entwicklung der Pflege und des richtigen Umgangs mit Patienten gibt es kaum etwas. Das hat auch mit der Diktion zu tun: Man spricht von Alzheimer-Tsunami und Notfallplan, das stigmatisiert die Krankheit und treibt das Geld natürlich in Heilungsforschung. Der Clown hilft, dass Demenz anders wahrgenommen wird, das ist Teil der Verbesserung.
Schamberger: Vielleicht ist es sogar eine Form der Heilung: Die Akzeptanz der Person und ihres Denkens, wo sie im Moment ist. Das spüren die Menschen. Wir haben dadurch schon oft auch körperliche Verbesserungen gesehen.
Was unterscheidet die Arbeit gegenüber jener mit Kindern?
Schamberger: Ist die Clownarbeit mit Kindern Popmusik, dann ist Clowning mit Älteren wie Jazz oder Klassik. Das Timing ist anders. Der Clown spielt eine erwachsenere Rolle. Er ist nicht so vergesslich, so naiv, so verspielt. Er ist vielleicht verloren, aber geliebt. Noch immer naiv, aber er hat Vertrauen in die Zukunft. Clowns und Menschen mit Demenz haben etwas gemeinsam: kurze Erinnerungsspannen. Deswegen wiederholen sie ständig alles. Der Clown tut das professionell, der Demenzkranke verbirgt so über einen gewissen Zeitraum die Krankheit. Die Therapie hat sich daher lange um Erinnerung gedreht, aber man kann bei Demenz keine neue Erinnerung herstellen. Clowns sind die Meister des Jetzt. Sie konzentrieren sich auf die Person, die da ist, statt der Person, die einmal war. So kann man Zukunft gestalten. Dadurch fällt es auch Angehörigen oft leichter, den Menschen wieder als das zu sehen, was ihn ausmacht. Nicht als den, der nicht mehr alleine essen kann.
Um in dieser Situation wieder glückliche Momente zu finden.
Schamberger: Das ist untertrieben. Im Bestfall kommt es so wieder zu einer echten Verbindung der Menschen zu sich selbst, wo sie sich wieder spüren. Was sieht ein Mensch, der nur gebückt sitzt, zuerst? Die Schuhe des Gegenübers. Auf diesem Level muss ich sie abholen. Die Clownschuhe wecken ihr Interesse. Dann richten sie sich auf – physisch, aber auch psychisch. Diese Eigenschaften des Clowns könnten die ganze Welt besser machen: Ja sagen, im Jetzt sein, Geben und Nehmen.
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