Experte warnt: "In zehn Jahren werden 50 Prozent der Menschen übergewichtig sein"
Ob Cola, Fanta, Eistee oder Makava - so unterschiedlich diese Erfrischungsgetränke auch schmecken, sie alle haben eines gemeinsam: Sie enthalten (zu) viel Zucker. Eine 250-ml-Dose Cola beispielsweise 27 Gramm. Zur Veranschaulichung: Das sind neun Stück Würfelzucker und damit schon fast der Tagesbedarf.
Denn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen mit einem täglichen Kalorienbedarf von 2.000 Kilokalorien maximal 50 Gramm Zucker pro Tag. Und das sind nicht mehr als 10 bis 14 Stück Würfelzucker.
Herr und Frau Österreicher konsumieren pro Kopf im Schnitt rund 30 Kilogramm Zucker pro Jahr. Das ist fast doppelt so viel wie Experten als Obergrenze empfehlen. „Das Suchtpotenzial bei Süßem ist besonders hoch“, erklärt Herbert Tilg, Gastroenterologe und Direktor der Universitäts-Klinik für Innere Medizin in Innsbruck, unseren Hang zum Süßen. Das Problem dabei: Die Hauptenergiequelle des Gehirns ist Glucose, also Zucker.
Andererseits: Den Zucker, den unser Gehirn benötigt, um funktionieren zu können, kann unser Körper – vereinfacht gesagt – aus vielen Nahrungsmitteln selbst produzieren, zum Beispiel aus Brot, Kartoffeln oder Getreide. Herkömmlicher Haushaltszucker (die Medizin spricht von Saccharose) enthält weder Vitamine noch Mineralstoffe – dafür aber jede Menge Kalorien.
Chronische Erkrankungen als Folge
Kalorien sind das eine, aber schadet der zugesetzte Zucker deshalb auch gleich der Gesundheit? Ja, sagt Medizin-Professor Tilg: „Zu viel Zucker über eine zu lange Zeit macht uns krank.“ Erst vor Kurzem ist er gemeinsam mit einem Kollegen dem Thema „Zusammenhang von westlicher Ernährung und chronischen Erkrankungen“ in einer wissenschaftlichen Studie nachgegangen.
„Wir wissen, dass Zucker- und Kohlenhydrate-Konsum direkt mit dem Auftreten von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Schlaganfällen oder Diabetes Typ 2 korreliert.“ Außerdem schwächt zu viel Zucker das Immunsystem: „Dann kommt es zu chronischen Entzündungen“, warnt Tilg.
In Österreich sind laut Österreichischer Diabetikervereinigung (ÖDV) derzeit zwischen 500.000 und 800.000 Menschen von Diabetes-Typ-2 betroffen, mehr als jeder Zehnte. Besonders bedenklich ist dabei die steigende Zahl von Diabetes-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.
Braucht Österreich eine Zuckersteuer?
In Großbritannien, Frankreich und Portugal, aber beispielsweise auch in Chile und Mexiko gibt es deshalb bereits eine sogenannte Zuckersteuer. In der Theorie ist die Idee simpel: Da die Produzenten die Abgabe zahlen müssen, erhöhen sie die Preise ihrer Produkte. Das macht zuckerhaltige Getränke teurer als zuckerfreie, also greifen Konsumenten eher zu den zuckerfreien Alternativen. Die Profite der zuckerhaltigen Getränke sinken, also entscheiden sich die Hersteller dazu, diese weniger oder gar nicht mehr anzubieten. Klappt das in der Realität auch so?
Nina Eichberger vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) sagt: „Nach der Auswertung von über 300 internationalen Studien zeigt sich, dass höhere Preise die Nachfrage nach ungesunden Lebensmitteln vorrangig bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen reduzieren können.“ Auch Mediziner Tilg pflichtet bei: „2035 werden 50 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig sein. Worauf wollen wir noch warten? Die Lösung kann nur über eine gesellschaftliche Maßnahme kommen. Der Staat muss etwas ändern.“
2035 werden 50 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig sein. Worauf wollen wir noch warten?
Reaktionen der Politik
Was sagt „der Staat“ dazu? Aus dem Gesundheitsministerium heißt es dazu auf KURIER-Anfrage: „Wir stehen der Einführung offen gegenüber, die Zuständigkeit dafür liegt allerdings beim Finanzministerium. Wichtig wären begleitende Maßnahmen, um die Verwendung von Süßungsmitteln als Ersatz möglichst hintanzuhalten. Eine bessere Kennzeichnung von ungesunden Lebensmitteln könnte ebenso einen Beitrag leisten.“
Im Finanzministerium sieht man im Steuersystem allerdings keine „präferierende Maßnahme für die Unterstützung eines gesunden Ernährungsverhaltens“, viel eher würde man auf „Aufklärung und Bewusstseinsbildung, vor allem bei Jugendlichen“ setzen, heißt es aus dem Ministerium.
Notwendige Aufklärung
Bisher ist die Aufklärung aber eher dürftig, beklagt Nina Eichberger vom VKI: „Über den hohen Gehalt an verstecktem Zucker etwa in Fertiggerichten, Soßen wie Ketchup und vermeintlich gesunden Getränken sind sich viele Konsumenten nicht im Klaren. Hier gibt es ein irrsinniges Einsparungspotenzial.“
„Light“ und „Zero“ – eine heimtückische Lösung
Immer mehr Hersteller bieten neben den zuckerhaltigen Getränken alternativ ein großes Sortiment an „light“- und „zero“-Produkten an. Für Mediziner Tilg eine gefährliche Lösung: „Diese Produkte haben etwas Verführerisches, weil sie das Süß-Bedürfnis befriedigen, tatsächlich tricksen sie das Immunsystem und das Mikrobiom aber aus.“ Das am häufigsten verwendete Süßungsmittel in Light-Produkten ist Saccharin, und das erhöht absurderweise den Zuckerspiegel, wie israelische Forscher nachweisen konnten.
An weniger Zucker gewöhnen
Die Empfehlung des Mediziners: die Menschen wieder an etwas weniger Zucker zu gewöhnen, also an das, „was früher normal war“. Sowohl Tilg als auch Konsumentenschützerin Eichberger fordern einheitliche EU-Standards sowie genaue und klare Angaben der Hersteller auf ihren Produkten, „die Konsumenten weder in die Irre führen, noch täuschen“.
Klare und einheitliche Bezeichnungen
Bezeichnungen wie ‘zuckerfrei‘ und ‚ohne Zuckerzusatz‘ sind zwar gesetzlich definiert, aber Botschaften wie ‚weniger süß‘ und ‚Süße nur aus Früchten‘ sagen nichts über den wahren Zuckergehalt aus und können in die Irre führen, warnen die Experten.
Gastroenterologe Tilg sieht in Zukunft vor allem die Politik gefordert, gesunde Lebensmittel leistbarer zu machen und ungesunde höher zu besteuern. Das könnte sich für den Staat doppelt auszahlen: „50 Prozent Übergewicht in einigen Jahren – die Gesundheitskosten dafür sind verrückt. Abnehm-Spritzen werden in Zukunft öffentlich bezahlt werden, warum setzt man da nicht lieber auf gesunde Lebensmittel?“ Nachsatz: „Es klingt halt noch nicht sexy. Aber die Zeit wird kommen.“
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