Da es sich um einen neuen Erreger handelt, gibt es, anders als bei der jährlichen wiederkehrenden Grippe mit bekannten Erregern, keinen Teil der Bevölkerung, deren Immunsystem diesen wirkungsvoll bekämpfen kann. Bei der Influenza hingegen haben viele durch vorangegangene Erkrankungen und auch durch die Impfung einen gewissen Schutz.
Fazit: "Die Grippe wäre ohne Shutdown langsam ausgelaufen, aber die Zahlen bei den Coronavirusinfektionen und auch damit verbundenen Todesfällen wären steil nach oben gegangen."
Und die Letalität - also der Anteil der Verstorbenen an der Gesamtzahl aller Erkrankten - liege mit rund einem Prozent um das Zehnfache höher als bei der Influenza, betont Schernhammer. Auch die Ansteckungsrate sei höher.
Auch der Anteil wirklich schwerer Erkrankungsfälle mit einem teilweise mehrwöchigen Aufenthalt auf einer Intensivsstation ist höher.
Der Virologe Christoph Steininger vom AKH / MedUni Wien führt noch einen weiteren Effekt des Shutdown an: "Der frühe Shutdown hat nicht nur unzählige Coronavirus-Todesfälle verhindert, sondern auch viele Grippe-Tote. Das Zuhausebleiben und Abstandhalten hat auch zu einem raschen Abflauen der Grippewelle geführt."
Simulationsexperte Niki Popper von der TU Wien hat berechnet: Hätte es den Lockdown sieben Tage später gegeben, hätten sich die positiven Corona-Fälle in Österreich vervierfacht. Darüber hinaus wären knapp mehr als 1.000 Intensivbetten belegt gewesen. Dies hätte in der Folge aber auch die Sterblichkeit erhöht, weil ein gewisser Anteil der Intensivpatienten nicht überlebt.
Eine Studie des Imperial College in London, die kürzlich im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde, hat für elf europäische Staaten untersucht, welche Folgen es gehabt hätte, wenn keine Maßnahmen gesetzt worden wären. Für Österreich kommt diese Studie für den Zeitraum bis zum vierten Mai auf eine theoretische Todeszahl von 66.000 - vorausgesetzt, das Virus hätte sich ungebremst ausbreiten können und niemand hätte sein Verhalten geändert.
In Großbritannien hat das ehemalige Mitglied der wissenschaftlichen Beratergruppe, Neil Ferguson, erklärt, dass die Zahl der Todesopfer in Großbritannien hätte halbiert werden können, wenn die Maßnahmen nur eine Woche früher eingeführt worden wären.
Grundsätzlich handelt es sich bei der Ermittlung der Todeszahlen um zwei unterschiedliche Verfahren. Bei der Influenza handelt es sich um Schätzwerte aufgrund der Infektionszahlen bei einer Gruppe von Ärzten, die wöchentlich ihre Erkrankungszahlen melden. Diese werden dann auf ganz Österreich hochgerechnet. Bei den am Coronavirus Verstorbenen handelt es sich hingegen um bestätigte Todesfälle.
Wird Corona ein Schnupfen?
Spekuliert wird auch darüber, ob und wie das Coronavirus seine Eigenschaften durch genetische Mutationen verändern könnte. In seinem NDR-Podcast erklärte der deutsche Virologe Christian Drosten mehrere Theorien: So könnte das Virus besser über die Nase übertragen werden: "Aber in der Nase werden wir nicht allzu krank davon. Das heißt, das Ganze wird auf lange Sicht zu einem Schnupfen, der sich für die Lunge gar nicht mehr interessiert. So etwas könnte passieren."
Gleichzeitig fügt er an: "Es könnte auch etwas anderes passieren." Das Virus könnte seine Vervielfältigungsrate in allen Schleimhäuten steigern, "und das würde dann auch wieder die Lunge mitbetreffen, und dann würde es eine schwerere Erkrankung werden".
Doch er ist vorsichtig optimistisch: Die Vergangenheit habe gezeigt, dass "erfahrungsgemäß tatsächlich Virusepidemien über die Zeit harmloser werden". Und: "Also wie wir es drehen und wenden: Das wird in jedem Fall harmloser werden. Schon alleine durch die Bevölkerungsimmunität. Aber vielleicht spielt eben auch die Evolution noch eine Rolle dabei."
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