Trend "Friendsmas": Fröhliche Weihnachten – lieber ohne die Familie
"Vielleicht geh' ich einfach zu Freunden", sagt Clara. Die gebürtige Burgenländerin und gelernte Floristin lebt ihn Wien. Das bevorstehende Weihnachtsfest mit ihrer Familie zu verbringen, ist dieses Jahr eine logistische Herausforderung: Ihre Mutter reist über die Feiertage zu Verwandten nach Südamerika. "Papa feiert bei der Familie in Kärnten, da kann ich wegen meiner kranken Katze heuer nicht mit", erzählt die 31-Jährige. Und Claras Großeltern entspannen am Heiligen Abend in der Therme.
Insbesondere junge Menschen entscheiden sich längst nicht mehr nur aus Mangel an Alternativen für ein Weihnachtsfest im Freundeskreis.
Der dazugehörige Trend trägt den Namen "Friendsmas", eine Verschmelzung der englischen Begriffe für Freunde und Weihnachten.
Friendsmas auf dem Vormarsch?
Dass Friendsmas den Titel "Trend" verdient, zeigen jüngste Umfragen aus Großbritannien: Sieben von zehn Personen treffen demnach an den Feiertagen lieber Freundinnen und Freunde. Eine Befragung des Lautsprecherherstellers Sonos unter 8.000 Personen aus acht verschiedenen Ländern ergab schon vor einigen Jahren, dass sich 51 Prozent mehr auf die Weihnachtsfeier im Freundeskreis als auf das Fest mit der Familie freuen.
Die Motive sprechen teils für sich: Friendsmas-Verfechter führen die entspanntere, informellere Atmosphäre ins Treffen. Weihnachten mit den engsten Freunden statt der entfremdeten Tante, der streitsüchtigen Schwester, dem politisch inkorrekten Onkel – das bedeutet für viele auch weniger Stress.
Weihnachtsfest: Mühsame Familie, gleichgesinnte Freunde
Friendsmas als Trotzreaktion familienüberdrüssiger und religionsverweigernder Twens abzutun, greift dennoch zu kurz, sagt Donata Romizi, Philosophin an der Universität Wien. "Einerseits ist es nachvollziehbar, dass Menschen ein Fest mit Freunden vorziehen", sagt sie. Familie sei für viele eine mühsame Konstellation: "Wir nehmen darin fixe Rollen ein, verbinden Pflichten damit und nicht selten eine belastete Vergangenheit."
Ähnlich argumentiert Frank Welz. Der deutsche Soziologe forscht und lehrt an der Universität Innsbruck. "Es ist ein ganzes System von Beziehungen in der Verwandtschaft mit jeweils vielen Erwartungen", präzisiert er. "Freunde sind hingegen Gleichgestellte. Es gibt keine verbindlichen Rituale, die man einhalten muss. Der Kreis ist viel kleiner, im Schnitt haben wir drei Freunde. Freundschaften sind freiwillige Bindungen." Es verstehe sich, dass es "unter Freunden einfacher ist".
Friendsmas könne Romizi und Welz zufolge auch als Symptom fortschreitender gesellschaftlicher Individualisierung verstanden werden. "Menschen wollen maximal selbstbestimmt agieren", sagt die Philosophin. Viele Junge würden sich im Laufe des Lebens geografisch von der Herkunftsfamilie entfernen, sagt Welz. "Es ist so klar wie harmlos: Wer die Herkunftsfamilie nicht in der Nähe hat, muss sich an Weihnachten nach anderen Formen des Feierns umschauen."
Verkümmerte Freundschaftsfähigkeiten
Daran, dass sich Friendsmas breit in der Gesellschaft etabliert, zweifelt Romizi aber. "Zum einen greift eher die Einsamkeit wie eine Epidemie um sich, vielen Menschen mangelt es schon jetzt an Nahestehenden, mit denen sie feiern können." Zum anderen hätten viele Menschen verlernt, echte, tiefe Freundschaften zu kultivieren. "Wir fühlen uns anderen kaum verpflichtet, sind selten verlässlich, stehen lieber selbst im Mittelpunkt mit unseren Bedürfnissen, anstatt den Wünschen anderer Raum zu geben."
Dass die Familie per se unwichtiger wird, glaubt sie nicht. "Wir leben in einer angsterfüllten Zeit. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist groß – den Schutz vor der komplizierten Welt verbindet man oft mit dem Familiennest, selbst wenn es problembehaftet ist." Familienkonzepte würden flexibler – jedoch nicht unbedingt auf den Freundeskreis als Quasi-Familie erweitert. "Freundschaften bieten etwas anderes als Familien und umgekehrt. Es wäre eine Verarmung, wenn die beide Konstrukte ineinander aufgehen."
Weihnachten mit Freunden als Geschäftsidee?
In Österreich hat sich die Zahl der Einpersonenhaushalte in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt. In Großstädten liegt der Anteil bei ungefähr der Hälfte aller Haushalte. Ein Weihnachtsfest mit Freunden sieht Welz angesichts dieser Entwicklungen positiv. "Andererseits wissen wir, dass das neue Friendsmas neben dem alten Christmas auch eine kommerzielle Strategie ist. Zu Weihnachten muss man Familie und Verwandte beschenken. Eine verbindlichere Ausweitung auf den Freundeskreis wäre dann eine clevere Geschäftsidee."
Tatsächlich hat sich rund ums alternative Fest mit Freunden ein kleiner Markt entwickelt: Im Internet werden vorgefertigte Einladungen dafür feilgeboten, auch darauf abgestimmte Deko-Artikel – von der Serviette bis zur Girlande – kann man shoppen. Weinflaschen mit passenden Etiketten runden die Motto-Party ab.
Zeit zu schnelllebig für Freundschaften
Oft wird in Umfragen als Treiber von Friendsmas-Events die Tatsache genannt, dass unterm Jahr wenig Zeit zur Freundschaftspflege bleibt – man die Entschleunigung rund um die Feiertage nutzen möchte. Tatsächlich haben viele kaum mehr Zeit für soziale Kontakte. "Aber es ist eine Illusion, zu denken, dass man diesen Zustand mit einem Friendsmas-Event kompensieren könnte", sagt Romizi. Weihnachtsfeiern würden in Gruppen stattfinden, "für echte Beziehungsgestaltung braucht es Zeit zu zweit".
In vielen Fällen schließt das Feiern mit Freunden ein Fest mit der Familie nicht aus. Auch bei Clara nicht. Sie wird ihre Verwandten an den Tagen nach dem 24. Dezember besuchen.
Für einen ergänzenden Ansatz plädiert auch Welz: "Zwischen dem Fest mit der Familie und der Feier mit Freunden sollten wir keinen Gegensatz konstruieren. Schön ist, dass wir zu Weihnachten freie Tage haben und nach freiem Entschluss anderen begegnen können – wenn wir es wollen."
Kommentare