Was Experten über Faßmanns Schul-Test-Pläne denken
Der Impffortschritt bei den Kindern und Jugendlichen läuft – derzeit allerdings eher schleppend. Um den immunisierenden Stich attraktiver zu machen, kündigte ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann nun an, geimpfte Schülerinnen und Schüler im Herbst von der Test- und vielleicht auch der Maskenpflicht befreien zu wollen. Geimpften Privilegien zuzusprechen, entspreche der "generellen Regierungslinie", so Faßmann.
Sinnvolle Idee?
Infektiologe Herwig Kollaritsch, der die Regierung als Mitglied des COVID-Beraterstabes des Obersten Sanitätsrates in Corona-Belangen berät, hält den Vorschlag für sinnvoll: "Die Idee ist, aus derzeitiger Sicht, positiv zu bewerten und könnte einen guten Impf-Anreiz darstellen."
Aktuellste Daten zeigen zwar, dass auch Geimpfte im Falle einer Ansteckung das Virus theoretisch weiterhin übertragen können: "Es ist aber davon auszugehen, dass geimpfte Kinder und Jugendliche eine viel bessere Immunantwort als Ältere zeigen. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich sehr hohe Antikörperspiegel im Blut und auch im Bereich der oberen Atemwege aufweisen."
Letzteres könne dazu beitragen, dass das Virus erst gar nicht in den Körper eindringen kann - "und das heißt wiederum, dass sie als Überträger nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen." Ist der überwiegende Großteil einer Klasse geimpft, sei das wohl ein Garant dafür, dass dort "mit hoher Wahrscheinlichkeit keine großen Cluster mehr entstehen", so Kollaritsch.
Schulen als Infektionstreiber
Michael Wagner, Mikrobiologe und Leiter der österreichweiten Gurgel-Studie an Schulen, sieht die Rolle geimpfter Kinder als Überträger noch nicht ausreichend erforscht: "Schulen tragen nicht unwesentlich zur Verbreitung des Virus bei, so viel steht inzwischen fest. Nun haben wir zwar die Impfung für die Über-12-Jährigen zur Verfügung, was großartig ist, aber gleichzeitig mehren sich Studien, die zeigen, dass auch Geimpfte Durchbrüche erleiden und ansteckend sein können. Gerade bei der Delta-Variante. Deswegen sind hohe Durchimpfungsraten so wichtig."
Fakt sei aber auch, dass sich Geimpfte deutlich seltener anstecken und damit auch andere schützen. Zu Kindern und Jugendlichen gebe es diesbezüglich noch wenig Daten: "Kinder haben grundsätzlich ein besseres Immunsystem, Durchbruchsinfektionen könnten also seltener passieren. Solange dies aber nicht belegt ist, sollte nicht auf das regelmäßige Testen von geimpften Kindern an den Schulen verzichtet werden, da noch viele Ungeimpfte an den Schulen sein werden."
Übers Impfen aufklären
Wagner sieht Faßmanns Vorstoß allgemein zwiegespalten. Zwar sei "alles, was Eltern und Kinder ab zwölf Jahren dazu bringt, sich für eine Impfung zu entscheiden, positiv und überlegenswert, die Hauptmotivation sollte aber über die Aufklärungsschiene laufen." Der Experte plädiert dafür, Eltern und Kinder in den kommenden Monaten verstärkt darüber zu informieren, dass "doch ein nicht unerheblicher Prozentsatz infizierter Kinder auch mit mildem Verlauf an Long Covid leidet". Dabei handle es sich um keine banale Krankheit.
Zudem erkranken, möglicherweise auch in Abhängigkeit von der Virus-Variante, zwischen 0,1 und ein Prozent aller infizierten Kinder schwer und müssen dann häufig im Spital behandelt werden. Eines von ein paar Tausend infizierten Kindern entwickelt eine überschießende Reaktion des Immunsystems (genannt MIS-C), das oft zu einer Einweisung in die Intensivstation führt. "Das sollte man klar kommunizieren, ohne Panik zu verbreiten. Ohne Impfung sind Kinder unzureichend davor geschützt. Als Elternteil kann man das nicht wollen und das sollte zur Impfung motivieren", sagt Wagner.
Erschwert werde das Impfen bei Kindern und Jugendlichen laut Wagner auch dadurch, "dass von vielen Seiten lange postuliert wurde, dass Covid-19 gar keine Gefahr für die Kinder darstellt". Entsprechend zurückhaltend seien viele Eltern nun bei der Immunisierung ihrer Kinder. Privilegien seien gut, weil sie zum Impfen animieren, sagt Wagner, "aber ein Verzicht auf das Testen Geimpfter erhöht gleichzeitig das Risiko für die Schulen".
Epidemie beherrschen
Fährt man das Testen drastisch zurück, verliert man Wagner zufolge auch den Überblick über das epidemiologische Geschehen an den Bildungseinrichtungen. "Wir hatten mit unserer Schul-Studie in Österreich bisher das Privileg, dass wir immer wussten, wie die Infektionslage an den Schulen ist."
Für den Herbst und Winter, in dem die Schulstudie nicht weiterläuft, "bleibt zu hoffen, dass es wieder im Detail ausgewertete Stichproben-Tests geben wird, die auch Geimpfte miteinbeziehen". Sonst verliert man das Wissen über die Entwicklungen an den Schulen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: "Im Herbst werden die Kinder und Jugendlichen die Hauptbetroffenen der Pandemie sein."
Kollaritsch sieht das weniger problematisch: "Wenn die Zahl der Neuinfektionen im Herbst in einem vernünftigen Rahmen bleibt, sehe ich hier kein Problem. Wenn wir mit einer furchtbar instabilen Situation konfrontiert sind oder die Infektionszahlen stark schwanken – wie derzeit etwa in Großbritannien –, dann würde ich beim engmaschigen Testen bleiben." Allerdings könne man bei hoher Impfrate bei Kindern und Pädagogen auf wöchentliche Tests zurückschrauben, "anstatt dreimal pro Woche zu testen".
"Testen ist zumutbar"
Testen sei laut Wagner jedenfalls ein gesellschaftlicher Beitrag, "der jedem zumutbar ist", um Ausbrüche frühzeitig zu erkennen: "Je engmaschiger man testet, desto unwahrscheinlicher werden große Cluster, weil man Infizierte mit PCR-Tests ganz früh aus dem Geschehen ziehen kann."
Derzeit sind in Österreich 1,09 Prozent der Mädchen in der Altersgruppe der Unter-15-Jährigen einen vollständigen Impfschutz. 1,11 Prozent der Buben in dieser Altersklasse verfügen über eine doppelte Immunisierung.
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