Was das Coronavirus im Gehirn anrichten kann
Die Technik macht‘s möglich: Deutsche Wissenschaftler konnten mit spezieller Bildgebungstechnik im Gehirn von Covid-19-Patienten nachweisen, was bei herkömmlichen Untersuchungen bisher verborgen blieb: Sie stellten entzündliche Veränderungen der weißen Substanz fest, offenbar bedingt durch Flüssigkeitsverschiebungen. Diese könnten zu kognitiven Beeinträchtigungen führen, vermuten die Experten aus Freiburg.
Corona-Patienten klagen immer wieder über verschiedene neurologische Komplikationen. Stichwort: „Neuro-Covid“. Der Zusammenhang zwischen der Viruserkrankung und Veränderungen im Gehirn konnte mittels MR- oder CT-Untersuchungen aber nicht zuverlässig hergestellt werden.
Bildgebendes Verfahren für Spitalspatienten
Die Arbeitsgruppe um Jonas Hosp konnte nun mit der technischen Hilfe von DMI, „diffusion microstructure imaging“, den Konnex zwischen kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen und Ursachen in Stirn- und Scheitellappen-Bereich des Gehirns nachweisen. Die Spezialisten beschreiben eine verminderte Glukose-Verstoffwechselung. Als mögliche Erklärung nenne sie mikrostrukturelle Veränderungen im Gehirn mit Aktivierung von Mikroglia und Astrozyten. Dabei war die weiße Substanz, d. h. die Nervenzellfortsätze, davon stärker betroffen als die graue.
Die Experten folgern daraus, dass eine Entzündungsreaktion der Nervenfasern der weißen Substanz die Funktion der angeschlossenen Hirnrindenbereiche beeinträchtigen könnte, was wiederum zu dem verminderten neokortikalen Glukosemetabolismus und den entsprechend lokalisierten kognitiven Störungen passen würde.
Für ihre Studie verglichen die Wissenschaftler DIM-Bilder von zwanzig Spitalspatienten, die an neurologischen Symptomen wie z. B. Delir oder Hirnnervenlähmungen litten sowie kognitive Störungen aufwiesen, mit jenen von 35 gesunden Studienteilnehmern. Die Unterschiede waren deutlich.
„Prinzipiell reversible“ Veränderungen
„Zusammenfassend konnten mit der DMI-Technik bei Covid-19-Betroffenen mit subakuten neurokognitiven Symptomen ausgedehnte Volumenverschiebungen zerebraler Flüssigkeit nachgewiesen werden, die im normalen MRT nicht sichtbar sind“, kommentiert Prof. Peter Berlit: „Die Studie deutet darauf, dass kognitive Störungen bei Covid-19 strukturelle Ursachen im Gehirn zu haben scheinen. Prinzipiell sind diese reversibel.“
Der Experte fordert Langzeitbeobachtungen, um den weiteren Verlauf beurteilen und mögliche Behandlungsstrategien überprüfen zu können.
Keine Übertragung der Ergebnisse auf Long-Covid-Patienten
Jonas Hosp, Letztautor der Studie, rät zur Vorsicht, wenn es darum geht, diese Ergebnisse auf Long-Covid zu übertragen: „Die Studie hat Patientinnen und Patienten im subakutem Stadium untersucht, die aufgrund der Krankheitsschwere stationär behandelt werden mussten und durch neurologischen Symptome auffällig wurden. Ob die hier festgestellten pathophysiologischen Prozesse auch für das Post-Covid-Syndrom eine Rolle spielen, muss sich erst noch zeigen. Beim Post-Covid-Syndrom ist die akute Infektion ja häufig milde und die Beschwerden treten mit einer gewissen Latenz zur Infektion auf.“
Veränderungen im Gehirn von (tierischen) Long-Covid-Patienten
Über Veränderungen im Gehirn von Long-Covid-Patienten berichtete zuletzt ein deutsches Forschungsteam der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo). Franziska Richter Assencio, Leiterin des Instituts für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie, konnte an Goldhamstern zeigen, dass sich nach einer überstandenen Covid-19-Infektion die Proteinstruktur der Nervenzellen im Gehirn verändert. Der Mäuseartige ist "das" Versuchskaninchen in der Corona-Forschung.
Wie bei Alzheimer und Parkinson
Das Forschungsteam fand – wie im Fachmagazin eBioMedicine - The Lancet veröffentlicht - Anhäufungen zur Fehlfaltung neigender und in ihrer Struktur veränderter Proteine, die von Alzheimer- und Parkinson-Patienten bekannt sind. Diese Ansammlungen könnten zu Störungen des Nervensystems führen und beispielsweise die Konzentrations- und Gedächtnisstörungen erklären.
Darüber hinaus wiesen die Wissenschaftler zu Beginn der Infektion eine Aktivierung von Mikrogliazellen - den Immunzellen des Gehirns - nach, die noch vorhanden war, nachdem die Symptome bereist abgeklungen waren.
Bekannte Symptomen
Bei bis zu 67 Prozent der Covid-19-Patientinnen und -Patienten treten während der akuten Infektion neurologische Symptome auf. Diese Symptome können nach der Infektion fortbestehen oder erst Wochen später neu auftreten.
Zu den Komplikationen der Virusinfektion zählen neurologische, neuropsychologische und neuropsychiatrische Symptome wie kognitive Störungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Depressionen, Angstzustände, Gangstörungen und allgemeine Müdigkeit. Die Pathogenese dieser Symptome ist nach wie vor ungeklärt und es gibt, abgesehen von Rehabilitationsmaßnahmen, derzeit keine wirksamen Behandlungen.
Biomarker vorhanden
„Studien zu Biomarkern für neurodegenerative Erkrankungen im Plasma und bildgebende Verfahren zur Integrität des Gehirns in Long- bzw. Post-Covid-19 Patienten zeigen Ergebnisse, welche mit unseren Beobachtungen übereinstimmen. Die Vielfalt der Symptome weist eindeutig auf eine Beteiligung verschiedener Hirnregionen hin“, erklärt Richter Assencio, „ob und falls ja, wie SARS-CoV-2 in das Gehirn gelangt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Wir konnten SARS-CoV-2 bei unseren Untersuchungen zwar zu keinem Zeitpunkt im Gehirn nachweisen, es gibt aber auch Studien, die geringe Mengen des Virus im Gehirn gefunden haben. Es wäre auch denkbar, dass allein die Reaktion des Immunsystems auf das Virus und die damit einhergehenden Signalmoleküle wie Zytokine die beobachteten Veränderungen hervorrufen.“
Die Forschenden vermuten, dass die Anhäufung von Tau und Alpha-Synuclein eine Ursache für die lang anhaltenden neurologischen Symptome sein können. Die Expertin räumt ein: Es bestehe noch viel Forschungsbedarf.
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