Vorteile für Geimpfte: Wird es ohne 1-G-Regel nicht funktionieren?
„Man sieht doch: Wir haben Maßnahmen wie die 3-G-Regelung, aber die Zahlen steigen“, sagt die Virologin Dorothee von Laer von der MedUni Innsbruck. „Also müssen wir die Maßnahmen verschärfen.“ Sie befürwortet eine 1-G-Regel, bei der in gewissen Bereichen nur Geimpfte Zutritt bekommen – Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Kanzler Sebastian Kurz haben sie als mögliche Maßnahme für Diskotheken und Nachtgastronomie ins Gespräch gebracht. Der Grazer Public-Health-Experte Martin Sprenger hingegen lehnt sie ab und spricht von Ausgrenzung. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie wird begründet, nur Geimpften Zutritt zu gewissen Bereiche zu ermöglichen?
„Die Impfung schützt vor einer Infektion mit dem neuen Coronavirus und verringert, falls es doch zu einer solchen kommt, die Transmissionsrate“ (Häufigkeit der Weitergabe einer Infektion, Anm.) heißt es im Gesundheitsministerium. Bei Genesenen hingegen erlaube die unergiebige Studienlage kaum eine Aussage über die Häufigkeit von solchen Folgeinfektionen. „Bei Genesenen ist nicht so gut untersucht wie bei Geimpften, inwieweit sie sich infizieren und das Virus weitergeben können“, sagt auch von Laer. Anders sieht das Sprenger: „Es gibt Studien, die zeigen, dass durchgemachte Infektionen mehr als 95 Prozent der Erkrankungen verhindern: Aus meiner Sicht sind Genesene genauso gut geschützt wie Geimpfte. Sie schlechter zu stellen, halte ich nicht für gerechtfertigt.“
Können nicht auch Geimpfte sich infizieren und die Infektion weitergeben?
Tatsächlich können Patienten, die sich trotz doppelter Impfung mit der Delta-Variante des Coronavirus infizieren, in den ersten Tagen der Erkrankung eine ähnlich hohe Viruslast wie ungeimpfte Personen mit Covid-19 haben: „Geimpfte werden aber zehn Mal seltener infiziert als Ungeimpfte“, sagt von Laer. Und sie sind für einen kürzeren Zeitraum infektiös. Laut Studien tragen sie im Vergleich zu Ungeimpften nur zu einem Fünftel bis Zehntel zur Ausbreitung der Epidemie bei. In einer neuen Studie aus den Niederlanden zeigte sich auch: Von Geimpften ausgeschiedene Viren sind offenbar weniger infektiös als die von Ungeimpften.
Was ist von der Behauptung zu halten, Getestete seien die sicherste Gruppe, weil sie niemanden anstecken?
Von Laer begrüßt die Verkürzung der Testfristen in Wien: „72 Stunden für PCR und 48 für einen Antigentest ist zu lange.“ Ein Getesteter sei „akut keine Gefahr für den anderen, aber er ist infizierbar und die Wahrscheinlichkeit, Teil einer Infektionskette zu werden, ist deutlich höher“. In einer Gruppe von nur Geimpften „läuft das Virus irgendwann in eine Sackgasse und es kann kein Superspreading-Event auftreten. Unter Ungeimpften kann das Virus hingegen immer wieder weitergegeben werden.“ Epidemiologisch gesehen könne sich ohne solche explosiven Übertragungsereignisse das Virus nicht halten: „Es braucht diese Infektionsketten zur Verbreitung.“
G wie geimpft
Seit 15. 8. muss man dafür vollständig geimpft sein. Gültigkeit: 270 Tage (neun Monate) ab dem Tag der 2. Impfung bzw. ab dem 22. Tag nach der Einmalimpfung mit Johnson & Johnson
G wie genesen
Genesene sind 180 Tage von der Testpflicht befreit. Als Nachweise gelten etwa ein Absonderungsbescheid oder eine ärztliche Bestätigung über eine molekularbiologisch bestätigte Infektion. Danach zählt ein Nachweis über neutralisierende Antikörper für jeweils 90 weitere Tage
G wie getestet
PCR-Tests gelten 72 Stunden ab Probeentnahme (Wien ab 1. 9. nur 48 Stunden), Antigen-Tests 48 Stunden (in Wien ab 1. 9. nur 24 Stunden)
Jetzt beginnen die Auffrischungsimpfungen: Weiß man schon, welchen Effekt sie haben?
Israel hat Ende Juli damit begonnen, Über-60-Jährigen eine dritte Impfung anzubieten, mehr als eine Million Menschen in dieser Altersgruppe nahmen das Angebot wahr. Seit dem 13. August geht jetzt in dieser Altersgruppe die Reproduktionsrate des Virus zurück – und liegt mittlerweile unter 1 (ein Infizierter steckt also weniger als eine weitere Person an). Dass es bei einer steigenden Zahl von Geimpften mit der Zeit auch mehr Infektionen in dieer Gruppe gibt, spreche nicht gegen die Impfung, betont von Laer: „Das ist aber ein Zeichen dafür, dass – gerade bei den Älteren – eine Auffrischung notwendig wird.“
Ist die Bevorzugung Geimpfter gerechtfertigt?
„Wir müssen frühzeitig die Infektionsketten abbremsen und dabei vielleicht auch ein wenig härter werden“, sagt von Laer. Es sei nicht gerecht, die Freiheiten der Geimpften einschränken zu müssen, „nur weil einige sich nicht impfen lassen wollen“. Ablehnend ist Public-Health-Experte Martin Sprenger. „Wenn ich Bevölkerungsgruppen irgendwo ausgrenze, muss ich das extrem gut begründen. Und diese Begründung fehlt mir. Angesichts der vielfach noch unklaren Datenlage ist es für mich medizinisch nicht gerechtfertigt, diese Unterscheidung zu treffen.“
Aber könnten damit nicht auch mehr Menschen zur Impfung bewegt werden?
Im Ö1 Morgenjournal meinte der Infektiologe Herwig Kollaritsch, dass das reine Reden darüber offenbar nicht helfe. Er sieht zunehmend weniger Spielraum ohne Maßnahmen wie die 1-G-Regel. Sprenger hingegen meint, „Ungeimpfte mit der Brechstange unter Druck zu setzen, erzeugt Widerstand und verstärkt Unsicherheit“.
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