Auch etliche gängige Kinderimpfungen, etwa gegen Rotaviren oder FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis), schützen Kinder nicht unmittelbar vor dem Tod, aber vor Komplikationen im Krankheitsfall. "Das Argument, dass die Corona-Impfung bei Kindern überflüssig ist, hinkt also", sagt Kerbl. "Schwere Verläufe und Spitalsaufnahmen sind Dinge, die man nach Möglichkeit vermeiden will."
Laut ersten Daten von Biontech/Pfizer reduziert der Impfstoff das Risiko symptomatischer Infektionen bei 5- bis 11-Jährigen um 91 Prozent. Moderna hat ähnliche Daten vorgelegt. Sind diese Ergebnisse überzeugend?
Die Daten sind "mit Vorsicht zu genießen", sagt Kerbl, der am Landeskrankenhaus Leoben die Abteilung für Kinder und Jugendliche leitet: "Vor der Zulassung für ältere Kinder war von einer Effektivität von 100 Prozent die Rede, die sich infolge so nicht bestätigt hat." De facto würden die Impfstoffe symptomatische Erkrankungen bei jungen Erwachsenen zu 80 Prozent verhindern. "Aber das ist immer noch deutlich besser als die durchschnittliche Wirksamkeit der Grippeimpfung."
Unter 12-Jährige bekommen eine geringere Pfizer-Dosis (10 statt 30 Mikrogramm). Sollte man mit der Impfung zuwarten, wenn das Kind bald seinen 12. Geburtstag hat?
"Das ist natürlich eine berechtigte Frage von Eltern", sagt Kerbl. Ein elfjähriges Kind, das kurz vor seinem 12. Geburtstag steht, könne vom Immunsystem her schon mit einem Erwachsenen vergleichbar sein. Die Dosisfindung sei bei Impfungen immer ein Kompromiss: "Man entscheidet sich in der Regel für die geringstmögliche Dosis, die eine ausreichende Immunität erzeugt. Andererseits muss man auch bedenken, dass eine höhere Dosis irgendwann nicht mehr in höherer Schutzwirkung, sehr wohl aber unangenehmeren Impfreaktionen resultiert."
Wie sieht es mit körperlich weit entwickelten 10- oder 11-Jährigen aus? Reicht hier die Dosis aus?
Impfungen werden für verschiedene Altersgruppen zugelassen – unabhängig von Gewicht und Größe. "Natürlich stellt sich umgekehrt auch bei körperlich unterentwickelten bzw. untergewichtigen 13-Jährigen die Frage, ob die zugelassene Dosis zur Anwendung kommen soll", weiß Kerbl. Eine Adaption sei prinzipiell "immer möglich, nur bewegt man sich dann erst wieder im Off-Label-Bereich und trägt als Arzt die Verantwortung". In Einzelfällen können und sollen Eltern derartige Fragen mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin besprechen.
Wann ist in Europa mit einer Zulassung für Unter 5-Jährige zu rechnen?
Kerbl rechnet keinesfalls noch dieses Jahr damit. "Eventuell im Frühjahr 2022, aber das ist nur eine vorsichtige Vermutung." Er ist nicht davon überzeugt, dass es überhaupt zu einer Zulassung für die Kleinsten kommt. "Aus bisher nicht ganz geklärten Gründen haben wir in Österreich nach einer schwierigen Phase im Frühjahr aktuell relativ wenige Corona-kranke und hospitalisierte Kinder." Ob das in den kommenden Monaten so bleibt, sei noch nicht abschätzbar.
Sollte man auch über andere Corona-Impfstoffe für Kinder nachdenken?
In Bahrain wurde der Impfstoff von Sinopharm für ab 3-Jährige zugelassen. Der Totimpfstoff wird in verschiedenen Ländern in Asien, Südamerika, Afrika und Europa eingesetzt. In Europa hat er keine Zulassung. Kerbl plädiert dafür, auf bewährte Präparate zu setzen: "Meines Erachtens nach brauchen wir derzeit keine zusätzlichen Impfstoffe. Ich glaube außerdem, dass die Beteiligungsraten bei den Unter-12-Jährigen ohnehin nicht sehr hoch sein werden."
Moderna testet eine Dosis von 50 Mikrogramm für Kinder unter 12 (entspricht Booster-Dosis für Erwachsene). Studien zeigen, dass diese Dosis bei den Kleinen eineinhalbfach höhere Antikörperspiegel provoziert, als bei Jugendlichen. Sind 50 Mikrogramm für Kinder zu viel?
Moderna testet wie andere Hersteller mehrere Dosen in seinen Zulassungsstudien. Kerbl: "Sie werden sich wohl schlussendlich für die niedrigst mögliche Dosis entscheiden, die noch ausreichend Immunität generiert."
Kommentare