Kinderarzt: "Impfen bedeutet Risikominimierung"
"Es läuft leider schleppend."
Reinhold Kerbl zieht bei den Corona-Impfungen für Kinder ab zwölf Jahren keine allzu positive Zwischenbilanz. Der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde ortet mehrere Hürden: "Viele bekommen erst jetzt die Möglichkeit sich impfen zu lassen. Die Aussage, dass Kinder nicht schwer erkranken, hallt noch in den Köpfen vieler Eltern nach."
Es gebe auch elterliche Vorbehalte gegenüber den Vakzinen. Impf-Sorgen von Müttern und Vätern drehen sich um mögliche Nebenwirkungen.
Kerbl gibt Entwarnung: "Man sieht die gleichen Impfreaktionen wie bei Erwachsenen: Schmerzen an der Einstichstelle, eine leichte Schwellung dort, Kopfweh, Abgeschlagenheit, leichte Körperschmerzen wie bei einem grippalen Infekt." Viele würden gar nichts spüren.
Sicher und wirksam
Allein in den USA haben inzwischen weit über acht Millionen Kinder und Jugendliche einen Stich erhalten. Nebenwirkungen gab es kaum – und keinen Todesfall. "Wären unerwartet Komplikationen aufgetaucht, hätten wir das erfahren", erklärt Kerbl. Bei jungen Männern unter 30 wurden vereinzelt Herzmuskelentzündungen dokumentiert, "die aber gut behandelt werden konnten".
Die Impfung sei für Kinder "sicher, gut verträglich und hochwirksam", formuliert es Rudolf Schmitzberger, Kinderarzt und Leiter des Impfreferats der Ärztekammer. "Impfen bedeutet immer Risikominimierung", sagt er.
Schwieriger zu beantworten sind Fragen zu Langzeitwirkungen: "Dazu können wir noch wenig sagen", sagt Kerbl, der am Landeskrankenhaus Leoben die Abteilung für Kinder und Jugendliche leitet. Ein Negativbeispiel: die Schweinegrippe-Impfung 2009, wo nach relativ langer Zeit – unter 60 bis 90 Millionen Geimpften – knapp 1.300 Fälle von Narkolepsie (Schlafkrankheit) beobachtet wurden. Betroffen waren vor allem Kinder und Jugendliche. Kerbl: "So etwas kann – so ehrlich muss man sein – schon vorkommen, ist aber extrem selten." Wohl ein Grund, warum in Deutschland die ständige Impfkommission noch mit Empfehlungen für Kinderimpfungen zurückhaltend ist. Dennoch haben die deutschen Gesundheitsminister jetzt ein Impfangebot für Kinder beschlossen.
An die Über-12-Jährigen wird die gleiche Dosis wie an Erwachsene verimpft. Studien zur Dosisfindung für die Kleinsten laufen gerade, Ergebnisse werden im Herbst erwartet. Kerbl: "Bei anderen Impfungen bekommen kleinere Kinder meist die halbe Dosis. Die nächste Gruppe bei der Impf-Zulassung wird die der 9- bis 11-Jährigen sein."
Impfrate
8,5 Prozent der Buben und Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren haben einen vollständigen Schutz, 21,7 Prozent eine Dosis erhalten. Bei den 15- bis 24-Jährigen sind rund 35 Prozent vollimmunisiert, 50 Prozent haben einen Stich erhalten.
4,6Prozent
der infizierten Kinder litten einer britischen Studie zufolge vier Wochen nach Abklingen der Erkrankung an Symptomen.
Akute Symptome
Kinder erkranken nach einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 seltener schwer. Akute Infektionen haben hierzulande bisher dennoch rund 700 Hospitalisierungen nach sich gezogen. "Mit einer vierten Welle, die wohl primär ungeimpfte Kinder und Jugendliche betreffen wird, könnten mehrere Hundert hinzukommen", sagt Kerbl.
Diskutiert wird, in welchem Ausmaß Kinder nach Covid-19 mit Langzeitfolgen, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder Kopfschmerzen, zu kämpfen haben. Die Daten zur Häufigkeit variieren je nach Studie.
In einer italienischen Studie litt mehr als ein Drittel von 130 Kindern vier Monate nach der Infektion an dauerhaften Symptomen. Kerbl hält das Long-Covid-Risiko im Kindes- und Jugendalter für "stark überbewertet". Umstritten sei etwa, ob Long-Covid-Symptome auf die Virusinfektion an sich, oder auf die psychisch belastete Gesamtsituation zurückzuführen sind. "Eine längere Phase der Abgeschlagenheit nach Viruserkrankungen ist außerdem nicht ungewöhnlich."
Wie lässt sich die Impfquote bei Kindern steigern? "Man muss Wahrheiten verbreiten, Einschränkungen ansprechen", sagt Kerbl. Er plädiert für individuelle Aufklärungsgespräche mit Eltern: "Man sollte auf den Vertrauensarzt, meist der Haus- oder Kinderarzt, setzen." Informationsveranstaltungen an Schulen mit Schulärzten, die direkt vor Ort impfen könnten, hält er für unabdingbar.
Aufklären und aufsuchen
Stichwort Impfen an Schulen: Auf KURIER-Anfrage zeigt man sich im Bildungsministerium und bei der Gesellschaft der Schulärzte Österreichs offen und jederzeit kooperationsbereit, die Entscheidung liege aber bei den Ländern. Dort ist man nun laut KURIER-Rundruf vom Wochenende mit der Planung befasst.
Für die bevorstehende Corona-Risikozeit – Herbst und Winter – erwartet Kerbl eine hohe Infektionsrate unter ungeimpften Kindern. Schulschließungen sehen er und Schmitzberger nicht als Lösung. "Die Kinder haben genug durchgemacht", sagt Schmitzberger, der sich für hochfrequentes Testen, "coole" Impf-Locations für Junge und lückenloses Impfen beim pädagogischen Personal ausspricht.
"In Zukunft müssen wir uns mehr an Erkrankten, Hospitalisierten, Intensivpatienten und Verstorbenen orientieren", sagt Kerbl. "Bleiben diese Parameter im tolerablen Bereich, wird man höhere Inzidenzen in Kauf nehmen können."
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