Langzeitfolgen der Corona-Impfung? Das ewige Missverständnis
Besteht bei den Corona-Impfungen das Risiko von "Langzeitfolgen", die in einigen Jahren auftreten könnten? Diese Diskussion ist jetzt durch eine Aussage des deutschen FC-Bayern- und Nationalspielers Joshua Kimmich neu aufgeflammt.
Kimmich bestätigte in Interviews, dass er sich noch nicht gegen Covid-19 habe impfen lassen. Er sei kein Impfgegner, aber er persönlich habe Bedenken, "was fehlende Langzeitstudien angeht".
Aber ist diese Sorge tatsächlich gerechtfertigt?
Die Veterinärmedizinerin Petra Falb, Gutachterin in der Zulassung für Impfstoffe am Österreichischen Bundesinstitut für Sicherheit im Gesundheitswesen, schreibt auf ihrem Blog, dass hinter der Aussage "Wir haben überhaupt keine Langzeitdaten für diesen neuen Impfstoff, da kann man ja keine Spätfolgen abschätzen!" ein "grundlegender Irrtum" stehe.
Im Unterschied zu Medikamenten bekomme man einen Impfstoff niemals als "Dauertherapie".
Bei einem Impfstoff gebe es demnach schon aus biologischen Gründen keine "Spätnebenwirkungen", die "fünf Jahre nach der Impfung plötzlich auftreten. Es werden keine neuen Metaboliten im Körper erzeugt, es reichert sich nichts an. Nebenwirkungen zeigen sich binnen weniger Stunden bis ein bis zwei Tage nach der Impfung, bei Lebendimpfstoffen (was die Covid-19-Impfstoffe nicht sind) nach der Inkubationszeit der natürlichen Erkrankung."
"Auch allergische Reaktionen – ob leicht oder schwerwiegend – kommen bald nach der Verabreichung", schreibt Falb. Als sehr seltene Nebenwirkungen seien unterschiedliche Autoimmunreaktionen möglich, "aber selbst diese treten spätestens nach wenigen Wochen auf".
Langzeitdaten brauche man nicht, "weil Nebenwirkungen so lange nach einer Impfung auftreten können, sondern um sehr seltene Nebenwirkungen überhaupt erkennen zu können". Es müsse eine ausreichende Menge an Personen geimpft sein, "damit diese Nebenwirkung überhaupt auftritt und dem Impfstoff zugeordnet werden kann".
Infektiologe und Impfspezialist Herwig Kollaritsch formuliert den "entscheidenden Punkt" so: "Der immunologische Vorgang ist nach einer Impfung allerspätestens zwei Monate nach Verabreichung abgeschlossen. Dann hat das Immunsystem seine Arbeit geleistet und kann sich zurücklehnen." Was im Zeitraum bis dahin als Nebenwirkung, die von Impfreaktionen wie Fieber, Schüttelfrost und so weiter zu unterscheiden ist, auftrete, könne theoretisch in Zusammenhang mit der Impfung stehen. "Danach sind keine Nebenwirkungen mehr zu befürchten."
Allerdings sei es möglich, dass eine Nebenwirkung einer Impfung – eventuell sogar unbemerkt – vorübergeht, und viele Jahre später zu einer sogenannten Spätfolge führt.
"Dann führt die ursprüngliche Nebenwirkung quasi zu einer Langzeitfolge", sagt Kollaritsch. Das sei potenziell auch bei der Covid-19-Impfung möglich, "allerdings müssten dafür zunächst erst einmal echte Nebenwirkungen auftreten, von denen wir annehmen könnten, dass sie Langzeitfolgen nach sich ziehen". Das sei bei der Covid-19-Impfung nicht der Fall.
In den sehr seltenen registrierten Fällen der Herzmuskelentzündung sei theoretisch denkbar, "dass diese primär abheilt und später im Leben als Spätfolge nochmals in Erscheinung tritt". Beispielsweise in Form einer Herzinsuffizienz oder Herzrhythmusstörungen. "Aber bisher deutet nichts darauf hin, dass das das der Fall sein könnte."
Auch der deutsche Immunologe Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, schreibt auf Twitter, dass viele Menschen unter Langzeitfolgen Nebenwirkungen verstehen, "die erst viele Monate oder Jahre nach einer Impfung auftreten". Bei der schnellen Entwicklung der Impfstoffe "wäre das natürlich ein Problem".
Aber das sei falsch. Denn Langzeitfolgen bei Impfungen "sind seltene Nebenwirkungen, die häufig erst nach längerer Zeit mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden. ABER: Diese Nebenwirkungen treten innerhalb weniger Wochen nach der Impfung auf." Die Impfung erzeuge eine Immunreaktion, die nach wenigen Wochen abgeschlossen sei, "und der Impfstoff ist aus dem Körper verschwunden". Daher passieren Nebenwirkungen laut Watzl immer recht kurz nach der Impfung.
Dies gelte auch für die neuen mRNA-Impfstoffe. Auch deren Bestandteile werden im Körper schnell nach der Impfung abgebaut, erklärte Paul Cichutek, Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts (für Impfstoffzulassung in Deutschland zuständig) im ZDF. "Daten deuten darauf hin, dass die mRNA nach etwa 50 Stunden im Körper nicht mehr nachweisbar ist." Langzeitnebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, seien bei Impfstoffen generell nicht bekannt.
Impfskeptikerinnen und Impfskeptiker führen oft die Fälle von Narkolepsie (Schlafkrankheit) an, die in skandinavischen Ländern beim Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix aufgetreten sind, der Partikel des Influenzavirus enthielt. Symptome traten im Mittel 42 Tage nach der Impfung auf: "Bemerkt hat man es eben auch erst nach etwa einem Jahr, gesichert noch später, weil erst dann genügend Personen geimpft waren, um diese Zusammenhang zu erkennen", schreibt Impfstoffprüferin Falb. Und die Ursache sei wohl das Influenzavirus selbst gewesen. Denn auch die Erkrankung konnte Narkolepsie hervorrufen, in Kombination mit einer genetischen Veranlagung der Betroffenen.
Das sagte kürzlich auch die Immunologin Nina Pilat-Michalek von der MedUni Wien zum KURIER: "Die Narkolepsie war eine bekannte Nebenwirkung der Erkrankung."
Kein Eingriff ins Erbgut
Neuerlich betonen Wissenschafterinnen und Wissenschafter auch, dass sich die mRNA der Impfstoffe nicht in die DNA, also unsere Erbsubstanz, integrieren könne: "Die Erbinformation des Menschen befindet sich in Form von DNA im Zellkern, dorthin gelangt die mRNA gar nicht", sagte die Virologin Melanie Brinkmann in ZDFheute.
"Zu glauben, dass Impfstoffe, die im Körper gar nicht mehr vorhanden sind, irgendwelche Spätschäden verursachen könnten, ist wie zu glauben, dass Medikamente ohne Wirkstoffe eine Wirkung haben könnten. Wer würde das bitte glauben!?", schreibt die Ärztin Natalie Grams-Nobmann auf Twitter.
Und viele Expertinnen und Experten betonen auch: Angesichts von alleine in den USA bereits mehr als 400 Millionen verimpften Dosen hätten auch ganz seltene Nebenwirkungen bei den Covid-19-Impfstoffen schon längst auffallen müssen.
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