Starker Covid-Anstieg in China: Warum das auch für uns Gefahren birgt
Die Menschen in China erleben derzeit wohl ein Wechselbad der Gefühle: Nach langen Lockdowns, bei denen Millionenstädte für Wochen abgeriegelt waren und Maßnahmen zur Eindämmung des Virus äußerst streng kontrolliert wurden, können sie sich endlich wieder halbwegs frei bewegen. Einkaufszentren und Restaurants haben geöffnet, Reisen ist wieder erlaubt. Gleichzeitig steigen nun die Covid-Fälle in dem 1,4 Milliarden-Einwohner-Land rasant an.
Die Behörden melden bisher nur wenige Todesfälle in der aktuellen Welle, doch die Krematorien etwa in Peking sind laut Medienberichten teils überlastet. Innerhalb weniger Tage haben sich Schätzungen zufolge Millionen Menschen in der chinesischen Hauptstadt nach dem überraschenden Ende der strengen Zero-Covid-Politik mit dem Virus angesteckt. Allein in Peking leben rund 21,5 Millionen Menschen.
Laut ARD Tagesschau berichten Unternehmen von kompletten Büroetagen, die sich infiziert haben. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Schon bisher waren die offiziellen Zahlen schwer zu glauben. So wurden bis Montag offiziell für ganz China 5.242 Covid-Tote seit Beginn der Pandemie gemeldet. Das ist etwa ein Viertel der Covid-Toten von Österreich im selben Zeitraum. Und ein winziger Bruchteil der insgesamt 1,4 Milliarden Einwohner Chinas.
Kaum Immunität
In der aktuellen Welle könnten die Infektionen sehr rasch hoch ansteigen. "Das Problem, das China mit Null-Covid hat, ist, dass die natürliche Immunität, also die Immunität durch Infektionen, in China sehr niedrig ist. Und vor allem bei den älteren Personen über 80 sind ungefähr ein Drittel überhaupt nicht geimpft. Das heißt, die große Gefahr, die jetzt besteht, ist, dass eine Infektionswelle China überschwappen wird und es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen wird", sagte Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems dazu in der ZIB2 am Montag.
Neben der hohen Zahl älterer Ungeimpfter, gibt es in China Schätzungen zufolge mehr als 160 Millionen Menschen mit Diabetes – und das ist nur ein Risikofaktor unter mehreren für einen schweren Verlauf.
China: CoV außer Kontrolle?
Millionen Todesfälle
Forscher rechnen mit bis zu zwei Millionen Todesfällen durch die aktuelle Welle in China. Laut chinesischen Modellrechnern könnten die Infektionen auf mehr als 233 Millionen steigen. Gemeinsame Modelle amerikanischer und chinesischer Forscher von Mai rechneten bereits damals mit mehr als 1,5 Millionen Covid-Todesfällen, wenn China seine strenge Zero-Covid-Politik ohne Sicherheitsvorkehrungen wie eine Erhöhung der Impfrate und Zugang zu Behandlungen aufgibt.
Sie prognostizierten, dass die Spitzennachfrage auf der Intensivstation mehr als das 15-fache der Kapazität betragen würde.
Derzeit steigen die Infektionen vor allem in den Ballungsräumen. Dies könnte sich deutlich ausweiten, wenn Mitte Jänner die Feierlichkeiten für das chinesische Neujahrsfest beginnen. Traditionell reisen viele Chinesen dafür in ihre Heimatprovinzen. Dies war in den vergangenen Jahren nicht möglich, es gab starke Reisebeschränkungen.
"Enormer Pool für neue Varianten"
Berichten zufolge breitet sich in Peking derzeit die Variante BF.7 aus. Sie ist eine Unterlinie von BA.5, wobei sie unter den Omikron-Abkömmlingen die stärkste Infektiosität hat. Eine infizierte Person steckt im Schnitt zehn bis 18 weitere Personen an. Sie ist auch durch eine kürzere Inkubationszeit gekennzeichnet.
Die steigenden Zahlen in China könnten auch ein Problem für uns werden. Gartlehner: "China und wahrscheinlich auch der Rest der Welt muss damit rechnen, dass es eventuell wieder zum Auftreten von neuen Varianten kommen kann. 1,4 Milliarden Personen leben in China und das ist natürlich ein enormer Pool auch für neue Mutationen und das Entstehen neuer Varianten, die dann früher oder später wahrscheinlich auch zu uns kommen werden."
Zudem hat eine mögliche Covid-Krise in China auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.
Weltweit wird die Entwicklung in China daher mit großer Sorge beobachtet. "Wir haben darauf hingewiesen, dass wir bereit sind, ihnen in jeder Weise zu helfen, die sie für akzeptabel halten", sagte etwa der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby.
Notwendig sei eine Vorbereitung des Gesundheitssystems, eine genaue Datenerfassung und eine offene Kommunikation. Viele dieser Elemente scheinen in China zu fehlen, heißt es in einem Bericht von Reuters, der sich auf Gesundheitsexperten aus Ländern außerhalb Chinas beruft.
Nur chinesische Impfstoffe
Neben der Tatsache, dass in China viele Ältere gar nicht geimpft sind, wurden bisher auch nur chinesische Impfstoffe eingesetzt, hauptsächlich Sinopharm und Sinovac. Dabei handelt es sich um klassische Tot-Impfstoffe. Laut internationalen Studien schützen die chinesischen Impfstoffe weniger gut als mRNA- oder Vektorimpfstoffe. Chinas Präsident Xi Jingping besteht allerdings darauf, dass chinesische Impfstoffe den westlichen überlegen sind. Zudem hält er das Einparteiensystem des Landes für am besten geeignet, mit der Krankheit fertig zu werden.
Demokratische Regierungen befinden sich diplomatisch in einer schwierigen Lage, da sie versuchen, eine aufkeimende Krise mit globalen und nationalen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf eine Weise einzudämmen, die die chinesische Regierung nur möglicherweise bereit ist zu akzeptieren.
"Chinas Impfstoff-Nationalismus ist tief mit Xis Stolz verbunden, und die Annahme westlicher Hilfe würde Xi nicht nur in Verlegenheit bringen, sondern auch seine oft propagandierte Erzählung, dass Chinas Regierungsmodell überlegen sei, durchkreuzen“, sagte Craig Singleton, stellvertretender Direktor des China-Programms des US-amerikanischen ThinkTanks "Foundation for Defense of Democracies" gegenüber Reuters.
Behutsame Gespräche
Hinter den Kulissen fänden nun behutsam Gespräche zwischen europäischen und amerikanischen Vertretern statt, wobei öffentliche Äußerungen bewusst vermitteln sollen, dass der Ball bei Peking liegt. Diskutiert wurde etwa, ob China den angepassten mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer akzeptiert. Aus dem Weißen Haus hieß es etwa, dass Bereitschaft da sei, um mit Impfstoffen und Behandlungen zu helfen – das gelte für alle Länder der Welt, "bei denen wir hilfreich sein können". Anfang November reiste der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nach Peking – unter anderem begleitet von Biontech-Gründer Ugur Sahin.
Vonseiten Chinas heißt es allerdings, dass "institutionelle Vorteile" helfen werden, die Epidemie ohne ausländische Hilfe zu überstehen, und Chinas geschätzte Zahl der Covid-Todesopfer immer noch niedriger sei als jene der USA und Europas. Eine Annäherung gibt es allerdings: Der US-Arzneimittelhersteller Pfizer hat letzte Woche eine Vereinbarung getroffen, sein antivirales Medikament Paxlovid nach China zu exportieren.
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