Sind Vaginalbakterien gut für Kaiserschnitt-Kinder?
"Vaginal Seeding" ("Säen von Vaginalkeimen"), so nennt man es, wenn ein neugeborenes Baby nach einem Kaiserschnitt mit der Vaginalflüssigkeit der Mutter benetzt wird. Vor einigen Jahren kam die Methode nur in einigen wenigen Spitälern auf der Welt zum Einsatz. Ungewiss war, ob die Praktik tatsächlich Vorteile fürs Kind bringt. Dank neuer Forschungen könnte Vaginal Seeding nun an Bekanntheit gewinnen.
Gut fürs Immunsystem
Der Hintergrund: Bei einer Geburt mittels Sectio kommt das Baby nicht zuerst mit den Bakterien der mütterlichen Scheidenflora im Geburtskanal in Berührung, sondern mit Keimen auf der Haut der Mutter und jener des medizinischen Personals. Laut Verfechtern des Vaginal Seeding hat das Nachteile für das Immunsystem des Kindes und macht dieses anfälliger für Krankheiten.
"Das Immunsystem des Babys muss zum ersten Mal reagieren, wenn es mit diesen Bakterien in Kontakt kommt. Deswegen glauben wir, dass es wichtig für den Aufbau der Immunabwehr ist", sagt Gynäkologe Peter Brocklehurst von der University of Birmingham der BBC. Brocklehurst leitet derzeit die Baby Biome Study. Er untersucht, wie sich die fehlenden Bakterienkulturen auf die Krankheitsanfälligkeit von Kaiserschnitt-Kindern auswirken. Bekannt ist, dass Kaiserschnitt-Kinder anfälliger für Allergien, Asthma und Diabetes 1 sowie für Fettleibigkeit (Adipositas) sind. Experten gehen außerdem davon aus, dass ein verändertes Mikrobiom – die Gemeinschaft der Mikroorganismen – eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des Immunsystems spielt.
Um diese Nachteile auszugleichen wurde "Vaginal Seeding" entwickelt. Dabei wird ein Tupfer in der Scheide der Mutter platziert und mit Vaginalflüssigkeit benetzt. Dann wird das Baby damit eingerieben.
Mikrobiom wiederherstellen
"Möglicherweise bereitet die Mutter ihr Kind während der Geburt auf die neue Umwelt vor", sagte der Gynäkologe Frank Louwen von der Universitätsklinik Frankfurt am Main bereits im Jahr 2016 in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. "Dann würden wir dem Kind durch die Sectio etwas vorenthalten, was die spätere Gesundheit fördert."
Louwen kommentierte damals die Ergebnisse einer aufwendigen, wenngleich sehr kleinen, Pilotstudie der New York University. Forscher brachten Babys nach einem Kaiserschnitt mit dem Mikrobiom der Mutter in Kontakt. Im folgenden Monat analysierten sie bei diesen Babys die Entwicklung des Mikrobioms – auf dem Körper, im Mund und im Darm. Die Bakteriengemeinschaften verglichen sie mit denen von natürlich entbundenen Kindern sowie von Babys, die nach einem Kaiserschnitt zur Welt gekommen waren. Tatsächlich war über den gesamten Zeitraum das Mikrobiom der eingeriebenen Kinder sowohl auf der Haut als auch in Mund und Verdauungstrakt mit Scheidenbakterien angereichert. Nicht in gleichem Maß wie bei jenen Babys, die auf natürlichem Wege zur Welt gekommen waren, aber wesentlich stärker als bei den anderen Kaiserschnittkindern, berichteten sie im Fachblatt Nature Medicine. "Unsere Studie zeigt erstmals, dass man bei Babys nach einem Kaiserschnitt das Mikrobiom partiell herstellen kann", schrieb Studienautorin Maria Dominguez-Bello von der New York University in einer Mitteilung der Universität damals.
Keine voreiligen Behandlungen
Peter Brocklehurst ist ebenfalls überzeugt, dass die Vaginalbakterien förderlich fürs Kind sind. Doch er warnt vor vorschnellem Handeln. So könnten durch Vaginal Seeding auch gefährliche Keime auf das Kind übertragen werden. Er stellt eine medizinisch geprüfte Variante von Vaginal Seeding in Aussicht, bei der sämtliche Gesundheitsrisiken ausgeschlossen werden können.
Kaiserschnittrate steigt
Die Kaiserschnittrate nimmt weltweit nach wie vor zu. In Westeuropa wurden 2016 rund 25 Prozent aller Kinder mittels Sectio geboren, in Nordamerika 32 Prozent, in Südamerika 41 Prozent. Österreich liegt nach früheren Anstiegen seit einigen Jahren im Mittelfeld – etwa jede dritte Geburt erfolgt mittels Sectio. Viele der Eingriffe seien medizinisch unbegründet, ihre Zunahme hänge auch damit zusammen, dass Frauen über die Vor- und Nachteile nicht ausreichend aufgeklärt seien. Zu diesem Schluss kamen kürzlich Autoren einer Übersichtsstudie des Spitals Royal Infirmary of Edinburgh, erschienen im Fachblatt Plos Medicine, bei der die Vor- und Nachteile des Kaiserschnitts anhand von Daten von fast 30 Millionen Frauen ausgewertet wurden (mehr dazu hier).
Kommentare