"Die schwierigste Zeit in meinem Leben"
Kurz vor ihrem 30. Geburtstag hatte Nicole ihren zweiten Hörsturz: „Ich habe es nicht sofort gemerkt. Ich habe das Piepsen beim Auto nicht gehört und dachte, mein Hörgerät hat etwas. Da ist mir das gute Ohr komplett weggebrochen. Das war die schwierigste Zeit in meinem Leben.“
➤ Mehr lesen: Hörsturz: Welche Therapie ist am wirksamsten?
Schon davor musste sie viele Einschränkungen hinnehmen: „Beim Studium, beim Ausgehen, in jeder Situation habe ich gemerkt, ich hab’s schwerer als andere und kann gewisse Dinge nicht machen.“ Bis sie sich für ein Cochlea-Implantat entschied, konnte sie fast nichts mehr hören – und damit auch kaum mit ihrer Umwelt kommunizieren. „Das war schon sehr, sehr schlimm.“
Wodurch so ein Hörsturz ausgelöst wird, konnte bisher niemand beantworten, eine genetische Veranlagung ist möglich. „Flimmerhärchen in der Cochlea (schneckenförmiger Teil im Innenohr, Anm.) fallen aus und dann hört man nichts mehr.“ Bei der Operation wurde ihr ein Implantat über dem linken Ohr eingesetzt. „Es gibt ein Außengerät, das per Magnet am Kopf befestigt wird und das gibt die Töne an das Implantat im Kopf weiter. Der Hörnerv bekommt die elektrischen Impulse und das ist für das Gehirn eine neue Art für Übermittlung von Information“, erklärt sie.
"Eine völlig neue Art von Hören mit Cochlea-Implantat"
Harald Tamegger vom Österreichischen Schwerhörigenbund führt aus: „Das ist eine völlig neue Art von Hören. Betroffene brauchen oft Hörtrainings oder sogar eine Reha, bis sie wieder zum Beispiel Sprache verstehen. Das Gehirn muss wieder lernen, diese Geräusche zu erkennen.“
➤ Mehr lesen: Schwerhörig? Ein KURIER-Redakteur ließ seine Ohren testen
Auch bei Nicole musste das Gehirn erst lernen, mit dem Implantat umzugehen. „Es hat sicher ein Jahr gedauert, bis ich wieder ordentlich hören konnte. Jetzt höre ich wahrscheinlich sogar besser als vor dem Hörsturz.“ Wenn sie ihr Außengerät allerdings nicht befestigt hat, bleibt ihr nur das Restgehör von 30 Prozent am rechten Ohr: „Viele Geräusche wie den Wasserhahn höre ich nicht mehr. Auch ein normales Gespräch wäre gar nicht mehr möglich.“
Auch mit dem Cochlea-Implantat darf man kein normales Hören erwarten, betont Tamegger: „Es klingt wie eine Robotersprache. Es gibt nur die Wahl zwischen gar nichts hören und andere zu verstehen. Die meisten können wieder telefonieren – das ist fast ein Wunder. Man gewöhnt sich an die Computersprache.“
„Ich habe nach der Geburt sein Schreien nicht immer gehört"
Nicole kann bei ihrem kleinen Sohn gut beobachten, wie sich die Ohren auf neue Geräusche einstellen: „Ich habe nach der Geburt sein Schreien nicht immer gehört, weil ich das Geräusch noch nicht kannte. Da musste sich mein Freund dann kümmern. Mittlerweile hat mein Gehirn sich an das Geräusch gewöhnt und ich höre ihn gut.“
So lange Nicole etwas Restgehör hat, ist sie dankbar dafür – auch, wenn sie davon ausgeht, dass es ebenso verloren geht und sie auch auf der anderen Seite ein Implantat bekommt. Sie hat gelernt, mit ihren Einschränkungen umzugehen.
➤ Mehr lesen: Hörprobleme können zu Konzentrationsstörungen und Demenz führen
"Musik ist nicht mehr dasselbe"
Bloß die Musik ist ein trauriges Thema für sie. „Ich kann das Hörgerät direkt mit dem Handy verbinden, aber das ist nicht dasselbe. Die Töne klingen anders, es gibt immer wieder Verzerrungseffekte. Das macht mich schon traurig. Ich würde nie freiwillig ein Radio aufdrehen.“
Und auch, wenn das Cochlea-Implantat eine große Hilfe ist, stößt Nicole im Alltag immer wieder an Grenzen: „Wenn jemand im Dialekt redet, habe ich keine Chance.“ Beim Streamen von Filmen muss sie sich immer wieder ärgern, wenn es keine Untertitel gibt. „Ich wünsche mir, dass die Technik weiter verbessert wird, damit die Hörsysteme genauso weiterentwickelt werden wie das neueste iPhone.“
Doch ihre Schwerhörigkeit hat auch Vorteile: Nervige Geräusche hört sie nicht. „Und ich glaube, ich habe gelernt, viel mehr aus Mimik, Gestik und Stimmung meines Gegenübers herauszulesen, weil ich nicht nur auf Worte achte, sondern auch auf die Haltung dahinter.“
Kommentare