Auf einen Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt habe ich weitere zwei Monate gewartet. Doch das war nicht nur schlecht. Die Ohren sind nämlich eine Wissenschaft für sich. Es empfiehlt sich daher, sich länger mit ihnen zu beschäftigen. Dadurch lässt sich etwa in Erfahrung bringen, dass sich die Besuche in einer Arztpraxis und einem Hörakustikstudio gut ergänzen können.
In meinem Fall sehen der HNO-Doktor im fortgeschrittenen Alter (er trägt übrigens kein Hörgerät) und die ausgebildete Hörakustikmeisterin mit den Otoskopen (Lupe mit integriertem Licht zur Inspektion des äußeren Gehörgangs) dasselbe: Der Gang ist nicht verlegt, und das Trommelfell auch nicht verletzt.
Somit sind bitte die Kopfhörer aufzusetzen. Mittlere und tiefe Töne höre ich fast wie ein Haftelmacher. Wie bitte? Erste Probleme machen dagegen die hohen und die schrillen Töne. Ist vielleicht eh nicht schlecht, sagt der Schelm nicht nur zu sich.
Die Hörakustikmeisterin Corinna Reppe-Wormann lächelt höflichst, dann erklärt sie: „Die Hörschnecke können Sie sich wie eine mit einem Teppich ausgelegte Wendeltreppe in einem Stiegenhaus vorstellen. Auf dem Teppich unten beim Eingang sind die Sensoren für die hohen Töne angebracht. Sie werden im Laufe Ihres Lebens viel mehr strapaziert als die tiefen ganz oben.“
Hört sich gut an, leuchtet ein. Nimmt auch ein bisserl vom Druck aufs eigene Gemüt. Man wird ja bekanntlich nicht jünger. Und so wie beim Automobil oder beim Fahrrad nützen sich auch im Ohrwaschel die Verschleißteile mit der Zeit ab.
Harald Belyus, Kollege von Frau Reppe-Wormann und zugleich der Berufsgruppensprecher in der Wirtschaftskammer Wien, hat zusätzlich tröstende Worte: „Wir leben in einer extrem lauten Zeit. Da konnte die Evolution des Menschen zuletzt nicht Schritt halten.“
Das Geschäft mit der Altersschwerhörigkeit boomt. Auch weil die Menschen älter und Hörgeräte immer kleiner, sensibler werden. Laut Belyus wurden in Österreich 2021 knapp 100.000 Hörgeräte an den Mann und an die Frau gebracht.
Wo viel Geld zu verdienen ist, ist immer auch Schatten. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) musste nachweisen, dass nicht alle Anbieter so redlich vorgehen wie meine Hörakustikmeisterin.
Durst, Spatz, Dach, 17, 96, 49. Corinna Reppe-Wormann hebt jetzt den Daumen. Ihr Kunde hört sowohl die einsilbigen Wörter als auch die Zahlen „noch zu neunzig Prozent“. Das darf ihn selbst freuen, aber auch die Gemeinschaft der Steuerzahler.
Mit dieser Diagnose ist er auf gut Wienerisch noch nicht „derisch“. Die Krankenkasse zahlt ihm auch noch kein Hörgerät (erst bei einem Hörverlust von zwanzig Prozent).
Anders als die Tester des VKI feststellen mussten, wird ihm auch kein Hörgerät aufgeschwatzt. Viel mehr macht die Akustikerin auf die Konsequenzen einer technischen Hilfestellung aufmerksam: „So ein Gerät muss regelmäßig getragen werden. Das Gehirn muss zunächst retrained, also auch mit allen Nebengeräuschen vertraut gemacht werden. Wer meint, er muss es nur aufsetzen, wenn die Kinder oder die Enkerln zu Besuch kommen, wird damit keine Freude haben.“
Mein Ohrenarzt beklagt derweil, dass viele Hörgeräte in Österreich ein unberührtes Leben in diversen Nachtkasteln fristen. Dem hält der Akustiker Harald Belyus entgegen: „Das kann ich von unseren Kunden so nicht bestätigen.“
Hilfreich ist jedenfalls eine gute Beratung. Dazu gehört auch der Hinweis, sich nicht zu spät mit den eigenen Ohren zu beschäftigen. „Kommen Sie bitte in einem halben Jahr wieder“, verabschiedet sich die Hörakustikmeisterin freundlich. In ihrer Kundenkartei ist der Neue für alle Fälle schon mal vorgemerkt.
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