Wunderwuzzi
In Kombination mit Kalzium ist Vitamin D wichtig für die Knochen, genauer gesagt für deren Aufbau und Erhalt. Auch bei der Zahnentwicklung spielt es eine wesentliche Rolle, beim Mineralstoffwechsel und für die Muskelfunktion ebenso.
"Weil es von sehr vielen Zellen verwendet wird, liegt die Annahme eines breiten Nutzenprofils nahe", sagt Amrein. In der Herstellung ist Vitamin D zudem kostengünstig. "Und ein Mangel ist in unseren Breiten weit verbreitet, was das Interesse an potenziell negativen Effekten eines Defizits steigert."
Ohne ausreichend Vitamin D funktioniert das Immunsystem nicht optimal. Gerade in Zeiten, in denen ein pandemischer Erreger grassiert, rückt Vitamin D daher verstärkt in den Fokus. Dass es Atemwegsinfektionen vorbeugt, ist wissenschaftlich bewiesen. "Solide Daten zeigen, dass es bei akuten Atemwegsinfekten, aber auch bei Lungenvorerkrankungen wie Asthma und COPD präventiv wirkt."
Zu Covid-19 gibt es erste Beobachtungsstudien, die belegen, dass ein Großteil der hospitalisierten Patienten einen Mangel aufweist. "Noch viel wichtiger sind zwei kleine Interventionsstudien aus Spanien und Frankreich, die dafürsprechen, dass Vitamin D die Prognose bei älteren Betroffenen mit schwerem Verlauf verbessert."
Gut für Schwangere
Besonders groß scheint der wissenschaftliche Eifer, wenn es um die Wirkung von Vitamin D bei Schwangeren , beziehungsweise den langfristigen Effekt auf deren Sprösslinge, geht.
In jüngeren Studien vermuten Forschende Zusammenhänge zwischen einem Mangel bei werdenden Müttern und späterem Übergewicht, einem geringeren IQ, Autismus-ähnlichen Verhaltensweisen sowie einem erhöhten Schizophrenie-Risiko beim Nachwuchs. Amrein: "Das Problem ist, dass diese Studien keine Beweise zur ursächlichen Wirkung von Vitamin D liefern. Ein Vitamin-D-Mangel kann allgemein ein Marker für einen ungesunden Lebensstil, Übergewicht oder Bewegungsmangel sein. Herauszudestillieren, ob sich der Vitamin-D-Spiegel der Mutter wirklich auf das Kind auswirkt, ist sehr schwierig."
Zuverlässige Daten gebe es zur Vitamin-D-Versorgung und Schwangerschaftskomplikationen: Es treten nachweislich weniger Komplikationen auf, wenn die werdende Mutter gute Werte hat. Ein Kind auszutragen und zu stillen belastet auch den mütterlichen Kalziumhaushalt.
Im Jahr 2016 fand eine Studie Beachtung, in der Forscher zu dem Schluss kamen, dass Brandverletzungen bei höherem Vitamin-D-Level schneller heilen. Amrein hält das für plausibel: "Das dürfte über das Immunsystem laufen. Die Wundheilung ist eine Funktion der Immunabwehr." Gerade bei Brandverletzungen treten oft Wundheilungsstörungen auf. Weil der Körper nach einer schweren Verbrennung Energie aus körpereigenen Depots für das Aufrechterhalten von Organfunktionen bereitstellen muss, kann es auch zum Verlust an Muskel- und Knochenmasse kommen. "Außerdem dürfen Patienten mit großflächigen Brandwunden nach der Heilung mit diesen Körperteilen nicht mehr in die Sonne – das bedeutet, dass weniger Vitamin D über die Haut aufgenommen wird."
Krebs bekämpfen
Die International Agency for Research on Cancer schätzt die Zahl der Krebstoten weltweit für das Jahr 2018 auf rund zehn Millionen. Nicht selten wird Vitamin D zur Vorbeugung angepriesen. "Das ist eine Hoffnung, die sich bislang durch keine Forschungen bestätigen ließ", betont Expertin Amrein.
In einer Cochrane Review wurde aber 2014 zuverlässige Evidenz erbracht, dass Vitamin D die Krebssterblichkeit reduziert. "Vor allem bei älteren Frauen gibt es traumhafte Daten, die zeigen, dass Vitamin D die Sterblichkeit reduziert." Im klinischen Alltag sollten Krebspatienten daher 1.000 bis 2.000 Einheiten Vitamin D täglich einnehmen.
In den Wintermonaten soll das Sonnenvitamin Stimmungstiefs lindern. Ein laienhafter Irrglaube? "Mir sind dazu keine Daten bekannt", sagt Amrein, "Vitamin D kann nicht alles heilen". Die Idee, dass es vor dem winterlichen Blues bewahrt, stamme wohl daher, dass frische Luft, Bewegung im Freien und das Einfangen des spärlichen Sonnenlichts psychisch Auftrieb geben.
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