Vitamin D: Was das Sonnenvitamin wirklich kann
Wenn die Tage trüber und die Sonnenstunden spärlich werden, kommt man an Vitamin-D-Empfehlungen nicht vorbei. In der Wissenschaft stand das "Sonnenvitamin" in den vergangenen Jahren im Zentrum zahlreicher Forschungsdebatten. Krankheiten heilen kann das fettlösliche Vitamin zwar nicht, aber es trägt wesentlich dazu bei, die Gesundheit zu erhalten – darüber ist man sich mittlerweile einig. Nach wie vor heiß diskutiert wird die Höhe der notwendigen Vitamin-D-Zufuhr.
Die neuesten Erkenntnisse über das Vitamin, das streng genommen gar keines ist:
Wozu braucht man Vitamin D?
Unter Vitamin D wird eine Gruppe von Substanzen verstanden, die zum Großteil in der Haut unter Einwirkung von UVB-Licht gebildet werden. Im Gegensatz zu anderen Vitaminen wird Vitamin D (zu etwa 90 Prozent) mithilfe von UVB-Sonnenstrahlung über die körpereigene Synthese produziert. Genau genommen ist es also kein Vitamin, sondern ein Hormon. In Kombination mit Kalzium ist Vitamin D wichtig für die Knochengesundheit, genauer gesagt für Aufbau und Erhalt ebendieser. Bei der Zahnentwicklung spielt es eine wesentliche Rolle, für den Mineralstoffwechsel und die Muskelfunktion ist es ebenso wichtig. Nicht zuletzt konnten Forscher nachweisen, dass auch das Immunsystem davon profitiert.
Schützt es vor Erkältungen?
"Jein", sagt Karin Amrein von der Uni-Klinik für Innere Medizin (Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel) der MedUni Graz. Die Datenlage zur Erforschung von Vitamin D sei heute um einiges besser als noch vor ein paar Jahren. "In einer großen Analyse einzelner Studien konnte Anfang dieses Jahres gezeigt werden, dass Vitamin D vor Atemwegsinfektionen schützt. Außerdem weiß man, dass das Immunsystem bei einem schweren Mangel nicht optimal funktioniert", erklärt die Expertin. Sie betont aber, dass "bei Vitamin D das Prinzip Je mehr, desto besser nicht greift". Hat man keinen Mangel, nützt es nichts, Vitamin D verstärkt zuzuführen. Es dürfe in seiner immunstärkenden Wirkung außerdem nicht überschätzt werden: "Es kann nicht jede Infektion verhindern."
Wie bekommen wir genug?
In lichtreichen Monaten genügt es, 20 bis 30 Minuten pro Tag mit uneingeschmierten Armen und Gesicht in die Sonne zu gehen. Durch die wenigen Sonnenstunden kommt es im Herbst und Winter in unseren Breiten meist zu einer Unterversorgung. Ergänzungsmittel können laut Amrein Abhilfe schaffen. Vor allem für Risikogruppen und Kinder seien sie empfehlenswert.
Kann man Vitamin D essen?
In der Ernährung des Durchschnittsösterreichers sind rund 100 Einheiten Vitamin D pro Tag enthalten. Als Vitamin-D-reiche Lebensmittel gelten fette Fische, Eier und Avocados. "Auf die empfohlene Tagesdosis kommt man mit dem Verzehr dieser Lebensmittel allein aber kaum", sagt Amrein.
Auch Tageslichtlampen werden empfohlen, um den Vitamin-D-Haushalt zu unterstützen (siehe Interview). Bei diesen Geräten bestehe das Hauptproblem in der UVB-Exposition: "Über die Lampe muss ein bestimmtes Spektrum von UVB-Strahlung ausgestrahlt werden. Ist das nicht so – wie in manchen Solarien –, hat man keine Vitamin-D-Bildung, aber alle Nachteile in Bezug auf Hautalterung und Hautkrebs." Da nur die UVB-Strahlen für die Vitamin-D-Bildung relevant sind, Sonnenbänke diese aber kaum ausstrahlen, ist von Besuchen im Solarium abzuraten.
Wie äußert sich ein Mangel?
Spezifische Symptome, die auf einen Mangel hindeuten, gibt es laut Amrein nicht. Bei einer besonders schwerwiegenden Mangelerscheinung kann es zu Muskelschmerzen kommen. Grundsätzlich ist man daher auf die Bestimmung des Vitamin-D-Wertes durch einen Bluttest angewiesen. Studien zufolge leiden 40 Prozent der Europäer an einem Mangel, 13 Prozent an einem schweren. Doch nicht alle Bevölkerungsgruppen sind gleich stark betroffen. "Es gibt eindeutig Risikogruppen", weiß Amrein. "Je kränker ein Mensch ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er oder sie an einem Mangel leidet. Da geht es vor allem um ältere Menschen oder Senioren in Pflegeheimen, die nicht viel ans Tageslicht komme", führt die Medizinerin aus. Auch schwangere Frauen, Frauen aus anderen Kulturkreisen, die sich verhüllen müssen, und Menschen mit dunkler Hautfarbe seien häufiger betroffen.
Wie gesund ist Vitamin D?
Zusammenhänge zwischen der Gesundheit und Vitamin D gibt es reichlich. So bringen Schwangere mit einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel beispielsweise viermal so oft ihr Kind via Kaiserschnitt zur Welt. Kinder mit Vitamin-D-Mangel leiden öfter an Asthma. Außerdem gibt es Hinweise, dass sie im späteren Leben ein höheres Risiko für Diabetes und Multiple Sklerose haben. Vitamin D steht in Verbindung mit Darmkrebs, Herzkrankheiten, Typ-2-Diabetes, Alzheimer und Depressionen. Die lange Liste an Belegen für die Wirkung von Vitamin D erklärt Amrein wie folgt: "Weil ein Mangel an Vitamin D bei kranken Menschen häufiger vorkommt, gibt es bei fast allen Erkrankungen eine Korrelation, also einen Zusammenhang. Das bedeutet nicht, dass dieser Zusammenhang kausal ist – sprich, dass es dem Menschen nützt, wenn man den Wert von Vitamin D im Körper hebt." Derartige Beweise gebe es nur in wenigen Bereichen. Klar sei laut der Medizinerin jedoch, dass ein Mangel an Vitamin D zusammen mit einer Erkrankung eine denkbar ungünstige Kombination ergibt. "Gerade Gruppen von Menschen, denen ein schwerer operativer Eingriff bevorsteht oder die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen, sollten darauf achten, dass ihr Wert in Ordnung ist."
Wann ist Vorsicht geboten?
Für Kritik an Konzernen, die Nahrungsergänzungsmittel vertreiben, hat Amrein Verständnis. Im Fall von Vitamin D sei der Vorwurf der Profitgier auf Kosten der Bevölkerung aber zu vernachlässigen. "Die günstigsten Präparate kosten pro Jahr weniger als zehn Euro. Da kommt man lange aus und die Kosten sind in Summe extrem gering." Viele Firmen würden auf den Hype, der seit einigen Jahren um Vitamin D veranstaltet wird, aufspringen und ihre scheinbar besseren Produkte teurer verkaufen. "Da muss man als Konsument aufpassen."
Einheiten pro Tag
Das US-amerikanische Institute of Medicine empfiehlt Kindern und gesunden Erwachsenen 600 Einheiten pro Tag. Das entspricht 15 Mikrogramm. Die Österreichische, Deutsche und Schweizer Gesellschaft für Ernährung hat 2012 die Empfehlung für die tägliche Zufuhr für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis 65 Jahren von fünf auf 20 Mikrogramm, das entspricht 800 Einheiten, angehoben. Bei Menschen mit hohem Risiko für einen Mangel oder bei Patienten mit Begleiterkrankungen reiche das oft noch nicht aus, wie die Stoffwechsel- Expertin Karin Amrein erklärt. Vielmehr würden in diesen Fällen die oberen Tagesgrenzen bei 4000 bis maximal10.000 Einheiten liegen.
Überdosis unwahrscheinlich
Die Möglichkeit, Vitamin D überzudosieren, besteht – kommt aber selten vor. "Da müsste man über einen Zeitraum von mehreren Monaten mit Ergänzungsmitteln stark überdosieren", so Amrein. Über die Sonne kann eine Überdosierung nicht stattfinden, weil sich Vitamin D in der Haut von selbst abbaut.
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