Diagnose PMDS: Wenn Zyklusoptimierung nicht mehr gegen Beschwerden hilft
"Zyklustag 9, deine Prognose: Es kann sein, dass du dich heute ausgelassen fühlst". Eine Push-Benachrichtigung in pinkem Design, wie sie mittlerweile bei vielen Frauen auf dem Handybildschirm oder der Smartwatch aufpoppt. Geschickt wurde sie von einer sogenannten Zyklus-Tracking-App – davon gibt es verschiedene Varianten, jeweils in pastelligen Farben. Menstruierenden soll dadurch geholfen werden, den Überblick über ihren Zyklus zu behalten. Schließlich ist es wichtig zu wissen, wann die nächste (potenziell schmerzhafte) Blutung ansteht, wann die fruchtbare Phase beginnt und wann sie mit dem Eisprung ihren Höhepunkt erreicht.
Zyklusoptimierung für ein besseres Leben?
Aus der Zyklusphase, in der sich der eigene Körper jeweils befindet, kann Frau aber laut den Apps noch weitere Informationen für und über sich selbst ablesen: Etwa das aktuelle Energielevel, die mentale Verfassung oder etwaige Ernährungstipps für den Tag.
Das Leben, angepasst an den Hormonhaushalt nennt sich auf Englisch "Cycle Syncing" und soll eine allumfassende Verbesserung der physischen sowie psychischen Gesundheit bringen – sprich, ein angenehmeres Leben für Menstruierende. Wer weiß, wann die soziale Batterie ihren höchsten Ladestand erreicht hat, wird sich die wichtigen Termine, wie zum Beispiel Vorstellungsgespräche, rund um den Eisprung legen. Dann gibt es nämlich laut unzähligen Lifestyle-Plattformen das höchste Potenzial, gut zu performen.
In Online-Sphären trendet die Praktik ebenfalls und erfüllt alle Voraussetzungen der Viralität: Über TikTok und Instagram teilen Nutzerinnen Tipps, um das meiste aus dem monatlichen Zyklus herauszuholen. Wer im Einklang mit seinem monatlichen Zyklus leben möchte, muss dafür aber so einiges wissen und dann auch täglich umsetzen. Dazu gehört unter anderem die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Magnesium, punktueller Verzehr von Kürbis- und Sonnenblumenkernen, ein angepasster Workout-Plan und der Verzicht auf Kaffee. Haben alle, die da nicht mitmachen, etwas verpasst?
Mit ChatGPT zum hormonellen Optimum
Die 30-jährige Wienerin Hanna Stantejsky hat die Praktik ebenfalls für sich entdeckt. Sie nutzt die Technologie für sich, um ihre Beschwerden zu erleichtern, die durch das prämenstruelle Syndrom (PMS) ausgelöst werden. Monatlich erstellt sie sich deshalb mithilfe von ChatGPT einen Plan, um ihre beruflichen und privaten Termine optimal einzuteilen.
Gegenüber dem KURIER sagt Stantejsky, dass sie früher unter Depressionen gelitten habe und ist sich sicher: "Hätte ich früher von PMS gewusst, wäre das nicht so schwerwiegend geworden. Ich leide zwar unter hormonellen Schwankungen, aber ich verwende das mittlerweile für mich". In Vorbereitung auf einen neuen Monat füttert die Unternehmerin das Programm ChatGPT mit ihren Zyklusdaten und gynäkologischer Fachliteratur. "Ich gebe an, welche Dinge ich zu erledigen habe und erhalte dann einen Monatsplan mit den Empfehlungen zu welchem Zeitpunkt, welche Aktivitäten, zyklusbedingt am besten sind", erklärt sie.
Sie befinde sich gerade mitten in der Gründung eines Unternehmens, deshalb stehe auch viel Networking an. Die künstliche Intelligenz rät, das "Socializen" an den Zyklusbeginn bis hin zum Eisprung zu verlagern, dann seien Menstruierende von Natur aus soziale Schmetterlinge. Für die Freelancerin funktioniert das "Cycle Syncing" sehr gut – sie erkennt bereits extreme Verbesserungen im Wohlbefinden, seitdem sie ihr Leben nach dem Zyklus lebt. Für Stantejsky ist klar, dass hormonelle Schwankungen für Menstruierende dazugehören, "je früher man erkennt, das für sich zu verwenden, desto schöner ist Frausein auch".
Was steckt hinter PMS und PMDS?
Wer über das prämenstruelle Syndrom hinaus von einer sogenannten Prämenstruellen Dysphorischen Störung betroffen ist, für den werden die Maßnahmen laut der Frauenärztin Jael Bosman aber nur bedingt helfen. Als Österreichs einzige offiziell gelistete PMDS-Expertin hat sie bereits viele Frauen begleitet, die unter teils schweren Symptomen im Zusammenhang mit dem hormonellen Zyklus leiden.
Das prämenstruelle Syndrom (PMS) wird durch MSD Manual als eine wiederkehrende Störung der Lutealphase definiert. Symptome wie Reizbarkeit, Angst, Gemütsschwankungen, Depressionen, Brustschmerzen und Kopfschmerzen machen sich etwa 5 Tage vor Einsetzen der Menstruation bemerkbar und verschwinden innerhalb von Stunden nach dem Zyklusbeginn wieder.
Zirka drei bis fünf Prozent der Menstruierenden leiden unter einer prämenstruellen dysphorischen Störung (PMDS), einer schweren Form von PMS. Dabei sind die Symptome so stark ausgeprägt, dass der Tagesablauf oder der Allgemeinzustand beeinträchtigt wird und emotionale Labilität sowie suizidale Gedanken auftreten können. Oft wird keine Diagnose gestellt, weil es oft auch von Medizinerinnen und Medizinern nicht erkannt wird. Die Dunkelziffer der Betroffenen ist daher höher.
Betroffene sind durch ihren Zyklus "total fremdbestimmt" und verspüren eine monatliche Angst, im Alltag zu versagen, erklärt Bosman. Viele ihrer Patientinnen hätten aus Verzweiflung über ihren emotionalen Zustand bereits vor Behandlungsbeginn alle gängigen Hilfsmittel wie "Phytotherapie oder Sport" ausprobiert. Bewährte Präparate wie Mönchspfeffer findet die Expertin zwar sinnvoll, aber bei den schweren Beschwerden einer prämenstruellen dysphorischen Störung würde auch das nicht die gewünschte Abhilfe bringen.
Es läge der Expertin am Herzen, betroffenen Frauen zu vermitteln, dass sie "nicht psychisch krank" sind. Sie erklärt: "Körperlich können sie davon ausgehen, dass alles in Ordnung ist und, dass der Zyklus einwandfrei funktioniert. Die Organe sind gesund, die physiologischen und biochemischen Prozesse des weiblichen Zyklus sind auch in Ordnung. Das Gehirn reagiert hochsensibel auf das komplexe Zusammenspiel von Botenstoffen und Hormonen, was zu den Problemen von PMS/PMDS-Betroffenen in der zweiten Zyklushälfte führt. Das ist das Problem."
Hormonelle Schwankungen sind 'normal'
Die PMDS-Expertin erklärt, dass dies ein biologisch "ganz normaler Zyklus" sei, den die Frauen erleben. Dieser dauert bei den Menstruierenden individuell zwischen 21 und 34 Tagen, zur rechnerischen Erleichterung werde jedoch oft der Durchschnittswert von 28 Tagen verwendet, beginnend mit dem ersten Tag der Regelblutung.
Einen hormonellen Zyklus unterteilt man dann laut Bosman in zwei Phasen: "Die erste Hälfte ist die Follikelphase, die zweite Phase nach dem Eisprung ist die Lutealphase oder auch Gelbkörperphase genannt. Zu Beginn wird Östrogen gebildet, um den Körper auf den Eisprung und eine mögliche Befruchtung rund um Tag 14 des Zyklus vorzubereiten. Erfolgt diese nicht, kommt es zwei Wochen danach zu der Abblutung, die den Beginn eines neuen Zyklus markiert". Nach dem Eisprung fällt das Östrogen im Körper stark ab und Progesteron wird in großen Mengen produziert. Laut der Frauenärztin gibt es keine Frau, die nicht zumindest ein bisschen PMS hat.
Therapiemöglichkeiten von PMS/PMDS
Das Optimieren des Zyklus durch Ernährung und Sport sieht die Frauenärztin grundsätzlich positiv. Der Verzicht auf Koffein, Alkohol oder sehr salzhaltige Lebensmittel in der zweiten Zyklushälfte könne positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben.
Für PMDS-Betroffene aber, die sehr großem Leidensdruck ausgesetzt sind, stehen laut Frau Bosman zwei verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Der eine Ansatz wäre die Hilfestellung durch einen Psychiater/Neurologen, der dann mittels Antidepressiva (SSRI) medikamentös unterstützt. Das funktioniert konkret, indem man durch Psychopharmaka die emotionalen Schwankungen und psychischen Veränderungen abzufedern versucht. Der zweite Ansatz wäre, die physiologisch eigentlich normalen, monatlichen Schwankungen zu stabilisieren. Das gelingt am besten durch ein Hormonpräparat, eine Anti-Babypille im Langzyklus, die an der Wurzel des Problems ansetzt und die hormonellen Schwankungen ausbalanciert. "Die Pille kann man in dem Fall als gutes Hilfsmittel sehen, die die Lebensqualität verbessern kann. Die Betroffenen sollten versuchen, den Blickwinkel auf das Medikament positiv auszurichten", erklärt die Expertin.
Wie PMDS diagnostiziert werden kann
Bis es zu einer Diagnose und folglich auch zu einer Therapie kommt, ist es ein langer Weg für Betroffene. Eine klinische Diagnose durch die WHO gibt es für die prämenstruelle dysphorische Störung offiziell erst seit Juni 2019.
Die Autorin Bianca Jankovska beschreibt in ihrem kürzlich erschienenen Buch "Potenziell furchtbare Tage – über Anti-Work, Menstrual Health und das gute Leben" (erschienen im Haymon Verlag), wie die Diagnose PMDS sich auf ihr privates sowie berufliches Leben ausgewirkt hat. Im Gespräch mit dem KURIER verrät die 32-Jährige, dass sie selbst bis dato von keiner behandelnden Gynäkologin ernstgenommen wurde: "Ich habe selbst meinen Progesteronwert im Mai 2022 testen lassen und davor immer schon Tagebuch geführt. Spätestens nach dem Testergebnis in Kombination mit meinen Aufzeichnungen, dem, was ich im Internet gelesen habe und nach einem Gespräch mit einer spezialisierten Frauenärztin über Telefon habe ich dann gewusst, dass ich PMDS habe." Bevor es zu einer Diagnose kommt, müsse laut der Autorin unter anderem auch ausgeschlossen werden, dass es sich um eine "normale Depression" handelt.
Jankovska erklärt in "Potenziell furchtbare Tage", dass Menstruierende benachteiligt werden: "Es wird verlangt, dass wir 150 Prozent leisten, obwohl diese Beeinträchtigungen aufgrund von PMS oder PMDS existieren. Das wird aber totgeschwiegen. Wir fühlen uns oftmals noch schlechter, weil wir aufgrund dessen gewisse Dinge nicht schaffen, es aber längst sollten, weil wir ja gleichberechtigt sind", erklärt die Wahl-Berlinerin.
Gesellschaft stigmatisiert Frauen, die aggressiv auftreten
Sie prangert in ihrem Buch außerdem an, dass die Gesellschaft Frauen stigmatisiert und ausgrenzt, die (nicht nur, aber auch PMS-geschuldet) aggressiv auftreten. Ein "Sad Girl" mit Taschentüchern sei okay, da es sich romantisch auf Instagram darstellen lasse, aber ein "angry girl" zu sein, werde nicht verziehen.
Das Leben nach dem Zyklus auszurichten, sieht Jankovska kritisch, da dies zum Teil "noch mehr Druck" erzeuge: "Also die PMDS in den Griff zu bekommen, damit man wieder aktiver und produktiver im Kapitalismus ist, ist doch so ein Zirkel, der am Ende nicht zusammenpasst. Das führt nirgends hin, außer, dass wir uns als Menstruierende an eine kranke Gesellschaft anzupassen versuchen".
Sie selbst erklärt die Verbesserung ihrer PMDS-Symptome durch ihre "Privilegien" im beruflichen Kontext. Als selbstständige Autorin ist sie niemandem unterstellt und es gibt demnach auch niemand anderen, der ihren Tag diktiert, "außer vielleicht Zoom-Calls, Interviews oder Beratungen".
Funktioniert "Cycle Syncing" in einer Festanstellung?
Auch Hanna Stantejsky erklärt, dass "Cycle Syncing" in einer Festanstellung „auf gar keinen Fall so funktionieren würde“, da das System auf Männer getrimmt worden sei. Ihr wurde erst viel zu spät klar, wie sehr sich die hormonellen Schwankungen auf ihre Arbeit auswirken. Gerade in der Unternehmensgründung mit einer anderen Frau trat das Bewusstsein darüber ein, "wie stark das von unseren innere Saisonen abhängt, was wo weitergeht".
Stantejsky ist es wichtig, als Gründerin manche Dinge anders zu machen: "Alle meine Unternehmensabläufe sollen auf Zyklen abgestimmt sein. Ich will eine vollkommen neue Art des Angestelltinnenverhältnisses kreieren". Das schließe laut ihr eine Woche Home-Office am Stück ohne Erklärung von Mitarbeiterinnen mit ein. Dadurch sollen Angestellte zu Hause Energie tanken können. Sie begründet diese Entscheidung auch durch eine bessere Performance nach der Periode, "eben weil du dich davor nicht so fertig gemacht hast, weil es dir schlecht ging".
Die Ärztin Jael Bosman berichtet ebenfalls davon, dass viele ihrer Patientinnen durch die PMS- oder PMDS-Beschwerden vor Probleme im beruflichen sowie privaten Kontext gestellt sind. Manche würden ihren professionellen Alltag erst gar nicht stemmen können oder es ergeben sich große Herausforderungen im Familienleben.
Was muss also passieren, damit betroffenen berufstätigen Frauen der Leidensdruck im beruflichen Kontext verringert wird?
Für Bianca Jankovska reicht es nicht aus, verständnisvollem Führungspersonal unterstellt zu sein und einen gewissen Spielraum in der Arbeitsgestaltung zu haben. Sie sieht eine Anpassung des Zyklus an eine 40-Stunden-Woche als unrealistisch an und fordert eine gesetzlich verankerte Stundenreduzierung, denn würden man "vorher schon auf die Gesundheit achten, man bräuchte viel weniger Wellness, wie Nahrungsergänzungsmittel, Yoga oder Coaching."
Menstruelle Gesundheit darf kein "Randthema" bleiben
Von der Forschung bleibt zu wünschen, dass menstruelle Gesundheit kein "Randthema" mehr bleibt, sagt PMDS-Expertin Bosman. In Schweden werde momentan ein designiertes PMDS-Medikament entwickelt, das sich derzeit noch in der Testphase befindet. Dabei wird an Progesteron-Rezeptoren geforscht, um die Irritabilität und psychischen Beschwerden von Betroffenen zu vermindern.
Ob die Anti-PMDS-Pille, namens Sepranolone, die vielschichtigen Probleme während der Lutealphase zukünftig lösen kann? Die ersten Forschungsergebnisse sind laut dem Hersteller Asarina Pharma zumindest vielversprechend. Vergleichbare Konkurrenzprodukte, die sich momentan in der Entwicklungsphase befinden, gibt es nicht.
Frauengesundheit bleibt weiterhin ein kollektives Problem, das sich individuell äußert. Die Gynäkologin Bosman würde sich wünschen, dass Menschen in diesem Zusammenhang mehr auf den eigenen Körper hören und sich nicht zu starr auf Gadgets wie Smartwatches verlassen. Zudem will sie den Fokus auch auf die "ungeklärte Grauzone" von peri- und prä-menopausalen Frauen legen, "bei denen der Zyklus nicht mehr getaktet ist und es zum Mischbild von PMDS und Wechselsymptomen kommen kann".
Frauen soll Angst vor Stigmatisierung genommen werden
Ein erster wichtiger Schritt ist aber die Bewusstseinsbildung rund um das strukturelle Problem. Nämlich, indem hoffentlich bald mehr über das Krankheitsbild PMS/PMDS gesprochen werde, weil es "viele Frauen gibt, bei denen das so ist". So soll Betroffenen im Idealfall die Angst vor Stigmatisierung genommen werden. Wenn die Hemmschwelle sinkt, fühle man sich auch weniger mit einem Problem allein und schafft es eher, um Hilfe zu bitten.
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