Oktoberfest und Corona: Wie hoch ist das Infektionsrisiko?
2020 und 2021 fiel das größte Volksfest der Welt - das Münchner Oktoberfest - wegen der Corona-Pandemie aus. Heute, Samstag, startet die Wiesn mit rund 40 Festzelten, die 120.000 Sitzplätze bieten. Rund sechs Millionen Besucherinnen und Besucher werden erwartet, darunter auch viele aus Österreich. Wovon praktisch alle Expertinnen und Experten - und auch die Politik - ausgehen: Das Oktoberfest wird zu steigenden Corona-Zahlen führen - unklar ist nur das Ausmaß. Aber wie hoch ist das Infektionsrisiko für den Einzelnen?
Der deutsche Gesundheitsminister Karl-Lauterbach hat zum Auftakt des Oktoberfestes zur Vorsicht aufgerufen. "Ich möchte kein Spielverderber sein: Aber wer die Wiesn besucht, sollte trotzdem aufpassen. Vorerkrankten ist ein Besuch auf jeden Fall abzuraten. Und alle anderen sollten sich vor einem Zeltbesuch aus Rücksicht auf andere testen lassen“, sagte der SPD-Politiker am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Dass das Riesenvolksfest wieder stattfinde, sei aber vertretbar. "Die Impfbereitschaft, das Verständnis für die Maßnahmen, die Vorsicht der Bevölkerung machen es möglich." Lauterbach selbst hat nach Angaben seines Ministeriums eine Einladung zur Wiesn aber ausgeschlagen.
"Wahrscheinlich wird die Zahl der Infektionen steigen, das ist die Erfahrung der bisherigen Feste", sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dem Münchner Merkur. "Gleichzeitig messen wir aber zum Glück nirgends eine übermäßige Belastung der Krankenhäuser."
Weniger entspannt sieht das der Virologe Oliver T. Keppler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München in einem Interview mit BR24. Denn das durchgehend hohe Infektionsgeschehen habe die chronische Belastung des Gesundheitssystems fortgesetzt, das Personal sei erschöpft. Längerfristige gesundheitliche Einschränkungen bis zu zur Arbeitsunfähigkeit seien bei Post-Covid-Patienten aller Altersgruppen zu beobachten: "Hier scheint die Impfung nur bedingt zu schützen und Reinfektionen scheinen das Risiko zu erhöhen."
Als Besucher in einem Bierzelt müssen man "von einem sehr hohen Risiko ausgehen, in Kontakt mit dem Virus zu kommen - über Tröpfchen oder Aerosole", betont Keppler. "Auf einer Skala von 1 bis 10 liege die Wahrscheinlichkeit einer SARS-CoV-2-Exposition nach mehreren Stunden im Zelt nach meiner Einschätzung bei 9 bis 10. Viel mehr geht also nicht."
Das größte Volksfest der Welt "kann Millionen Neuinfektionen innerhalb von zwei Wochen im Großraum München ermöglichen. Das ist synchronisiertes Superspreading mit weltweiter Sichtbarkeit." Der Wunsch nach Normalität dürfe vermeidbare Risiken für die Gesellschaft nicht verdrängen. Keppler wäre aber nicht für eine Absage, sondern für ein Alternativkonzept - etwa mit einem "empfindlichen Testprinzip" - gewesen.
Weniger besorgt äußerte sich die Virologin Ulrike Protzer. "Wenn man sich für die Wiesn entscheidet, muss man ein gewisses Infektionsrisiko in Kauf nehmen", sagte die Leiterin der Virologie an der Technischen Universität und am Helmholtz-Zentrum München der Süddeutschen Zeitung. "Eines Tages muss man zum normalen Leben zurückkehren, und das geht mittlerweile auch, wenn man dabei vernünftig ist", erklärte Protzer. Ältere und immungeschwächte Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen sollten dennoch der Wiesn fern bleiben. Sie hatte Anfang August aber auch dazu geraten, sich zwei bis vier Wochen vor dem Oktoberfest eine Auffrischungsimpfung (vierte Impfung) zu holen. Auch der Münchner Infektiologe Christoph Spinner hatte dazu geraten.
Wie halten es Virologinnen mit der Wiesn?
Die Süddeutsche Zeitung befragte kürzlich drei Virologinnen auch, ob sie die Einladung einer Freundin an einen Tisch in eines der Zelte annehmen würden?
"Ich bin dreimal geimpft und einmal genesen - deshalb gehe ich von einem maximalen Immunschutz aus und würde hingehen", sagte Protzer. "Aber nicht, wenn ich älter wäre oder jemand in der engeren Familie irgendwelche Vorerkrankungen hätte. Dann würde ich lieber tagsüber draußen über das Oktoberfest schlendern."
Anders die Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf: Sie würde nicht hingehen, "da sind mir dann doch zu viele Menschen auf engem Raum ... Außerdem ist ein so gigantisches Volksfest natürlich gut geeignet, um eine mögliche neue Immunflucht-Variante zu verbreiten."
Die Virologin Jana Schroeder, Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie im nordrhein-westfälischen Klinikverbund Stiftung Mathias-Spital, betonte, dass es sich grundsätzlich lohne, "diese Krankheit zu vermeiden. Sie ist eben kein 'Schnupfen', sondern eine Multisystem-Erkrankung, die individuell nicht gut abschätzbare Langzeitfolgen verursachen kann." Bei jungen gesunden Menschen, die dreifach oder vierfach geimpft sind, sei bei einer Omikron-Infektion nach heutigem Wissensstand die Chance hoch, "ohne signifikante Folgeschäden davonzukommen. Der verbleibende Prozentsatz der Langzeitfolgen bleibt trotzdem relevant und den sollte man für sich so gut es geht vermeiden, genauso wie das Anstecken anderer. Da mir persönlich das Oktoberfest nichts bedeutet, sage ich ab."
Der Spiegel hat die Debatte folgendermaßen zusammengefasst: "Wer auf die Wiesn geht, tut das im Bewusstsein, dass das Risiko, sich dort anzustecken, sehr viel höher ist als bie so ziemlich allen anderen Aktivitäten. Wir haben mittlerweile genug Informationen über das Virus, um mündige Entscheidungen zu treffen - und mit den möglichen Konsequenzen zu leben."
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