Corona: Wird das Münchner Oktoberfest ein "Superspreader-Event"?
Noch ist es ein gutes Monat hin bis zum Start des Oktober-Festes in München (17.9. bis 3.10), doch in Deutschland gibt es schon jetzt eine große Debatte um die Auswirkungen auf den Pandemieverlauf - angesichts Tausender Besucherinnen und Besucher auch aus Österreich über die Grenzen Deutschlands hinaus: Dabei geht es nicht nur darum, ob die "Wiesn" - das größte Volksfest der Welt - ganz grundsätzlich zum "Superspreading-Event" wird.
Manche Infektiologen äußern auch die Befürchtung, dass sie zur Einschleppung weiterer Virusvarianten führen könnte. Doch die Einschätzungen der Experten sind sehr unterschiedlich.
So sagte der deutsche Infektiologe Thomas Weiler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, "dass wir momentan auf der Südhalbkugel Varianten sehen, die deutlich andere Stammlinien haben als die Omikron-Variante ... Wenn das Oktoberfest stattfindet, müssen wir damit rechnen, dass gerade aus Neuseeland und Australien doch einige Besucher einfliegen und uns diese Varianten bescheren". Weiler ist Geschäftsführer der Starnberger Kliniken und Corona-Manager auch für weitere Krankenhäuser in Bayern.
Der Experte tritt dafür ein, die Wiesn abzusagen: "Das ist meine Meinung. Ich bin überzeugt, dass wir uns da keinen Gefallen tun. Das wird zwar eine Riesengaudi und ich vermisse das ja auch - aber wir werden die Wiesn bitterböse bereuen."
Ganz anders die Einschätzung des Münchner Infektiologen Christoph Spinner. Er sieht im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur keinen Grund, auf Volksfeste und speziell das Oktoberfest zu verzichten. "Ich wüsste nicht, warum die Wiesn nicht stattfinden sollte." Er rät aber zur vierten Impfung vor dem Wiesn-Besuch.
"Natürlich weisen aktuelle Beobachtungen auf ein erhöhtes Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion im Kontext von Volksfestveranstaltungen, wie es auch bei der Wiesn zu erwarten wäre, hin", sagte Spinner, der Pandemie-Beauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. "Die Optimierung des Impfschutzes, beispielsweise durch einen zweiten Booster zwei bis vier Wochen vor der Wiesn, kann das Infektionsrisiko noch einmal merklich senken."
Roman Wölfel, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, hält auch die Gefahr gering, dass es zur Kombination zwischen zwei Virusvarianten kommen und eine gefährlichere entstehen könnte: Das sei ein extrem seltenes Ereignis, das überall auf der Welt passieren könne, zum Beispiel in einem Restaurant oder am Flughafen, überall, wo Menschen auf engem Raum zusammenkommen, sagte er dem bayerischen Nachrichtensender BR24.
Erst am Samstagabend hat Andreas Gabalier vor rund 100.000 Fans auf dem Gelände der Messe München gesungen. Beim Wiener Donauinselfest waren es heuer etwas mehr als 2,5 Millionen Besucher. Doch das waren beides Veranstaltungen im Freien. Für das Oktoberfest in München hingegen werden auf dem Wiesngelände 38 Festzelte aufgestellt - und es kommen mehr als sechs Millionen Besucherinnen und Besucher.
"Zwei Wochen lang sitzen Zehntausende dicht an dicht an Biertischen, singen, tanzen und schreien gegen den Lärm im Bierzelt an: hervorragende Bedingungen für einen Krankheitserreger wie das Coronavirus, das sich über die Atemluft ausbreitet", heißt es auf der Homepage von BR24.
BR24 hat Infektionszahlen nach kleineren Volksfesten ausgewertet, die Corona-Infektionszahlen stiegen danach an: Bernd Salzberger, Infektiologe am Uni-Klinikum Regensburg, sieht zumindest ein starkes Indiz für einen ursächlichen Zusammenhang, auch wenn es nur Indizien, aber keinen eindeutigen Beweis gibt: "Ich glaube schon, dass das ein wenig wie Öl ins Feuer gießen ist. Man muss da jetzt nicht unbedingt von Superspreading-Ereignissen sprechen, aber sicher von Spreading-Ereignissen - wenn man im Bierzelt laut singt und schreit."
Nach Volksfesten in Städten zeigte sich hingegen nur ein leichter oder kein Anstieg der Fallzahlen. Für Salzberger ist das keine Überraschung: Ein einzelnes Ereignis könne hier auf das ansonsten diffuse Infektionsgeschehen keinen so großen Einfluss haben wie in einer vergleichsweise kleinen Stadt oder Landkreis.
"Grundsätzlich ist im Umkreis von ein bis zwei Metern um eine infizierte Person die Wahrscheinlichkeit erhöht, mit virushaltigen Tröpfchen und Aerosolen in Kontakt zu kommen", schreibt die deutsche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) auf der Homepage infektionsschutz.de. Und: "Bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole jedoch auch über eine größere Distanz als zwei Meter erhöhen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt, sich längere Zeit in dem Raum aufhält und die anderen anwesenden Personen besonders tief einatmen."
Hinzu kommt, dass BA.5 infektiöser ist als bisherige Omikron-Subvarianten - und die Inkubationszeit kürzer ist. Dazu erklärte der deutsche Aerosolforscher Christof Asbach kürzlich in einem Spiegel-Interview: "Solange ich den Mindestabstand einhalte von 1,50 Meter, ist das Risiko verschwindend gering. Tatsächlich ist es aber auch so offensichtlich, dass schon weniger Viren für eine Infektion ausreichen. Das heißt, je kleiner der Abstand wird, desto höher wird das Risiko, dass ich mich noch anstecken kann. Wir atmen ja, normal beim Atmen schon, aber noch mehr beim Sprechen oder Singen, feinste Tröpfchen aus. Das können relativ große Tropfen sein, aber auch ganz feine Tropfen im Mikrometer-, teilweise auch Submikrometerbereich. Und die schweben sehr lange in der Luft."
Wie auch immer die Diskussion weitergeht, die Wiesn 2022 ist fix: Im April hatte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter entschieden, dass sie heuer wieder stattfinden soll. Die beiden Jahre davor war das größte Volksfest der Welt wegen der Pandemie abgesagt worden.
Kommentare