Öffnungen: Warum Experten jetzt mit steigenden Zahlen rechnen
Auch wenn viele die Öffnungsschritte begrüßen: Für viele Expertinnen und Experten sind sie – in ihrem Ausmaß – verfrüht, darunter auch für den Gesundheitsökonomen und Mediziner Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Was er für die nächste Zeit erwartet.
„Durch die Öffnungsschritte steigen die Kontakthäufigkeiten. Durch die fehlenden Masken ist das Risiko der Übertragung bei diesen Kontakten erhöht und es wird sicherlich auch mehr Nachlässigkeit im Umgang mit den noch vorhandenen Maßnahmen geben“, sagt Czypionka im Interview für den KURIER daily Podcast. „Das heißt, in Summe ist mit einem Steigen der Fallzahlen zu rechnen.“
Czypionka macht auch auf die andauernde Zusatzbelastung für das Gesundheitspersonal aufmerksam: „Wir haben mehr als 2.000 Covid-Fälle in den Spitälern und das bereits über Monate hinweg.“
Er würde die Maskenpflicht in Innenräumen aufrechterhalten: „Sie sind ein sehr gutes Mittel, das Ansteckungsrisiko zu vermindern.“ Und auch wenn die Tests bei Omikron nicht so zuverlässig seien, bedeute das nicht, dass sie gar nicht mehr zu gebrauchen sind: „Hier könnte man 3-G in bestimmten Bereichen weiterhin aufrecht erhalten.“
Während noch über die bisherigen Lockerungen diskutiert wird, drängen Vertreter der Wirtschaft bereits auf den nächsten Schritt: Ein Ende der Quarantäne-Bestimmungen für infizierte Geimpfte. Es mache keinen Sinn, Infizierte ohne Symptome und zusätzlich dreimal geimpft weiterhin per Bescheid zu isolieren.
Für Geimpfte sei Covid mittlerweile eine grippeähnliche Erkrankung. Die Quarantäne als Mittel zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus stamme aus einer Zeit ohne Impfung und Medikamente. Der Epidemiologe Gerald Gartlehner sagte kürzlich im Ö1-Morgenjournal, dass man zumindest die Quarantäne und das Verfolgen von Kontaktpersonen überdenken sollte, denn das funktioniere in der Praxis sowieso nicht mehr.
Gesundheitsökonom Czypionka sieht eine Aufhebung der Quarantäne für infizierte Geimpfte, die keine Symptome haben, kritisch: „Bei so vielen Fällen wie derzeit Maßnahmen zu reduzieren, die die Übertragung bremsen, das kann sehr leicht nach hinten losgehen.“
Im Gesundheitsministerium heißt es, dass es sich bei SARS-CoV-2 um eine im Epidemiegesetz gelistete anzeigepflichtige Krankheit handelt. „Damit verbunden ist die ehestmögliche Identifizierung und Absonderung von Personen, welche an Covid-19 erkrankt bzw. mit SARS-CoV-2 infiziert ist, sowie das damit einhergehende Kontaktpersonenmanagement.“ Dies sei essenziell, um die Transmissionsketten zu unterbrechen und die Ausbreitung des Virus in Österreich zu vermeiden. Unabhängig davon werden aber die Empfehlungen zum Kontaktpersonenmanagement laufend evaluiert – und gegebenenfalls angepasst.
Die kostenlosen Tests hingegen hätten schon längst auslaufen müssen. Sie hätten zur niedrigen Impfquote beigetragen, weil ein wenig suggeriert wurde, es gebe die Tests als Alternative zum Impfen.
Derzeit werde auf Menschen, die (noch) nicht geimpft werden können oder bei denen die Impfung nicht anspricht, vergessen. „Ich habe doch eine erhebliche Zahl an Leuten, bei denen die Erkrankung schwerwiegend verlaufen kann und deren Bedürfnisse werden eingeschränkt, weil das Infektionsrisiko relativ hoch ist.“
Delta kehrt zurück
Czypionka geht auch davon aus, dass die Delta-Variante über den Sommer eine gewisse Renaissance erlebt, weil sich die Immunität in der Bevölkerung reduziert. Im Herbst, wenn es keine neue Variante gibt, werde wieder eine Omikron-Welle kommen: „Wenn es hier nicht gelingen wird, die Leute zu boostern, werden wir wieder mit sehr vielen Fällen rechnen müssen.“
„Die Öffnungen sind medizinisch überhaupt nicht nachvollziehbar, das ist eine rein politische Entscheidung“, sagt auch Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien. Neben den aktuellen Auswirkungen müsse die Regierung auch an die nächsten Monate denken: „Es wird dann im Herbst sehr schwierig sein, den Leuten zu erklären: Ihr müsst jetzt wieder vorsichtiger sein.“ Vor allem die Maskenpflicht fast überall aufzugeben sei „keine gute Idee“.
Ebenso das Ende für 3-G: „Das könnte die Infektionen weiter in die Höhe treiben.“ Hutter vermisst hier das Augenmaß bei den Verantwortlichen: „Man gibt den Leuten immer kalt-warm und findet keinen Mittelweg. Einmal ist alles zu, und jetzt wird wieder alles aufgemacht.“
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